Covid-19 passt nicht in ein einzelnes Schulfach. Das Coronavirus selbst gehört zur Biologie, für die Berechnung der Ausbreitung braucht es Mathematik, die Konsequenzen betreffen die Gesellschaft, die Wirtschaft, die Politik. Um mit dem Coronavirus umzugehen, braucht es Selbstregulation, also die Fähigkeit eines Menschen oder eines Systems, sich an Neues anzupassen – und genau das verspricht das Konzept des projektbasierten Lernens, führt Bildungspsychologin Christiane Spiel von der Universität Wien aus.

Anstatt sich dem Leben und dem Lernen über Fächer zu nähern, beginnt man bei einem Projekt oder einem Problem. Die Hoffnung: So lernen wir, die Dinge von mehreren Seiten zu betrachten, Verbindungen herzustellen, wir bleiben flexibel und fahren uns nicht auf ein System fest, aus dem wir nicht mehr herauskönnen.

Ein Stundenplan trennt strickt Fach von Fach – aber nicht überall.
Foto: imago/Jochen Tack

Enttäuschender Schulversuch

Das österreichische Schulsystem ist davon abgesehen von einigen Schulen und Schulversuchen noch weit entfernt. Nehmen wir das Beispiel Stundenplan, dem sich die "Schulsache" in dieser Kolumne widmet. Jedes Schulfach hat seine Einheit, Überschneidungen gibt es kaum. Während meiner Schulkarriere gab es dazu eine Art Revolution. Zu Schulbeginn trugen wir in die Spalten unserer Stundenpläne nicht "BU" (Biologie und Umweltkunde), "PH" (Physik) und "CH" (Chemie) ein, sondern "BU/PH" und "PH/CH". Die Revolution hieß "Schulversuch fächerübergreifender Unterricht". Ich freute mich darauf, leider wurde ich enttäuscht.

In der Theorie sollten unsere Lehrerinnen und Lehrer Themen behandeln, die beide Fächer betreffen. In der Praxis hielt der Biologielehrer die eine Hälfte der Stunde ab und die Physiklehrerin die andere. Die Revolution blieb aus. Das fixe System, wie es unsere Lehrer gewohnt waren, hat gewonnen.

Beispiel Finnland

Finnland ist beim projektorientierten Unterricht weiter. Mit der Modernisierung der Lehrpläne 2014 wurden schrittweise fächerübergreifende Lernmodule eingeführt. Die einzige Vorgabe an die Schulen: Die Projekte müssen zum Lehrplan passen, es müssen mehrere Unterrichtsgegenstände betroffen sein, und die Schüler dürfen mitentscheiden. In ihren Jahresplänen beschreiben die Schulleitungen ihre Module und inwiefern sie sich am vorgegebenen Lehrplan orientieren.

Das Land im hohen Norden hat schon seit 1998 eine Tradition des fächerübergreifenden Unterrichts, seit 2016 ist er für die unteren Schulstufen verpflichtend, seit 2020 für alle Schüler der finnischen Gesamtschule. "Die Schüler sehen so die Beziehungen und Abhängigkeiten zwischen Phänomenen", begründet Marjo Rissanen von der finnischen Bildungsagentur den Schritt. "Sie können ihr Wissen und ihre Fähigkeiten auf verschiedene Gebiete anwenden."

Neue Weltsicht

Die Möglichkeiten sind vielfältig und reichen vom gemeinsamen, fächerübergreifenden Unterricht über Projekte, die in mehreren Fächern behandelt werden, bis zu Projekttagen und Ausflügen. So würde auch Teamwork und gemeinschaftliches Lernen gefördert, sagt Rissanen. Darüber hinaus würden Schüler ihren Horizont erweitern und ihre Sicht auf die Welt neu strukturieren.

Auch in Österreich gibt es fächerübergreifende Lehrinhalte, und in einem Rundschreiben fordert das Bildungsministerium zu projektorientiertem Unterrichten auf. Zehn Bildungsanliegen und zehn Unterrichtsprinzipien wie Medienbildung und Sexualpädagogik sollen in allen Fächern vorkommen.

Sollen es alle machen, macht es keiner

Die Gefahr dabei: Wenn es alle behandeln sollen, behandelt es niemand, sagt Bildungspsychologin Spiel. In einer Studie wurde das Wissen von Lehrpersonen über das Unterrichtsprinzip interkulturelle Bildung untersucht. Die Ergebnisse waren ernüchternd. "Der Stellenwert der interkulturellen Bildung und das Wissen darüber sind nicht sehr hoch", sagt Spiel.

Der erste Schritt bezüglich des Stundenplans in Österreich müsste laut Spiel aber ohnehin sein, die Rahmenlehrpläne zu entrümpeln. "Wir müssen uns auf ein Minimum einigen, das möglichst alle erreichen sollten. Das wäre die Pflicht. Die Kür wären dann individuelle Vertiefungen und Schwerpunktsetzungen", rät sie.

Kompaktere Lehrpläne

Vorgenommen hat sich das auch die aktuelle türkis-grüne Bundesregierung. Als Ziel steht im Regierungsprogramm die Ausarbeitung und flächendeckende "Einführung von neuen, kompakt und konkret gehaltenen Lehrplänen" sowie die "Fokussierung der neuen Lehrpläne auf Kompetenzvermittlung und klare Unterrichtsziele".

Spiel befürwortet diese Pläne. Denn Entrümpelung bei gleichzeitiger Aufnahme notweniger zukunftsorientierter Inhalte sowie die Fokussierung auf Kompetenzvermittlung werden notwendig sein, um die Jugendlichen auf eine Welt mit solchen Herausforderungen, wie wir sie gerade erleben, entsprechend vorzubereiten.

Pädagogen ausbilden

Damit fächerübergreifender Unterricht nicht so endet wie in meiner Schulzeit, sind Fortbildungen von Lehrpersonal und auch Änderungen bei der Ausbildung von Pädagogen notwendig. In Finnland seien die Schulen eine Lerngemeinschaft, und die Fähigkeit zur Kooperation von Lehrerinnen und Lehrern sei in einer solchen sehr wichtig, sagt Rissanen vom finnischen Bildungsministerium. Es sei typisch für finnische Schulen, dass Lehrer im Team arbeiten. Dennoch fördere die Regierung für die Umsetzung des neuen Konzepts die zusätzliche Ausbildung von Lehrern und Direktoren. (Lisa Kogelnik, 3.4.2020)