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Für entlegene Erdölproduzenten sackt der Preis bereits in den einstelligen Bereich.

Foto: REUTERS / Nick Oxford

An negative Zinsen haben sich Sparer bereits gewöhnt. Doch nun könnte auch der Ölpreis in den roten Bereich rutschen. Als Folge der Wirtschaftskrise waren die Preise auf den niedrigsten Stand seit mehr als 17 Jahren gefallen. Laut einem Bericht der US-Bank Goldman Sachs bleiben immer mehr Rohölproduzenten auf ihren Fässern sitzen, sodass manche ihren Käufern sogar draufzahlen könnten, um den schwarzen Stoff loszuwerden. In Teilen der USA passiert das bereits. Für die Sorte Wyoming Asphalt Sour bot ein Händler zwischenzeitlich rund 20 US-Cent pro Fass für Abnehmer.

Dass der für den Weltmarkt so wichtige Rohölpreis der Sorte Brent infolge der Corona-Krise von knapp 70 Dollar auf zwischenzeitlich 25 Dollar abstürzte, kommt aber kaum an den heimischen Zapfsäulen an.

Steuer bremst Preisausschlag

Der Grund: Steuern machen einen beträchtlichen Anteil des Benzin- und Dieselpreises aus. Die Mineralölsteuer wird in Cent pro Liter aufgeschlagen. Je niedriger der Rohölpreis, desto höher wird daher der Steueranteil beim Sprit. Laut ÖAMTC boten die günstigsten Tankstellen den Liter Super bzw. den Liter Diesel zu Monatsanfang um rund 90 Cent an. Bei Superbenzin würden Steuern dabei rund 63 Cent pro Liter ausmachen, bei Diesel seien es rund 55 Cent. Demnach entfällt nur rund ein Drittel des Preises auf das Öl.

Unter Experten gilt die Faustregel, dass weniger als 30 Prozent der Preisbewegung am Rohölmarkt auf den heimischen Spritpreis durchschlagen. Doch während der aktuellen Krise scheint die Regel außer Kraft gesetzt. Seit Ende Februar sind die Preise an Österreichs Tankstellen laut ÖAMTC im Schnitt um rund zehn Cent pro Liter gefallen – weniger als wegen des billigen Rohöls zu erwarten.

Dies sei der "außergewöhnlichen Situation" geschuldet, sagt Christoph Capek vom Fachverband der Mineralölindustrie. Zwei Effekte kommen zusammen: Wegen der Corona-Pandemie ging die Nachfrage an den Tankstellen stark zurück. Hinzu kam, dass die großen Ölförderstaaten nicht wie früher auf die reduzierte Nachfrage mit gedrosselter Produktion reagierten. Im Gegenteil: Saudi-Arabien und Russland bieten sich einen Wettkampf, der dazu führt, dass massiv Rohöl gefördert wird, das keine Abnehmer findet. Angebot und Nachfrage sind aus dem Lot. Die Fixkosten der Tankstellen laufen aber weiter, gibt Capek zu bedenken. Der Spielraum für Preissenkungen sei eng.

Umsatzeinbußen

Alarmierter klingen kleinere Tankstellenbetreiber: Sie klagen über Umsatzeinbußen von 70 bis 80 Prozent. "Nach zwei Wochen Krisenbewältigung kämpfen viele Partner bereits ums Überleben, zuzusperren wäre wirtschaftlicher," sagt Klaus Brunnbauer, Obmann des Fachverbands der Garagen-, Tankstellen- und Serviceunternehmungen. "Sehen Sie das als unseren Beitrag zu Österreichs Mobilitätserhaltung." Ohnehin hätten die mittelständischen Tankstellenbetreiber kaum Einfluss auf die Preisgestaltung, so Brunnbauer. Ein Ende des billigen Rohöls ist noch nicht in Sicht.

Die Ölpreise sind Anfang der Woche weiter unter Druck geraten. Ein für Montag geplantes Treffen großer Ölförderländer wurde auf diesen Donnerstag verschoben: Die Organisation erdölexportierender Länder (Opec) und ihre Partner wollen bei diesem Krisengipfel eine massive Drosselung der Ölförderung vereinbaren. US-Präsident Donald Trump ermahnte Saudi-Arabien und Russland, ihren Preiskampf zu beenden. Außerdem hatte Chinas Regierung angekündigt, die Reserven aufzufüllen. Solche Maßnahmen können die fehlende Nachfrage nur bedingt wettmachen, sagen Experten.

Massenware besteht zu einem guten Teil aus zu Plastik verarbeitetem Erdöl, ihr Transport in die ganze Welt verschlingt noch mehr davon. Die globale Produktion von Rohöl betrug 2019 rund 80 Millionen Fass pro Tag. Kaum aus dem Boden gepumpt, kommt das Öl in Pipelines oder Züge und Tanker, dann in Raffinerien, über Lkws zu Tankstellen oder Fabriken.

Geringe Lagerkapazitäten

Die Lagerkapazitäten betragen rund eine Milliarde Fass, schätzen die Analysten von Goldman Sachs. Das reicht nicht einmal für die globale Produktion von zwei Wochen. In der Regel finden die Fässer reißenden Absatz, und zwar über Terminmärkte, lange bevor sie physisch transportiert werden.

Durch die Corona-Krise sackte die Nachfrage binnen weniger Tage um bis zu 25 Prozent ein. Die begrenzten Lagerkapazitäten führen dazu, dass letztlich die isoliertesten Produzenten meist im Landesinneren draufzahlen. Eine sprudelnde Ölquelle abzudrehen ist sehr teuer. Im Gegensatz zu vielen anderen Rohstoffen wie Eisenerz kann man die Gewinnung von Erdöl nicht einfach kurz unterbrechen. Darum rechnen die Analysten damit, dass eine Reihe von Produzenten dafür bezahlen wird, dass ihnen das Rohöl abgenommen wird. Händler des Nordseeöls der Sorte Brent, das von der Bohrinsel direkt in Tanker gelangt, dürften weniger hart getroffen sein als Verkäufer der amerikanischen Sorte WTI. Letztlich würden einige Produzenten zusperren müssen, so die Analysten.

"Historisches Ausmaß"

Dass einige Rohölproduzenten vom Markt verschwinden werden, könnte einen Ölpreisschock von "historischem Ausmaß" auslösen, befürchten die Goldman-Sachs-Experten. Auf einen tiefen Absturz dürfte ein steiler Aufstieg des Ölpreises folgen, sobald sich die Wirtschaft von der Corona-Pandemie erholt. Wenn die Nachfrage nach Öl zurückkehrt, aber zu wenige Quellen sprudeln, werden die Lager rasch aufgebraucht sein und die Preise schießen über das Niveau vor der Krise weit hinaus.

Die Spritpreise in Österreich dürften wiederum nicht so stark ausschlagen. Die Art der Besteuerung hat eine stabilisierende Wirkung auf den Preis, bestätigt ÖAMTC-Experte Martin Grasslober. Die Mineralölsteuer würde dank einer höheren Nachfrage auch dazu beitragen, die strapazierte Staatskasse zu füllen. Und die Autofahrer werden sich wohl freuen, endlich wieder unterwegs zu sein. (Leopold Stefan, 9.4.2020)