Coronaviren haben wir momentan ebenso im Überfluss wie Zeit. Die Viren sind ein Fluch, die geschenkte Zeit ist ein Segen. Denn selbstverständlich nützen zivilisierte Menschen die vielen schönen Stunden, die sie jetzt zu Hause verbringen dürfen, zur intensiven Selbstkultivierung, welche man sonst kaum in seiner Agenda unterbringt.

Es gilt, Wissenslücken zu stopfen, Vokabeln zu lernen, kostbare Gedankengänge, die man im Kopf trägt, zu polieren und zu ziselieren. Nutzen wir diese Chance – wer weiß schon, wann die nächste Epidemie winkt!

Das Spielbrett befördert die eigenen Geografiekenntnisse über die USA. Die Kenntnisse über die Spielregeln blieben aber vage.
Foto: Winning Moves

Philosophisch interessierte Geister lesen zum zweiten Mal die Kritik der reinen Vernunft, um sich damit auf die Lektüre der Phänomenologie des Geistes vorzubereiten. Wer es mehr mit der Belletristik hat, hat den Mann ohne Eigenschaften, den Ulysses und À la recherche du temps perdu auf dem Nachtkästchen liegen. Mit diesem Lesepensum kommt man in der Regel drei, vier Monate lang gut aus.

Brettspiel

Zwischen den Studierzeiten sind entspannende Aktivitäten angesagt, wie zum Beispiel Löcher in die Luft starren, Maulaffen feilhalten oder Gesellschaftsspiele spielen. Meine Frau und ich haben uns fürs Spielen entschieden. Wir sind begeisterte Spieler und setzen uns durchschnittlich sicher alle neun oder zehn Jahre einmal zusammen an den Wohnzimmertisch, um uns in ein Brettspiel zu vertiefen.

Dieses Mal entschieden wir uns für ein Spiel, bei dem es darum geht, möglichst lange Eisenbahnlinien durch die USA zu bauen. Es wurde als Spiel des Jahres ausgezeichnet, weil es neben dem Angenehmen auch Nützliches bietet. Beim Blick auf das Spielbrett prägt man sich die Lage der amerikanischen Städte so gut ein, dass man sich danach in der US-Geografie besser auskennt als Donald Trump.

Wir brauchten etwa zwanzig Minuten, um Spielbrett, Spielkarten und Spielfiguren aufzustellen. Sodann lasen wir abwechselnd die großformatige, eng bedruckte Spielanleitung, weil wir das Spiel vor zwölf Jahren zum letzten Mal gespielt und die Spielregeln vergessen hatten.

Danach wussten wir immer noch nicht, wie man das Spiel beginnt. Das alles ermüdete uns so sehr, dass wir den Spielversuch abbrachen und Spielbrett, Spielfiguren und Spielkarten wieder einräumten. Ein gelungener Spieleabend also, und wir freuen uns schon auf den nächsten. Zeit genug haben wir ja. (Christoph Winder, ALBUM, 5.4.2020)