Als Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) vergangenen Montag in der "ZiB spezial" mitteilte, dass man nicht wolle, dass österreichische Intensivstationen "übergehen wie in Italien", und bereits am selben Tag via APA die Meldung erschien, dass nur noch ein Drittel der Beatmungsgeräte in Österreich frei sei, ließ die Reaktion der Bundesländer nicht lange auf sich warten. Von Vorarlberg bis ins Burgenland wurden korrigierte, höhere Zahlen zu verfügbaren Beatmungskapazitäten vermeldet. Wie kommt's? Eine Vermutung, die ein großes Datendilemma aufzeigt.

Erstes Datendilemma

Kurz bezieht sich laut APA vom 30. März auf "2.584 Beatmungsgeräte" in Österreich – mit unterschiedlichen Pro-Kopf-Verteilungen und noch freien Kapazitäten in den Bundesländern. Diese Zahl, so scheint es, ist der "Jahresmeldung Krankenanstaltenstatistik" des Gesundheitsministeriums entnommen. Diese führt für Österreich 2.547 Intensivversorgungsbetten an – wohlgemerkt in den zugänglichen Zahlen für das Jahr 2018.

Die erste Krux, die sich hier neben dem Faktum, dass diese Betten auch Kapazitäten für Kinder und Jugendliche beinhalten, zeigt, ist, dass gemäß Qualitätskriterien des Österreichischen Strukturplans Gesundheit (ÖGS) nicht für jedes Intensivversorgungsbett in Österreich auch gleich ein Beatmungsgerät zur Verfügung stehen muss. Beispielsweise kann eine Intensivstation der Stufe 1 eine "Anzahl der Betten minus drei Geräte – mindestens ein Gerät" aufweisen, also drei Beatmungsgeräte weniger als Intensivbetten haben, um als Intensivstation gelistet zu werden – bei einer Mindestgröße von sechs Betten pro Intensivstation. Einer Intensivüberwachungseinheit (IMCU) muss gar überhaupt nur ein Beatmungsgerät pro Station zur Verfügung stehen. Es könnte also mit jedem der knapp 2.600 Betten die Möglichkeit zur Beatmung bestehen – muss es (und tut es) aber natürlich nicht. Der Umrechnungsfaktor 1 zu 1 von Betten auf Beatmungsgeräte wäre also unzulässig.

Nicht jedes Intensivbett verfügt auch über ein eigenes Beatmungsgerät.

Zweites Datenproblem

Die Reaktion der Länder, in der geradezu empört von höheren Verfügbarkeiten berichtet wird, zeigt das zweite Datenproblem. Wenn am folgenden Tag beispielsweise Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ) in Wien "1.058 Beatmungs-Intensivbetten (853 Intensivbetten für Erwachsene und 205 für Kinder)" auflistet, dann ist das ein gewaltiger Sprung von den 696 gemäß Jahresstatistik 2018 zur Verfügung stehenden Intensivstationsbetten. Wie wurde hier nun gerechnet?

Es scheint, als würden nun tatsächlich (fast) alle Beatmungsgeräte in allen öffentlichen Krankenhäusern, die man theoretisch neben ein Patientenbett stellen kann, in diese Zahlen aufgenommen. Beispielsweise besitzen auch Aufwachräume bereits im täglichen Routinebetrieb – also ohne große "Coronavirus-Umrüstung" – oftmals Möglichkeiten zu intensivmedizinscher Überwachung und Therapie, eben auch zur Beatmung mittels Beatmungsgerät. Hier werden und wurden natürlich durch Umrüstungen – zusätzlich zu den bestehenden, planmäßig aufgestellten Intensivbetten – noch weitere Verfügbarkeiten geschaffen. Auch verfügen Krankenhäuser standardmäßig oftmals über Reserven an Geräten beziehungsweise könnten auch initial nicht dafür eingesetzte Beatmungseinheiten (zum Beispiel solche, die sonst nur für den innerklinischen Transport von Patienten vorgehalten werden) nun für beatmungspflichtige Patienten mit Coronavirus verwendet werden. Miteinberechnet werden müssten aber natürlich weiterhin Reserven für Geräteausfälle und Patiententransporte.

Ganz abgesehen davon, dass nicht jedes Krankenhaus und jede Abteilung durch bloße Verfügbarkeit eines Beatmungsgerätes in der Lage ist, Patienten über längere Zeit zu beatmen beziehungsweise zu überwachen und zu therapieren. Die intensivmedizinische Versorgung schwerkranker Patienten beschränkt sich (auch bei Patienten mit Coronavirus) ja zu einem Großteil nicht auf bloße Atmungsunterstützung. Ob diese Faktoren eingerechnet wurden, bleibt aufgrund der Äußerungen aus den Bundesländern unklar. Meldungen wie jene aus Niederösterreich, laut der "in den ursprünglich genannten Zahlen irrtümlich um 100 freie Geräte zu wenig angegeben waren", lassen jedenfalls zweifeln. Für eine valide Berechnung der zur Verfügung stehenden intensivmedizinischen Kapazitäten scheinen die von den Bundesländern nun veröffentlichten Zahlen aber ebenso wenig geeignet.

Geradezu grotesk wird es nämlich dann, wenn – wie zum Beispiel in Tirol und im Burgenland – zu den zur Verfügung stehenden Beatmungsgeräten auch "Narkosegeräte" aus den OP-Sälen hinzugezählt werden. Anhand dieser ultimativen Notfallressource zu planen würde jegliche akutmedizinische Versorgung (es gibt weiterhin auch noch andere Notfälle während der Coronavirus-Pandemie, die unter Umständen eine operative Versorgung benötigen) gefährden und kann keinesfalls zur Gestaltung der Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie planmäßig einkalkuliert werden. Es gibt keinen guten Grund anzunehmen, dass wir auf einen solchen massiven Notfallbetrieb zusteuern.

Drittes Dilemma

Das dritte, wenn auch nicht letzte – aber dafür vermutlich größte – Problem im Zusammenhang mit diesen "Berechnungsmethoden" stellt sich in der – bisher öffentlich komplett ausgeblendeten – Frage nach dem Personal. Es würde wohl niemand auf die Idee kommen, die Transportkapazität aller Lkws in Österreich anhand deren bloßer physischer Existenz zu berechnen. Es braucht auch Personen, die diese lenken können (und dürfen), also mit einem Führerschein der entsprechenden Klasse, idealerweise inklusive Fahrpraxis, oder – wenn man sich schon im Notfallmodus befindet – zumindest bloßer Erfahrung im Steuern dieser Fahrzeuge ausgestattet sind. Sonst wird der entsprechende Transporter – im besten Fall – nie in Betrieb genommen. Oder fährt in den Graben. Hier muss also für eine realistische Berechnung der Betreuungskapazität beatmungspflichtiger Patienten unbedingt das medizinische Personal, insbesondere die verfügbaren Intensiv- und Anästhesie-Pflegefachkräfte sowie Intensivmediziner, inklusive aller zu erwartenden Ausfälle, miteinberechnet werden.

Zusammenfassend muss man feststellen: Was im Routinebetrieb, abseits von Pandemien und Katastrophen, störend und mühsam ist, wird nun tatsächlich brisant und gefährlich – nämlich die Qualität der verfügbaren Daten. Natürlich sind in einer neuartigen Situation mit einem neuartigen Virus gewisse Zahlen einfach nicht von vornherein verfügbar, müssen erst erarbeitet und können vermutlich teilweise auch erst im Nachhinein beurteilt werden. Ebenso ist es vermutlich noch zu früh, um mit Sicherheit sagen zu können, welche der Maßnahmen, die nun gesetzt werden, richtig, falsch oder sinnlos sind. Was jedoch an Daten verfügbar ist und als Berechnungsgrundlage für – teils gravierende – Maßnahmen dient, muss in bestmöglicher Qualität aufgearbeitet werden. Hier zeigt sich ein – teilweise äußerst unnötiges – österreichisches, aber auch europäisches Datendilemma.

Es muss also an alle Beteiligten – insbesondere die Bundesregierung – der Appell ergehen, die verfügbaren Daten qualitativ auf den höchstmöglichen Stand zu bringen und nur mit solchen Zahlen zu jonglieren, die auch einer tiefergehenden Überprüfung standhalten. Gerade wenn in Zusammenhang mit der Umsetzung von Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie bereits mehrmals der – sicher nicht immer korrekt verwendete – Begriff "Big Data" fällt, muss zuerst einmal alles darangesetzt werden, die zur Verfügung stehenden "Small Data" korrekt aufzuarbeiten. Es besteht hier nämlich die große Gefahr eines Dominoeffekts an Entscheidungen, die anhand inkorrekter Grundlagen getroffen werden, der sich durch alle Entscheidungsträger und verantwortlichen Berufsgruppen ziehen könnte – oder dies bereits tut. (Lukas Infanger, 3.4.2020)