Zehntausende Mitarbeiter der Sozialwirtschaft sind in Zeiten von Covid-19 mehr denn je gefordert.

Foto: Elmar Gubisch

Österreich muss aus der Corona-Krise Lehren ziehen", sagt Erich Fenninger. Für den Chef der Volkshilfe offenbaren viele aktuelle Turbulenzen in der Sozialwirtschaft, was in den vergangenen Jahrzehnten schiefgelaufen sei – ob durch die Verlagerung von sensiblen Bereichen wie der Medizintechnik aus Europa hinaus in Billiglohnländer oder den Umgang mit Pflegepersonal.

Fenninger erinnert daran, dass in der 24-Stunden-Betreuung von hilfsbedürftigen Menschen erheblich mehr Österreicher arbeiten würden, wenn die Branche besser bezahlt wäre. So aber sei die Abhängigkeit von Personal aus dem Ausland hoch. "Es wird nach Corona viele Gespräche mit der Politik geben müssen." Die Arbeitsbedingungen für Sozialberufe gehörten verbessert. Menschen, die diese ausüben, seien, wie sich jetzt zeige, bereit, dafür hohe gesundheitliche Risiken einzugehen. Ihre Arbeit sei systemerhaltend.

Turbulente Lohnrunde

In den Wochen vor dem Ausbruch des Virus in Österreich ging eine der turbulentesten Lohnrunden in der Geschichte der Sozialwirtschaft über die Bühne. Seit November rangen die Sozialpartner um neue Kollektivverträge für den privaten Gesundheits-, Pflege- und Sozialbereich. Demonstrationen und Streiks flankierten die Duelle. Politik und Wirtschaft übten hinter den Kulissen Druck aus und sparten nicht mit lauten öffentlichen Zwischenrufen. Im Endspurt brach auch noch Corona herein und brachte die Verhandlungen kurzzeitig zum Erliegen.

In der Nacht auf Mittwoch gelang nun doch eine Einigung. Sie gilt für die kommenden drei Jahre für 125.000 Beschäftigte, von mobilen und stationären Pflegekräften über Betreuer von Kindern, Obdachlosen, Suchtkranken und Flüchtlingen bis hin zu Mitarbeitern in der Sozialpsychiatrie. 70 Prozent von ihnen sind Frauen.

Rückwirkend höhere Löhne

Die Beschäftigten erhalten ab Februar rückwirkend um 2,7 Prozent höhere Löhne und Gehälter. Knapp 70 Prozent arbeiten im direkten Kontakt zu Menschen, sie erhalten eine pauschale Gefahrenzulage von 500 Euro. Ab 2021 erhöhen sich die Einkommen neben der Abgeltung der Inflationsrate um 0,6 Prozent. Zuschläge und Zulagen steigen um 2,7 Prozent. 2022 reduziert sich die wöchentliche Arbeitszeit von 38 auf 37 Stunden.

Corona hatte zuvor den Handlungsdruck massiv erhöht, machte das Tauziehen aber nicht einfacher. Verhandlungsräume wurden geschlossen, persönliche Gesprächstermine ebenso abgesagt wie Demonstrationen. Die Sozialpartner verlegten den Diskurs in die digitale Welt. Am Montag legten die Arbeitgeber ein verbessertes Angebot vor. Die Arbeitnehmer stimmten darüber via Mail ab.

"Schritt in die richtige Richtung"

"Es ist ein Schritt in die richtige Richtung", sagt Eva Scherz, Chefverhandlerin der GPA-djp. Die 37 Stunden seien die bisher kürzeste Arbeitszeit, die in einem Branchenkollektivvertrag verankert wurde. Sie seien eine Annäherung an die Realität der Arbeitswelt der Sozialwirtschaft, in der 70 Prozent der Beschäftigten Teilzeit arbeiten. In der mobilen Pflege liegt der Anteil der Vollzeitbeschäftigten nur bei zehn bis dreizehn Prozent. Eine Stunde weniger Arbeit bedeutet eine jährliche Lohnerhöhung von 2,7 Prozent.

Wie für Scherz bleibt auch für Michaela Guglberger, die für die Gewerkschaft Vida die Verhandlungen führte, die Forderung nach der 35-Stunden-Woche aufrecht. "Wir haben den Fuß in der Tür."

Guglberger spricht von einem verantwortungsvollen Abschluss in schwierigen Zeiten. Keiner wisse, was im Herbst noch auf Österreich zukomme. Kürzere Arbeitszeit werde nicht alle Probleme lösen, aber sie sei ein Signal, resümiert Fenninger, der Vorsitzender der Sozialwirtschaft ist. "Wollen wir mehr Menschen für die Sozialarbeit gewinnen und bestehende Mitarbeiter binden, braucht es etwas Besonderes."

Schutzausrüstung fehlt

Die Sozialwirtschaft steht in Zeiten von Corona im Mittelpunkt des Geschehens. Während einzelne Betriebe stillstehen, wird in anderen rund um die Uhr gearbeitet. 35 Unternehmen meldeten Kurzarbeit an, da Dienste wie Kinderbetreuung oder Schulungen für den Arbeitsmarkt behördlich ruhend gestellt wurden. Andere setzen Mitarbeiter hoher Gefahr aus, sich mit dem Virus zu infizieren.

Quer durch die Branche fehlt es an Schutzausrüstung. Seit einem Monat appelliere man an die Regierung, den Mangel zu beheben. Unternommen worden sei viel zu wenig, ärgert sich Fenninger.

Als finanziell herausfordernd sieht er die mobile Pflege, die stundenweise bezahlt wird. Es engagierten sich nun zwar mehr Angehörige in der Betreuung. In Summe werde die Zahl der Kranken in den kommenden Wochen aber stark steigen. Es brauche daher Personal, um den Pflegebedarf zu stemmen. "Fördergeber müssen darauf elastischer reagieren." (Verena Kainrath, 2.4.2020)