Die internationale Kunstszene hat sich aufgrund von Fehleinschätzungen der Corona-Krise teilweise nicht mit Ruhm bekleckert. Konkret der eine oder andere Messeveranstalter, der sein Event ab Ende Februar 2020 partout durchzog, obwohl längst Vorsicht geboten gewesen wäre, wie man jetzt weiß.

Von 29. Februar bis inklusive 1. März kamen insgesamt mehr als 95.000 Besucher zur Kunstmesse "Arco" nach Madrid – nun wurde die Ifema-Messehalle zu einem Notspital umfunktioniert.
Foto: AFP

Weil sowohl die Aussteller – zwischen 250 und 300, zuzüglich deren Mitarbeiter – als auch Besucher und Medienvertreter aus aller Herren Länder anreisen würden – teils aus solchen, wo Infizierte längst amtlich waren. Oder auch, weil der den Vorjahren ähnelnde Besucherandrang mit Werten jenseits der 70.000-Besucher-Marke absehbar war. Die in Zeiten einer Pandemie mit solchen Menschenmengen einhergehenden Risiken wischte man einfach vom Tisch.

Wenngleich es auf Anfrage in Abrede gestellt wird, den Entscheidungen lagen auch wirtschaftliche Überlegungen zugrunde: Umsatzausfälle oder die Rückerstattung bereits bezahlter Standmieten sollten vermieden werden. Auch im Sinne der Galerien und Kunsthändler, die im Vorfeld viel Geld in ihre geplanten Präsentationen investiert hatten. Totalausfall? Oder doch eine Chance auf zumindest 30 Prozent des Jahresumsatzes? Das galt es abzuwägen, die Antwort auf die Fragen lag leider auf der Hand.

Eine fatale Entscheidung für jene, die als Infizierte nun mit unterschiedlichen Verläufen konfrontiert sind und teils auf Intensivstationen um ihr Leben kämpfen: nicht nur Aussteller, sondern auch zahlreiche Besucher, die die Viren (wieder) in ihre Herkunftsländer trugen. Salopp formuliert war Tirol rückblickend wohl nichts gegen Spanien oder die Niederlande und das "Kitzloch" als Virenschleuder vermutlich ein Zwergerl verglichen mit der Arco Ende Februar in Madrid oder der Tefaf Anfang März in Maastricht.

Stippvisite des spanischen Königs

Konkrete Zahlen sind kaum ermittelbar, weil betroffene Nationen unterschiedliches Engagement beim Tracking an den Tag legen und nur selten Infektionsherde öffentlich gemacht werden. Hinter den Kulissen verbreitet sich die Kunde unter den Ausstellern über betroffene Kollegen und bekannte Klienten dieser Tage aber wie ein Lauffeuer.

Die Tragik der Situation verdeutlichen Aufnahmen aus dem Inneren des Ifema-Messezentrums in Madrid, das jetzt zu einem Notfallspital umfunktioniert wurde. Dort findet seit Jahren die auf zeitgenössische Kunst spezialisierte Arco statt, zu der – neben europäischen Kunstnomaden – stets auch Sammler aus Lateinamerika oder den USA anreisen.

Die königliche Stippvisite bei der "Arco" hat Tradition. Auch heuer besuchte König Felipe VI. gemeinsam mit seiner Ehefrau Letizia die Messe. Die Gefahr der Verbreitung des Coronavirus hatte man zu diesem Zeitpunkt noch falsch eingeschätzt.
Foto: Arco

Heuer kamen 209 Galerien aus 30 Ländern, darunter Teilnehmer aus Italien, Deutschland, Frankreich, Österreich und England. Am Tag der Eröffnung, dem 29. Februar, waren die Fallzahlen noch gering: In Italien lagen sie laut WHO bei 322, in Spanien selbst bei nur zwei. Das Risiko war niemandem bewusst. Sonst hätten König Felipe VI. und seine Ehefrau Letizia von ihrer traditionellen Stippvisite abgesehen – stattdessen genossen sie das repräsentative Bad in der Menge.

Als die Messe am 1. März zu Ende ging, freute sich die Arco in ihrem Pressecommuniqué über die Unterstützung der Kunstwelt in diesen schwierigen Zeiten und bezifferte die Besucherzahl mit 95.000. Wie viele Personen sich dort infizierten, ist unbekannt.

Zeitgleich hatte in Maastricht der Aufbau für die vom 1. bis 15. März anberaumte The European Fine Art Fair (Tefaf) begonnen, die weltweit wichtigste Kunst- und Antiquitätenmesse. 280 Aussteller aus 22 Ländern, deren Mitarbeiter und unzählige Handwerker tummelten sich da schon in der Halle. Darunter 16 Aussteller mit ihrem Team aus Italien. Ein mulmiges Gefühl habe es während des Aufbaus schon gegeben, bekennt der deutsche Galerist Michael Beck, auch war unsicher, ob es überhaupt zur Eröffnung kommen würde. Es kam.

Der Veranstalter hatte im Vorfeld in täglichen Updates alle Zweifel zerstreut. Man stand in laufendem Austausch mit der regionalen Gesundheitsbehörde (Limburg), die grünes Licht gab, und der Bürgermeisterin von Maastricht. Letzterer hätte die Absage einen massiven Umsatzeinbruch in der Gastronomie und Hotellerie ihrer Stadt beschert. Sei es, wie es sei. Man traf auch Vorkehrungen und hatte Spender mit Desinfektionsmittel in der Halle verteilt.

Fragwürdige Einschätzungen

Der VIP-Preview folgte die Vernissage, mit 10.000 Besuchern insgesamt. Während Feuilletons die Souveränität der "Mutter aller Kunstmessen" lobten, die dem Coronavirus trotzten, hatte das Verhängnis bereits seinen Lauf genommen. Das Virus verbreitete sich ungehindert, wie man rückwirkend rekonstruieren konnte. Sowohl Aussteller als auch Jurymitglieder und Besucher, die am Sonntag, den 8. März, in ihre Heimatländer zurückkehrten, hatten sich infiziert.

Das belegen einige Fälle, die bereits in den nächsten Tagen teils starke Symptome entwickelten und positiv getestet wurden. Auch ein italienischer Aussteller, der den Veranstalter schon anderntags darüber informierte. Er musste Symptome gehabt haben, sonst hätte er sich wohl nicht sofort testen lassen.

Allein bei der Vip-Preview ("Early Access Day", 5. März) und der Vernissage (6. März) verzeichnete die Tefaf ("The European Finde Art Fair") in Maastricht rund 10.000 Besucher, bis zum vorzeitigen Abbruch (11. März) waren es laut offiziellen Angaben insgesamt 28.500.
Foto: Tefaf

Die Tefaf verschickte dazu am Montagnachmittag eine Presseaussendung mit einer bemerkenswerten Aussage: Der Aussteller habe während seines Aufenthalts in Maastricht keine Symptome entwickelt und war somit nicht ansteckend. Kurz, er sei weder für Besucher, noch für Teilnehmer der Messe ein Gesundheitsrisiko gewesen. Nachweislich falsch, aber er war mit Sicherheit wohl nicht der einzige Überträger.

Noch am Vormittag war die Stimmung unter den Ausstellern gut gewesen, in einem Meeting war der Veranstalter für sein Vorgehen gelobt worden, so Beck. Anderntags begann die Stimmung zu kippen, denn einige Kojen italienischer Aussteller seien plötzlich verwaist gewesen. Ob sie aus Angst vor einer drohenden Quarantäne bereits aus Maastricht abgereist waren, muss eine Mutmaßung bleiben.

Tefaf: Mehr als 100 Infizierte

Den Namen des infizierten Galeristen gab die Tefaf den Teilnehmern nicht bekannt. Dabei hätten sie gerne Vorkehrungen getroffen oder einen Test veranlasst. Auf Anfrage, warum man das so handhabte, verweist die Sprecherin einmal mehr auf die regionale Gesundheitsbehörde. Diese sah dazu keine Veranlassung – auch nicht für eine Einschränkung der Besucherzahlen oder gar einen Abbruch der Messe. Ungeachtet der besorgniserregenden Entwicklungen in Europa, die von der WHO täglich dokumentiert wurde.

Wie viele der 28.500 Besucher und 280 Aussteller und ihrer Mitarbeiter bereits infiziert waren oder sich vor Ort in Maastricht infizierten ist unbekannt. Teils trugen sie den Virus jedoch in ihre Heimatländer. Gesichert ist, dass mehr als 100 Aussteller und Vip-Kunden während der Messe erkrankten, teils mit milden, teils mit schweren Verläufen, auch Österreicher sind davon betroffen.
Foto: Tefaf

Der vorzeitige Abbruch erfolgte erst zwei Tagen und weitere Infektionen später, nachdem die Besorgnis der Aussteller überhand genommen hatte und erste Einschränkungen im Luftverkehr und für Transporte evident geworden waren. Die fatale Bilanz: Laut Teilnehmern der Kunstmesse soll die untereinander ermittelte Anzahl der Infektionen von Kollegen und Vip-Kunden mehr als 100 betragen, darunter auch Österreicher mit teils schwerem Verlauf. Wie viele der 28.500 Besucher infiziert wurden und das Virus verteilten, weiß niemand.

Rückblickend betrachtet, so der deutsche Galerist Michael Beck, "ging das in die Hose". Er hatte in den ersten Tagen gute Geschäfte gemacht und sich so "ein kleines Polster schaffen können". Das kann er jetzt gut gebrauchen. Seine Galerie in Düsseldorf ist bis auf weiteres geschlossen, dreizehn Gehälter und Miete muss er dennoch zahlen. (Olga Kronsteiner, ALBUM, 4.4.2020)