Ich sage es frei heraus: Ich bin ein Stubenhocker. Bis vor kurzem war ich auch ein Kaffeehaushocker. Aber ein disziplinierter. Spätestens gegen halb acht abends zwickt’s mich im Hintern, dann ruft mich meine gute Stube. Schon beim Umdrehen des Wohnungsschlüssels empfängt mich eine vorfreudige, ganz eigene Stubenatmosphäre. Der Zeichner und Karikaturist Rudi Klein beantwortete meine Frage, was wirkliches Wohnen ausmache: "Wohnen ist Rückzug. Wohnen hat, wie der Wiener sagt, etwas mit ‚Leo‘ zu tun, diesem sicheren Ort beim Fangenspielen. Man kann die Panzer ablegen."

Meine Panzer lege ich jeden Abend auf dem Sofa ab, auch wenn ich es weniger kriegerisch ausdrücken würde. In diesen Zeiten zwangsweiser Verbiedermeierisierung tu ich dies auch am Schreibtisch, in der Küche, im Bett, im Bad und sonst wo in meinen vier Wänden. Es gibt in diesen Tagen viele Arten des "Stubenhockens". Die Stube mäandert.

Geschmäcker sind und bleiben verschieden, besonders beim Interieur. Authentizität heißt das strapazierte Zauberwort.
Foto: NYPL Digital Collection (Le guide du fabricant de meubles et du décorateur, 1855)

Mönchszelle

Auf dem leicht lädierten Sofa entkommt mir nicht selten ein laut gesprochenes "herrlich". Wie lange dies in Zeiten wie diesen so bleiben wird, ist eine andere Frage. Auf die, was eine gute Stube ausmacht, bieten sich konkretere Antworten an. Sicher war und ist: Jeder ist seines Wohnglücks eigener Schmied, was nicht zwangsweise mit Quadratmetern und Möbeln aus Hochglanzmagazinen zu tun haben muss.

Als ich vor zehn Jahren meine Wohnung bezog, schwebte mir eine etwas großzügigere Mönchszelle vor. Bett, Kasten, nackig-weiße Wände, Kochstelle, Bad und sonst nix. Mein Wohnzimmer bestand aus einem Schreibtisch, einem Fernseher, einer kugeligen Bodenleuchte und einem feuerwehrroten Teppich, der auch als Sofa diente. Und heute? Irgendwann explodierte alles. Nicht von heute auf morgen. Es handelte sich um eine schleichende Explosion.

Werde ich gefragt, wie ich wohne, lautet meine Antwort "wie in einem Setzkasten". Man könnte auch von einer dreidimensionalen Pinnwand sprechen. Bekomme ich Besuch, pickt dieser in der Regel erst einmal eine halbe Stunde studierend an den Wänden. Ersparen wir uns die Details dieses Setzkastens aus Fotos, Bildern, Zeichnungen, Seemannschnüren, Bücherstapeln, steinernen Büsten, Kisten aus Holz, Schallplattenstapeln etc. Von meiner Decke baumelt statt einer Lampe ein großes Modell eines Hubschraubers. Reicht das? Mein Zuhause ist ein Himmelreich für Staubwedel. Die Hölle jeder Putzfrau! Swiffer liebt mich.

Die richtigen Noten

Um auf den Punkt zu kommen: Es gibt viele Arten von Stuben zwischen Mönchszelle, Zirbenstube und gepflegtem Trödelladen. Ob es sich dabei um wirklich gute Stuben handelt, diese Interpretationshoheit liegt im Auge des Betrachters, genauer gesagt im Auge des Bewohners, nicht in jenem des Besuchers. Prestige und das Bedürfnis nach Repräsentation waren noch selten gute und meist teure Einrichtungsberater. Geschmäcker sind und bleiben verschieden. Authentizität heißt das strapazierte Zauberwort. Eine gute Wohnung wächst mehr oder weniger kontrolliert. Wohnen heißt Leben, und Wohnen heißt, sich selbst in den eigenen vier Wänden zu finden, egal ob man dem Stil des White Cube frönt, zu den gebürsteten Stahlrohrtypen zählt oder der floralen Patchwork-Fraktion anhängt.

Eine gute Stube funktioniert wie ein Orchester. Die Triangel hat ebenso ihren Platz wie die Basstuba. Der Bewohner wird zum Dirigenten. Er bestimmt, welches Stück gespielt wird. Rolling Stones? Gut! Wagner? Auch gut! Helene Fischer? Wem’s gefällt! Ein Chor aus allem? Warum nicht?!

Gutes Wohnen funktioniert nicht auf Rezept, schon gar nicht auf Zeitdruck. Sucht man nach den richtigen Noten für sein eigenes Wohnstück, lauten diese wachsen lassen, betrachten, improvisieren. Wer sagt, dass Bett Dunvik von Ikea nicht zur Kredenz der Oma passt, die selbstangepinselte Weinkiste und der Klassiker aus dem Bauhaus nicht neben einer Bierbank als Sideboard bella figura macht? Man schaffe sich seine eigene Homestory mit der Betonung auf Story!

Stubensatellit

Die Jahrhundertdesigner Charles und Ray Eames sprachen von Design als "a method of action", von etwas, das man tut, nicht davon, sich aus Geschmacksunsicherheit dies und jenes aufoktroyieren zu lassen. Was die Eames damit meinen und was wir für besseres Stubenhocken daraus lernen, erklärt Charles Eames’ Gedanke, dass selbst einen Tisch zu decken eine Art von Design sei. Also: Nicht alles ist Design. Aber jeder ist Designer im Sinne seiner Stube. Es geht beim Wohnen um Böden, Wände, Farben, Materialien, Möbel, Inszenierungen, um Sound und natürlich um Licht.

Der Philosoph Alain de Botton, unter anderem Autor des Buchs Glück und Architektur – Von der Kunst, daheim zu Hause sein, beantwortet die Frage nach dem idealen Daheim: "Da zitiere ich Stendhal: ‚Es gibt so viele Arten von Schönheit wie Visionen von Freude.‘" Wirklich zu Hause sei man, sagt der Denker, wenn eine Übereinstimmung zwischen Möbeln und Persönlichkeit verspürt werde. Der deutsche Fachmann für Wohnpsychologie, Uwe Linke, spricht von einem Aneignungsprozess, der niemals in Form einer fixfertig eingerichteten Wohnung passieren kann.

Jede Stube samt ihrem Drumherum verfügt über ein Zentrum. Für viele ist dies die Küche, für manche das Sofa. Um dieses Herz, um es etwas poetischer auszudrücken, kreisen als notwendige Innereien die Stubensatelliten. Die Größe dieses Herzens ist irrelevant. Für diese Behauptung muss auch nicht unbedingt Schiller mit seinem Sager "Raum ist in der kleinsten Hütte für ein glücklich liebend Paar" zitiert werden. Aber es kann nicht schaden. Und Gültigkeit hat dieser Spruch gerade in Zeiten von schrumpfendem Wohnraum nicht nur für ein liebend Paar.

Rückzug und Hygge

Marcel Proust, gut, er war asthmakrank und von unzähligen Ängsten heimgesucht, schrieb seinen Romanzyklus Auf der Suche nach der verlorenen Zeit großteils im Bett, Diogenes lebte in einem Fass. Betrachten Sie Carl Spitzwegs Gemälde Der arme Poet. Bei aller Armseligkeit des Dichters in seiner Dachstube strahlt das Bild eine anziehende Heimeligkeit aus. Will er raus? Schaut nicht danach aus.

Womit wir beim Thema Budget angelangt wären. Der deutsche Wohnpsychologe und Buchautor Uwe Linke spricht davon, dass teure Einrichtungen oft langweiliger sind als jene von kreativen Menschen mit schmalem Budget.

Vor allem in Zeiten wie diesen, da unsere Wohnung uns und wir ihr unser wahres Gesicht zeigen, lohnt es sich, seine Stube unter die Lupe zu nehmen. Schon länger ist die Rede von einem Neobiedermeier, von Rückzug und Hygge. Skandinavischer Wohnstil ist mehr denn je im Trend – also ein Einrichtungsmuster aus Gefilden, in denen die Menschen licht- und wetterbedingt viel mehr in der eigenen Wohnung zusammenrücken als in südlichen Ländern.

Die Tatsache, dass man zurzeit mehr Wohnen muss als je zuvor, ist eine gute Chance, sich mit seinen vier Wänden auseinanderzusetzen, aus diesem zwangsweisen Neobiedermeier etwas zu machen, das der Definition der Strömung ein gutes Schnippchen schlägt.

Der Rückzug in seine Stube muss weder etwas spießig Kleinbürgerliches noch eine Flucht in eine Pseudoidylle sein. Jetzt sind die Zeiten, sich das bewusst zu machen. Es gibt viele Formen häuslichen Glücks, ob man sich einen Hubschrauber an die Decke hängt oder seine Freude im White Cube findet. Hauptsache, man dreht den Schlüssel gerne um. Beim Heimkommen. (Michael Hausenblas, RONDO, 12.4.2020)