Daumen rausstrecken und bei Fremden einsteigen: Patrick Bambach legte mit dieser Methode 16.000 Kilometer zurück.

Foto: Switch Studio

Morgens nie wissen, wo man abends landet. Diese Erfahrung begleitete Patrick Bambach beim Autostopp durch Georgien. Hier in der Höhlenstadt Wardsia.

Foto: privat

Diese Aufnahme entstand in den Ruinen von Amman in Jordanien.

Foto: privat

Unterwegs in Jerusalem

Foto: Patrick Bambach

Zelten in Lykien im Süden der Türkei.

Foto: Patrick Bambach

Im Nahen Osten verbrachte er jedenfalls mehr Zeit mit Warten und Abhängen in der deutschen Quarantäne.

Foto: privat

Patrick Bambach pflegt ein Hobby, das auch vor Corona wie aus der Zeit gefallen wirkt. Er ist leidenschaftlicher Autostopper. Als Student steht er lieber mit ausgestrecktem Daumen am Rand von deutschen Landstraßen, während seine Mitstudenten vermutlich im Billigflieger nach Mallorca oder London sitzen. Nach dem Studienabschluss der Luft- und Raumfahrttechnik gerät dieses harmlose Hobby allerdings ein wenig aus dem Ruder. Er sagt vielversprechende Jobangebote ab und bittet seinen Vater, ihn an einer Raststätte in der Nähe seines Wohnorts im Sauerland abzusetzen. Dort sieht er gute Startbedingungen, um per Anhalter ein halbes Jahr lang in den Nahen Osten zu reisen.

16.000 Kilometer bringt Bambach hinter sich – nur mithilfe von Kartonschildern, auf denen das jeweils nächste Wunschziel seiner Reise steht. Hilfsbereite Fremde chauffieren ihn durch Osteuropa, durch die Türkei, den Irak und den Iran bis auf die Arabische Halbinsel und nach Israel. Unterwegs nimmt der Tramper nicht nur kostenlosen Transport in Anspruch, er versucht auch für lau unterzukommen. Über die Plattform Couchsurfing reservieren ihm seine Gastgeber einen kostenlosen Schlafplatz und gewähren ihm tiefe Einblicke in ihr Leben. Er trifft auf Kurden, die gegen den IS kämpfen, plaudert mit usbekischen Prostituierten und hat bei einem iranischen Familienpicknick den ersten Opiumrausch seines Lebens – unfreiwillig, weil er in der herumgereichten Pfeife nur Tabak vermutet.

Erfahrung der Enge

Als das Telefon in diesen Tagen in seiner Wohnung bei Göttingen klingelt, ist die Lage nüchterner. Auch Bambach erfährt gerade die Enge des eigenen Zuhauses, wie auf dem Foto zu sehen ist, das er nach dem Gespräch schickt. Der 32-Jährige sitzt eingeklemmt zwischen einem schweren, dunklen Kleiderkasten und einer mickrigen Zimmerpflanze an seinem Schreibtisch. Darauf liegen Bücher über die Raumfahrt, die dem Sonnensystemforscher am Max-Planck-Institut wohl ein wenig von der Weite des Alls ins Homeoffice holen sollen.

Noch ein Buch fällt auf: "Per Anhalter durch den Nahen Osten". Bambach hat es in jeder freien Minute geschrieben, die er nicht mit der Planung von Weltraummissionen verbracht hat. Die Erzählung seiner Abenteuer als Tramper ist nur wenige Tage vor dem Ausbruch der Coronakrise erschienen und führt dem Autor nun selbst vor Augen, wie schnell ein Weltenbummler zum Stubenhocker werden kann.

Geduld ist ihm nicht fremd

"Ich bin hier in Göttingen schon seit ein paar Tagen in freiwilliger Quarantäne", sagt er hörbar unbeeindruckt von der Lage, die sich für einen bloß Selbstisolierten offensichtlich dramatischer anhört. Seine Freundin, mit der er die Wohnung teilt, ist ein Corona-Verdachtsfall. Beide wiesen leichte Symptome auf, beiden scheint es aber den Umständen entsprechend gut zu gehen. Gewissheit haben sie dennoch nicht. Bambach denkt kurz an die Zeit am Straßenrand zurück: "Ich habe sehr viel Zeit mit Warten verbracht, geduldig wie in der aktuellen Situation zu sein ist mir also nicht fremd."

Die Zeit auf der Straße sei zum Teil aber sogar einsamer gewesen, als es die Tage in der Wohnung sind. Stundenlange Autofahrten, bei den man kaum ein Wort wechselt, weil man nicht dieselbe Sprache spricht oder gerade keine Lust zum Radebrechen hat. Jedenfalls alles Situationen, die man nicht in ein Abenteuerbuch schreibt, weil sie keiner lesen will. Momentan redet er jedenfalls mehr, vor allem mit Freunden am Telefon oder per Videochat.

Analoge Erlebnisse

Dennoch besitzt Bambach bis heute kein Smartphone. Analoge Erlebnisse, wie er sie auf der Reise durch den Nahen Osten erlebt hat, seien ihm enorm wichtig. Auch weil sein Beruf als Weltraumingenieur praktisch ausschließlich digital ist. Da draußen warten zwar Galaxien auf ihn, aber er ist immer nur über einen Computerbildschirm mit ihnen verbunden. Aktuell beschäftigt ihn die Vorbereitung einer Jupiter-Mission.

Wer nun glaubt, das All sei in der Coronakrise das einzige sichere Reiseziel, irrt allerdings. Momentan scheint es möglich, dass der Aufbruch zum Jupiter um ein Jahr verschoben werden muss. Dadurch würde die Sonde sogar zwei Jahre später an ihrem Reiseziel ankommen, weil dann der Stand des Jupiter zur Erde ein ganz anderer ist. Ist das All trotz nerviger Flugverspätungen nicht die nächste logische Destination für ihn? "Ich habe mich nie für ein Ticket beworben. Aber wenn mich jemand fragen würde, wäre ich schon dabei", sagt er. Bis Bambach möglicherweise per Anhalter durch die Galaxis reist, könnte er immerhin im Kopf noch mal durch den Nahen Osten trampen.

Völlig in Ordnung

Sich an konkrete Momente, an Gerüche und Geräusche zu erinnern fällt ihm aber überraschend schwer. "Vermutlich ist der Kontrast zwischen den engen Räumen und der Freiheit da draußen zu groß", meint er. Außerdem wusste er auf seiner Reise morgens nie, wo er abends landen würde. In einer Wohnung ist das recht vorhersagbar. Dennoch beschwert er sich nicht. Den Weg zur Badewanne genau zu kennen und jeden Abend ein festes Bett anstelle einer durchgesessenen Couch anzusurfen sei für ihn momentan völlig in Ordnung.

Einfach nur in den Ferienflieger steigen möchte er auch nach der Coronakrise nicht. Er plant, irgendwann mit der Freundin aus dem Sauerland bis nach Spanien zu wandern und witzelt: "Die Umgewöhnung von der Quarantäne zum Wandern ist zum Glück nicht allzu groß. Die Zeit vergeht da draußen genauso langsam, die optischen Eindrücke ändern sich auch nicht gerade rasant."

Bambach erinnert sich schließlich doch noch an eine konkrete Phase auf seiner Reise. Ein Gastgeber im Iran hat ihn jeden Tag aufs Neue gefragt, ob er nicht eine weitere Nacht bleiben wolle. Er verbrachte Wochen mit ihm, die beiden wurden Freunde. Wie schlimm Corona den Iran erwischt hat, ist bekannt. Demnächst soll der Freund eine Nachricht aus der deutschen Quarantäne erhalten. (Sascha Aumüller, RONDO, 3.4.2020)