In der Krise wird die Regierungsspitze von den Spitzen der Sozialpartner flankiert.
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Die Sozialpartnerschaft war lange Zeit die dominante Form der Politikgestaltung in der österreichischen Wirtschafts- und Sozialpolitik. Seit längerer Zeit mehren sich aber die Anzeichen ihres Bedeutungsverlusts. So ist die Bundesregierung Kurz II die erste in der Zweiten Republik ohne Mitglied mit biografischer Verbindung zu Kammern oder Gewerkschaften (siehe auch hier). Das ehemals führende Politikberatungsgremium der Sozialpartner, der 1963 etablierte Beirat für Wirtschafts- und Sozialfragen, hat seit 2014 keine einzige Studie mehr veröffentlicht – bis 2000 waren es noch etwa zwei pro Jahr (siehe auch hier). Der 2006 ins Leben gerufene Bad Ischler Dialog der Sozialpartner wurde 2017 wahlkampfbedingt ausgesetzt – und fand seither nicht mehr statt.

Wie überall muss man aber auch bei dieser Diagnose differenzieren: Die Sozialpartner erfüllen weiterhin ihre Funktion bei der Aushandlung von Kollektivverträgen. Ebenso fungieren Kammern und Gewerkschaften wie bisher als Serviceorganisationen und Lobbys für ihre Mitglieder. Was sich aber drastisch verändert hat, ist die Rolle der Sozialpartner als Politikgestalter über diese Kernbereiche hinaus. Die tripartistische Kompromissfindung – also das Zusammenwirken von Regierung, Arbeitnehmer- und Arbeitgeberverbänden – ist praktisch zum Erliegen gekommen.

Hand in Hand geht diese Entwicklung natürlich mit einem Wandel des österreichischen politischen Systems. Gerade die Kammern sind ja nicht nur legitime Interessenvertreter großer ökonomischer Gruppen, sondern auch gesetzlich privilegierte (Pflichtmitgliedschaft!) und von jeweils einer Partei dominierte politische Machtbastionen mit klaren Eigeninteressen. Das Erstarken von politischen Kräften, die diesem System skeptisch gegenüberstehen (FPÖ, Neos) oder zumindest darin nicht stark verankert sind (Grüne), führt somit klarerweise zu Legitimitäts- und Einflussverlust.

Die durch die Covid-19-Pandemie verursachte Wirtschaftskrise zeigt uns aber, dass sozialpartnerschaftliches Politikmachen noch nicht völlig ausgesorgt hat. In Windeseile wurde ein Kurzarbeitsmodell verhandelt, und für die Bauwirtschaft wurden Vorschriften adaptiert, die ein Weiterarbeiten ermöglichen sollen. Auch in der öffentlichen Debatte schlägt sich der plötzliche Bedeutungsgewinn der Sozialpartnerschaft als Politikgestaltungsmodus nieder. Die Grafik unten zeigt, wie sich der Anteil an Presseaussendungen mit Sozialpartnerbezug im März gegenüber den zwölf Vormonaten verdreifacht hat. Die Aufmerksamkeitshöhepunkte im Jahr 2018 sind hingegen vor allem den Konflikten zwischen Regierung und den rot dominierten Sozialpartner-Organisationen geschuldet (Stichworte: Arbeitszeit, Sozialversicherung).

Erleben wir also die Wiederauferstehung der tripartistischen Kompromisspolitik? Wohl kaum. Vielmehr zeigt die Corona-Krise, dass die Sozialpartnerschaft einen Rollenwechsel vollzogen hat: Ihren Status als permanentes Zentrum der wirtschafts- und sozialpolitischen Gestaltung hat sie eingebüßt. Als Krisenfeuerwehr bleibt sie aber gefragt. Das bedeutet aber auch, dass mit dem Ende der Krise – wann auch immer dieses eintritt – aller Voraussicht nach die neue österreichische Normalität zurückkehren wird. Und in dieser Normalität spielt die Sozialpartnerschaft als Politikgestaltungsmodus nur punktuell eine einflussreiche Rolle. (Laurenz Ennser-Jedenastik, 1.4.2020)