Foto: privat

Pro
von Helga Gartner

Als Adriano Celentano und ich noch sehr jung waren, fand ich ihn nicht sehr fesch. Kürzlich aber tanzte er mir auf einem Video hüftschwingend entgegen. Ich musste mir eingestehen: schon sehr markant, aber molto attraente. Scheinbar ist der Blick zurück immer ein milder, fast schon wehmütiger.

In Zeiten des Stillstands schauen die Menschen gerne zurück in die "gute alte Zeit". Sie zeigen auf Facebook und Instagram, wie sie als Babys pausbäckig auf Eisbärfellen liegen, wie sie stolz und ohne Vorderzähne ihre Schultüte in die Kamera halten oder in Jesolo am Strand Sandburgen bauen. Das ist intim, aber wie wir als Kleinkinder angezogen waren, haben schließlich unsere Eltern entschieden.

Also poste ich mein Foto, auf dem Klein Helga frech im Skihäschenanzug um die Ecke schaut. Und freu mich, dass schon in der einjährigen Lydia im fernen Transsylvanien das heutige Temperamentbündel durchblitzt. Jetzt ist es Zeit, näher zusammenzurücken, blättern wir gemeinsam im Fotoalbum.

Kontra
von Amira Ben Saoud

Während sich draußen die Straßen leerten, wurde es im WWW gerade so richtig eng. Sogar Facebook, auf dem sich nur noch die völlig abgehängten Internethinterwäldler wie ich herumtreiben, erlebt ein Revival. Als wäre es 2016, wird da wieder alles geteilt, was einem in den Unsinn kommt.

Jetzt posten auch noch allerhand Menschen Fotos von sich selbst, aus vermeintlich besseren Zeiten, als sie noch Kinder waren. Konsistent ist das insofern, als die Bilder die Menschen in dem geistigen Alter zeigen, das sie auch heute noch haben. Denn auf Kettenbriefe antwortet man als Volksschüler: und zwar einmal und nie wieder.

Heute heißt so etwas Challenge – und es ist auch eine Herausforderung, nämlich für alle, die es sehen müssen. Den Leuten ist so fad, dass sie jetzt wieder zu ihren alten Fotoalben greifen. Sollen sie, teilen muss man’s nur nicht! Zur Schau gestellte Fadesse mit einer Prise Egozentrik und Nostalgie interessiert wirklich niemanden. (RONDO, 3.4.2020)