Ab 2021 erhöhen sich Löhne und Gehälter in der Sozialwirtschaft um 0,6 Prozent, zuzüglich der Inflationsrate.

Foto: Imago

Wien – Sie war eine der turbulentesten Lohnrunden in der Geschichte der Sozialwirtschaft. Seit November rangen die Sozialpartner um die neuen Kollektivverträge in Österreichs privatem Pflege-, Gesundheits- und Sozialbereich. Streiks und Demonstrationen flankierten das Kräftemessen. Politik und Wirtschaftskammer verfolgten es mit Argusaugen und sparten nicht mit Zwischenrufen. Im Endspurt brach auch noch die Corona-Krise herein und brachte die Verhandlungen kurzzeitig zum Erliegen.

Nach zahlreichen gescheiterten Anläufen gelang in der Nacht auf Mittwoch nun doch eine Einigung. Sie gilt für die kommenden drei Jahre für insgesamt 125.000 Beschäftigte, von mobilen und stationären Pflegekräften über Betreuer von Kindern, Obdachlosen, Suchtkranken und Flüchtlingen bis hin zu Mitarbeitern in der Sozialpsychiatrie. 70 Prozent unter ihnen sind Frauen.

Corona-Zulage

Die Beschäftigten erhalten rückwirkend ab Februar um 2,7 Prozent höhere Löhne und Gehälter. Viele in der Branche sind von Berufs wegen stark dem Risiko ausgesetzt, sich mit Covid-19 zu infizieren. Wer heuer zwischen 16. März und 30. Juni direkt mit Menschen arbeitet, den entschädigt der Arbeitgeber mit einer pauschalen Gefahrenzulage von 500 Euro. Ab 2021 erhöhen sich die Einkommen um 0,6 Prozent, zuzüglich der Abgeltung der Inflationsrate. Die Zuschläge und Zulagen steigen um 2,7 Prozent. Ab 2022 reduziert sich die wöchentliche Arbeitszeit von 38 auf 37 Stunden.

"Es ist ein guter Abschluss mit Verantwortung, ein Schritt in die richtige Richtung", sagt Eva Scherz, Chefverhandlerin der GPA-djp. Die 37 Stunden seien die bisher kürzeste Arbeitszeit, die in einem Branchenkollektivvertrag verankert wurden. Sie seien eine Annäherung an die Realität der Arbeitswelt der Sozialwirtschaft, in der bereit jetzt 70 Prozent der Beschäftigten Teilzeit arbeiteten. Langfristig bleibe die Forderung nach einer 35-Stunden-Woche jedoch aufrecht.

Fuß in der Tür

"Wir haben den Fuß in der Tür", resümiert Michaela Guglberger, die für die Gewerkschaft Vida die Verhandlungen führte. Auch sie spricht von einem verantwortungsvollen Abschluss in schwierigen Zeiten, denn keiner wisse, was im Herbst auf Österreich zukomme. "Unsere Kollegen sehen, dass sie für die Arbeit, die sie leisten, mehr Wertschätzung erfahren."

Der Abschluss sei Ergebnis langwieriger, schwerer und kräfteraubender Verhandlungen, sagt Erich Fenninger, Vorsitzender der Sozialwirtschaft und Geschäftsführer der Volkshilfe, und zeigt sich erleichtert über die Einigung. Die Corona-Krise habe den Handlungsdruck zusätzlich massiv erhöht, ein Abschluss sei längst überfällig gewesen.

Richtiger Weg

Die kürzere Arbeitszeit werde nicht alle Probleme lösen, aber sie berge eine große Chance. "Wenn wir mehr Menschen für Sozialarbeit gewinnen und bestehende Mitarbeiter binden wollen, braucht es etwas Besonderes." Die 37 Stunden seien ein Signal dafür. Derzeit arbeiteten nur 30 Prozent der Beschäftigten der Branche mehr als 35 Stunden die Woche. Für die übrigen 70 Prozent bedeute sie eine gute Lohnerhöhung. In der mobilen Pflege liege der Anteil der Vollzeitbeschäftigten bei zehn bis 13 Prozent. Der eingeschlagene Weg in der Arbeitszeit sei auf jeden Fall gerechtfertigt und eine Entlastung für die Arbeitnehmer, sagt Fenninger.

Lehren aus der Krise

Er erwartet jedoch, dass die Politik nach der Corona-Krise intensive Gespräche mit der Branche beginnt. Die Sozialwirtschaft diene der Systemerhaltung, es sei nun mehr denn je wichtig, ihre Arbeitsbedingungen zu verbessern. Die aktuelle Krise offenbart für Fenninger, was in den vergangenen Jahrzehnten in vielen Bereichen schiefgegangen sei. In der 24-Stunden-Pflege etwa könnten durchaus mehr Österreicher arbeiten – sofern die Arbeit finanziell aufgewertet werde. Eine Lehre müsse Europa auch daraus ziehen, nicht länger sensible Produktionen, etwa im medizinischen Bereich, in Billiglohnländer in Asien auszulagern.

In der Sozialwirtschaft fehlt es quer durch alle Berufssparten massiv an Schutzausrüstung. "Unsere Leute dürfen nicht länger ungeschützt arbeiten, das sind wir ihnen schuldig", betont Scherz mit Blick auf die Regierung.

Brennpunkt Arbeitszeit

Es war der vehemente Ruf der Arbeitnehmer nach kürzerer Arbeitszeit, der im Zuge der Kollektivvertragsverhandlungen weit über die Sozialberufe hinaus die Wogen unter den Sozialpartnern hochgehen ließen. Ein Präzedenzfall wurde von Arbeitgebern befürchtet, der bald auf andere Branchen überschwappen und den Mangel an Fachkräften vor allem in der stationären Pflege verschärfen könnte. Diese gilt als Sorgenkind, denn der Anteil an Vollzeitkräften ist hier hoch und die Personalnot groß.

Die Arbeitnehmer der Sozialwirtschaft, die unter wachsendem Arbeitsdruck, hoher Fluktuation und prekärem Einkommen leiden, pochten zuvor fünf Jahre lang vergeblich auf eine 35-Stunden-Woche. Sie erhoben diese in der Folge heuer zu ihrer einzigen und unumstößlichen Forderung.

Corona bremste Verhandlungen

Corona machte die Debatten nicht einfacher. Demonstrationen wurden aufgrund des Versammlungsverbots untersagt, Verhandlungsräume geschlossen, persönliche Gesprächstermine abgesagt. Die Sozialpartner verlegten den Diskurs in die digitale Welt. Vergangenen Montag legten die Arbeitgeber ein verbessertes Angebot vor. Die Arbeitnehmer stimmten darüber via Mail ab, die Mehrheit gab ihren Sanktus.

Angst vor Pflegenotstand

Eine Stunde weniger Arbeitszeit erhöht die Gehälter im Jahr um etwa 2,7 Prozent. Der Gewerkschaft war dies ursprünglich allein zu wenig, sie zeigte sich allerdings bereit, den Weg hin zu 35 Stunden in Etappen zu gehen. Der Bedarf an Mitarbeitern in der Branche steigt jedoch nicht nur aufgrund von Corona massiv. Spätestens in zehn Jahren droht ein Pflegenotstand. Die Generation der Babyboomer der 60er-Jahre wird pflegebedürftig. (Verena Kainrath, 1.4.2020)