Wunsch und Wirklichkeit gehen in Sachen Familienplanung häufig auseinander. Gründe gibt es dafür viele, und sie sind besonders in Zeiten von weltweit sinkenden Geburtenraten interessant. Wie es um die Umsetzung eines Kinderwunschs steht, untersuchten jüngst Forschende des Instituts für Demographie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW). Isabella Buber-Ennser und Bernhard Riederer nahmen dafür Daten von mehr als 10.000 Befragten zwischen 21 und 45 Jahren in Österreich und Ungarn unter die Lupe.

Der Kinderwunsch ist trotz Geburtenrückgangs in den vergangenen Jahren erstaunlich stabil geblieben. In Wien stehen ihm die Wohnverhältnisse aber oft im Weg.
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Sie verglichen unter anderem die Pläne von jenen 2159 Frauen und Männern, die in den folgenden drei Jahren ein Kind bekommen wollten, mit deren späterer Umsetzung. Besonders in Wien konnten die Befragten ihren Kinderwunsch seltener umsetzen als in anderen Regionen Österreichs. An einem geringeren Bedürfnis der Hauptstädter nach Nachwuchs scheint dies nicht zu liegen, sagt Riederer: "Der Kinderwunsch ist trotz des Geburtenrückgangs in den letzten Jahrzehnten erstaunlich stabil geblieben. Darin gibt es kaum Unterschiede zwischen der Stadt- und Landbevölkerung." Das klassische Ideal bleibt die Familie mit zwei Kindern.

Zentrale Wohnsituation

Die Autoren unterstreichen, wie wichtig dabei auch die Wohnsituation ist. In Wien gaben mehr Befragte als in den Bundesländern an, dass ihre Wohnverhältnisse dem Kinderkriegen im Weg stünden. Andere Studien zeigen auch einen statistisch relevanten Zusammenhang zwischen dem Besitz eines Eigenheims und einer höheren Kinderzahl.

Dies wird von biologischer Seite bestätigt, wie Martin Fieder, Professor für evolutionäre Demografie an der Universität Wien, sagt. Wer einen hohen Status hat, bekommt tendenziell mehr Kinder. "Nur haben wir hier ein Henne-Ei-Problem: Bisherige Daten beweisen nicht, dass Personen mit Wohneigentum mehr Kinder bekommen – oder dass sich Familien mit Kindern eher Eigentum anschaffen." Beides könnte der Fall sein und teilweise auch die höheren Kinderzahlen auf dem Land erklären: "Dort haben mehr Menschen Eigentumshäuser oder -wohnungen und müssen keine so hohen Mittel wie in der Stadt aufbringen."

Stadt-Land-Unterschied

Ein weiterer Stadt-Land-Unterschied zeigt sich im Alter der Eltern. In Wien sind Menschen mit Kinderwunsch durchschnittlich älter. 36 Prozent der Studienteilnehmenden, die bald ein Kind bekommen wollten, waren zwischen 35 und 45 Jahren alt. Je weiter Frauen das Kinderkriegen nach hinten verlagern, desto weniger Kinder bekommen sie.

Dies birgt auch gesundheitliche Risiken. Bei Vätern in fortgeschrittenem Alter steigt etwa die Mutationsrate und damit die Wahrscheinlichkeit, dass Kinder mit mehr Krankheiten bzw. Anfälligkeiten zur Welt kommen. Gleichzeitig muss man sich Nachwuchs auch leisten können, was unter prekären Arbeitsbedingungen im Alter zwischen 20 und 30 Jahren schwierig ist. "Es wäre gut, jungen Menschen über Stipendien oder Kredite zu ermöglichen, ohne Nebenerwerb ihre Ausbildung zu machen und gleichzeitig Familien zu gründen", sagt Evolutionsbiologe Fieder.

Ob dies auf Anklang stoßen würde, ist fraglich, sagt Tomas Sobotka vom ÖAW-Institut für Demographie: "Die Mentalität jüngerer Generationen ist mit dieser Idee inkompatibel. Sie wollen oft mit Anfang oder Mitte 20 noch viele verschiedene Erfahrungen sammeln und fühlen sich nicht reif genug für eine Elternschaft. Auch erfordert gerade der Karrierebeginn einen großen Zeitaufwand."

In Ungarn gibt es im Vergleich mehr junge Paare, die Familien gründen. Allerdings konnten die ungarischen Befragten in der ÖAW-Studie im Gegensatz zu jenen in Österreich ihren Kinderwunsch seltener umsetzen. Dieses Muster ist typisch für postsozialistische Gesellschaften, die in Osteuropa auch seit Beginn der 1990er-Jahre besonders niedrige Geburtenraten haben. Verstärkt hat sich der Rückgang in ganz Europa mit der Wirtschaftskrise ab 2008: Menschen sind in unsicheren Zeiten vorsichtiger damit, Verpflichtungen einzugehen, wie auch jene, ein Kind zu bekommen.

Wirtschaftliche Unsicherheit

Die aktuelle Corona-Krise mit ihren Folgen für die Wirtschaft und den Arbeitsmarkt könnte in ähnlicher Weise für einen weiteren Geburtenrückgang sorgen. "Ich gehe davon aus, dass die massive wirtschaftliche Unsicherheit der kommenden Monate die Geburtenraten im Folgejahr sinken lässt", sagt Sobotka. Dieser Rückgang dürfte in Ländern wie den USA und Großbritannien besonders groß sein, wo Beschäftigungs- bzw. Kündigungsschutz und ein soziales Sicherheitsnetz fehlen oder nur eingeschränkt vorhanden sind. Länder mit höherer Arbeitsmarktstabilität wie Österreich und Deutschland würden dies weniger stark spüren.

Also steht uns trotz Ausgangsbeschränkungen kein Babyboom in neun Monaten bevor? "In einigen Bevölkerungsgruppen könnte es kurzfristig zu Ausnahmesituationen kommen", sagt Sobotka. Besonders kritisch ist die Lage aktuell in den US-Bundesstaaten Texas und Ohio: Hier schränkte man im Rahmen der Pandemiemaßnahmen medizinische Dienste ein, die nicht als notwendig gelten. Zu diesen wird dort auch der operative Schwangerschaftsabbruch gezählt.

Unsicherheit dominiert

In Österreich gibt es diesbezüglich laut der Gesellschaft für Familienplanung (ÖGF) kein Problem, da private Einrichtungen, in denen Abbrüche durchgeführt werden, noch zugänglich sind. Es könne aber aufgrund der Ausgangsbeschränkungen zu mehr ungewollten Schwangerschaften kommen. Demograf Sobotka ist hier vorsichtig: "Vor 50 oder 70 Jahren, als der Zugang zu moderner Empfängnisverhütung eingeschränkter war, wäre die Situation eine andere. Heute ist es unwahrscheinlich, dass eine Zunahme der sexuellen Aktivität – falls vorhanden – in der Gesamtbevölkerung zu mehr Geburten führt. Insgesamt dürfte der Unsicherheitseffekt der Krisenzeit neben anderen Effekten dominieren." (Julia Sica, 5.4.2020)