Über Jahre Profiteur und Produzent digitaler Desinformation: US-Präsident Donald Trump, hier Ende März 2020.

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Nach der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten November 2016 sparten die amerikanischen Journalisten nicht mit Selbstkritik. Zu sehr habe man den politischen Neuling unterschätzt, zu sehr habe man den Einfluss etablierter Medien überschätzt. Zwei Faktoren, die maßgeblich zum Sieg Trumps beitrugen. Er hatte die Mechanismen der Onlinemedien meisterhaft für sich genutzt. Diesmal wollen die Journalisten darauf vorbereitet sein. Rund sieben Monate vor der Wahl am 3. November steht der Kampf gegen Manipulation, Desinformation und Fake News in den sozialen Netzwerken ganz oben auf der Agenda.

Bedrohung von außen und innen

US-Geheimdienste warnten unlängst davor, dass dieser Wahlkampf für feindliche Einflussnahme noch anfälliger sein könnte, als der letzte. Russland mische sich erneut ein. Und zwar nicht nur zugunsten des Republikaners Trump, sondern auch zugunsten des Demokraten Bernie Sanders. Die Logik dahinter: Sanders sei zu links, um gegen Trump zu gewinnen – und deshalb aus russischer Sicht der richtige Gegenkandidat. Doch nicht nur aus dem Ausland droht Manipulation. Schon vor vier Jahren trieb die Republikanische Partei die Desinformation ebenso voran. Zu dieser Erkenntnis kamen Yochai Benkler, Robert Faris und Hal Robert in ihrem 2018 erschienenen Buch "Network Propaganda", in dem sie die Situation von 2016 intensiv analysieren.

Großer Fan von europäischen Regelungen für die Verantwortung von Social Networks: Anya Schiffrin, Leiterin des Fachbereichs Medien, Technologien und Kommunikation an der School of International and Public Affairs an der Columbia University.
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Auf dem Internationale Journalismus-Festival in Perugia hätte Anya Schiffrin diese Woche genau über diese Probleme gesprochen. Doch die Coronavirus-Pandemie wirbelt derzeit nicht nur den Wahlkampf in den USA durcheinander, sondern führte auch zur Absage des Festivals in Italien. Via E-Mail nahm die Leiterin des Fachbereichs Medien, Technologien und Kommunikation an der School of International and Public Affairs an der Columbia University auf Anfrage Stellung. Sie nennt Lösungsvorschläge gegen die Demokratie- und Gesellschaft gefährdenden Trends in den sozialen Medien.

36 Prozent nicht vertrauenswürdige Websites

An den Journalisten selbst liege es, den "Glauben an die Medien wiederherzustellen", sagt Shiffrin (Stichwort: fact-checking). "Im Grunde", so meint sie außerdem, "beruht sinkendes Vertrauen in die Medien zumindest teilweise auf dem Versäumnis, der Flut falscher und ungenauer Behauptungen in den heutigen Informationskriegen entgegenzuwirken".

Flut ist keine Übertreibung, unterstreicht eine Statistik von NewsGuard. Laut den im Februar veröffentlichten Zahlen des 2018 gegründeten Start-ups zur Schaffung von mehr Transparenz im Onlinebereich galten 36 Prozent der überprüften US-Nachrichten-Websites als nicht zuverlässig. NewsGuard hat außerdem festgestellt, dass mehr als jede zehnte Interaktion mit Nachrichten auf Twitter und Facebook mit Inhalten von unzuverlässigen Websites zusammenhängt. Diese Desinformationen – seien sie bewusst oder unbewusst in Umlauf gebracht – gilt es zu vermindern.

Mit einem weiteren Lösungsvorschlag nimmt Schiffrin die Kontrollorgane in ihrer Heimat in die Pflicht: "Ich bin ein großer Unterstützer von Regulierungen, wie sie es in Europa gibt. Wie auch alle meine Kollegen bin ich dafür, den Paragraph 230 des Communications Decency Act abzuschaffen", sagt sie. Durch diesen Paragraph sind Internetdienstanbieter vor gesetzlichen Maßnahmen geschützt, die auf Grund von Handlungen der Nutzer zustande kommen könnten. Facebook & Co. sind also nicht dazu verpflichtet, Fake News zu unterbinden. Eine rasche Gesetzesänderung ist nicht in Sicht. Weswegen Schiffrin generell "mehr Anstrengungen der Technologieunternehmen" fordert. Zum Beispiel, wenn es um die verstärkte "Offenlegung von Quellen politischer Werbung" in den sozialen Netzwerken geht.

Twitter vorbildlich – Facebook in der Kritik

Twitter, Spotify, LinkedIn und TikTok verbannten politische Werbung zur Eindämmung von Falschmeldungen inzwischen komplett. Google und die Tochtergesellschaft YouTube schränkten immerhin die Möglichkeiten ein, gezielt Wahlwerbung zu platzieren und betonten zudem, dass falsche Angaben in jeglicher Werbung gegen interne Regeln der Plattformen verstoßen. Dennoch vermeldete das Marktforschungsunternehmen eMarketer Mitte Februar, dass die Ausgaben für digitale politische Werbung in den USA für den Zyklus 2019/2020 ein Rekordhoch erreichen und erstmals die Marke von einer Milliarde US-Dollar überschreiten werden. Der Großteil der insgesamt 1,34 Milliarden US-Dollar entfällt auf Facebook .

Die von Mark Zuckerberg gegründete Social-Media-Plattform steht im Zuge der aktuellen Präsidentschaftskampagne am meisten in der Kritik. Der Grund: Bereits im Oktober hatte Zuckerberg bekräftigte, dass Wahlwerbung auf Facebook – anders als andere Inhalte – nicht auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft werde. Vor wenigen Wochen wurden nun rund 2000 irreführende Wahlwerbe-Anzeigen von Trump nachträglich von der Plattform gelöscht.

Sie hatten gegen Richtlinien der Plattform verstoßen, weil sie eine Verbindung zur ebenfalls heuer stattfindenden Volkszählung herstellten. Nutzer wurden dazu aufgefordert, an einer Umfrage teilzunehmen, die angeblich vom offiziellen US-Zensus durchgeführt wurde. In Wahrheit gaben die Nutzer beim Ausfüllen ihre Daten und andere persönliche Informationen an eine Website der Trump-Kampagne weiter. Zu einem Verbot von Desinformationen im Zuge der Volkszählung hatte sich Facebook im Dezember entschieden. Dass es trotzdem noch zur Verbreitung der Wahlwerbe-Anzeigen kam ist umso verwunderlicher.

Instagram-Influencer als Wahlhelfer

Auch die zum Mutterkonzern Facebook gehörende Plattform Instagram verleitete einen Präsidentschaftskandidaten im aktuellen Wahlkampf dazu, die Regeln der sozialen Netzwerke und ihre Durchsetzung auszutesten. Der inzwischen aus dem Kandidatenrennen der Demokraten ausgeschiedene Mike Bloomberg bezahlte Instagram-Influencer dafür, humorvolle Botschaften von ihm zu verbreiten. Diese waren nicht als politische Werbung gekennzeichnet. Erst daraufhin änderte Facebook im Februar seine Kennzeichnungsregeln.

Die internen Regelungen der sozialen Netzwerke als Werkzeuge gegen Manipulation, Desinformation und Fake News sind also mit Vorsicht zu genießen. Davon ist auch Medien-Expertin Schiffrin überzeugt. Für eine Problemlösung, die über den Zuständigkeitsbereich von Journalisten hinaus geht, plädiert sie daher für einen "Mix aus internen Regulierungsmaßnahmen der Plattformen und staatlichen Regulierungen". (Michael Stadler, 4.4.2020)