Schreibt über Underdogs: US-Autor Scott McClanahan.

Foto: privat

Mit Beschreibungen hält sich Scott McClanahan in Sarah nicht unnötig auf. Rollkragenpullover, schwarze Stiefel, ein bisschen wie eine Comicfigur. So sieht sie aus. Nase klein, Mund winzig – "im Grunde nur ein Punkt. Und der Punkt kräuselte sich seitlich in so ein stirnrunzeliges Etwas, aber scheiß auf Beschreibungen."

Die Person, die er so ungeduldig skizzenhaft umreißt, ist seine große Liebe. Sarah ist die erste Frau, die er küsst. Sarah ist die Frau, die er heiratet und mit der er zwei Kinder bekommen wird. Für Sarah schüttet er einen Sack Sand ins Wohnzimmer und stellt dazu ein Planschbecken auf.

Und von Sarah lässt er sich scheiden.

Eine ganz alltägliche Geschichte, die davon erzählt, dass man gerade jene Menschen, denen man sich nahe fühlt, gerne verletzt. Doch was heißt schon "alltäglich"? Denn für das, was sich vertraut anfühlt, ist es oft besonders schwierig, überhaupt noch eine brauchbare Sprache zu finden. Da muss es jemandem erst einmal gelingen, Worthülsen von Gefühlen zu scheiden. Und das Allgemeine sollte im besten Fall mit dem Besonderen eine Balance eingehen.

Scott McClanahan, "Sarah". Aus dem Amerikanischen von Clemens J. Setz. 22,90 € / 206 S. Ars Vivendi, Cadolzburg 2020

McClanahans Liebes-, ja Ehegeschichte ist keine so geschmackvolle Marriage Story wie Noah Baumbachs Film. Sie kommt direkt und roh, schmerzensvoll wie ein Rocksong daher, der zugleich die absurden Seiten unserer Existenz, die Vergänglichkeit behandelt. Die Liebe, die hier erodiert, mag archetypisch wirken, in ihrer Mischung aus Naivität, Maßlosigkeit und Zerstörungslust ist ihr aber auch etwas Unverwechselbares eigen. "In meiner Erinnerung lachen wir und verdrehen die Augen und tun so, als würden wir würgen, weil alles so kitschig und dumm ist. Es war alles ein Klischee. So wie unser Leben."

Scott McClanahan, 41 Jahre alt, ist ein Außenseiter der US-Gegenwartsliteratur. Erstmals liegt nun ein Buch auf Deutsch vor – und gleich in der vorzüglichen Übersetzung des frischgebackenen Kleist-Preisträgers Clemens J. Setz. Untypisch ist McClanahan schon, weil er abseits der Literaturmetropolen lebt, dafür aber umso stärker mit West Virginia, dem Bundesstaat der Appalachen und der Punk-Pioniere MC5, verwoben ist. Er schreibt semiautobiografische Bücher. Das heißt in seinem Fall, dass man nie genau weiß, wann die Fiktion Oberhand gewinnt. Selbst wenn er über einen Onkel mit zerebraler Kinderlähmung schreibt. Mit öffentlichen Auftritten geht McClanahan sparsam um, er betont auch gerne, keine Preise und Stipendien gewonnen zu haben. Verglichen hat man ihn mit anderen Liebhabern des Grotesken wie Harry Crews oder Charles Bukowski.

Kaiser der Konsumenten

Sarah ist trotz seines Fokus auf Beziehungsdysfunktionen in die umliegende Kultur eines abgehängten Amerikas eingebettet. Ausgerechnet auf einem Parkplatz der Supermarktkette Walmart zieht der selbstmitleidige Ich-Erzähler nach der Trennung in ein Auto ein. In den Konsumenten erkennt er sich wieder, es ist sein Volk. Die Meth-Süchtigen wohnen im Wagen ein paar Meter weiter. ("Und ich war ihr König des Beef Jerky. Ich war ihr Kaiser der Sodaflaschen.")

Sarah folgt keiner Chronologie, jedenfalls keiner gängigen. Die Zeitsprünge durch die Beziehung samt Ausflügen in Sarahs Kindheit rekonstruieren keinen Übergang von Harmonie in Chaos. Entstehung und Auflösung von Nähe, Sinn und Absurdität des Lebens liegen nah beisammen. McClanahan fasst Widersprüche bereits mit seiner Sprache ein, die starke Stilisierung, selbst Pathos nicht scheut. Der Erzähler verkörpert diese Ambivalenz auch selbst, trotz seiner Hingabe neigt er dazu, mit wahnhaften Aktionen alles aufs Spiel zu setzen. Einmal verbrennt er eine Bibel, die noch dazu ein Hochzeitsgeschenk war. Ein sinnloser Zerstörungsakt, der den nächsten heraufbeschwört.

Sarah ist allerdings mindestens zur Hälfte auch Sarahs Buch (The Sarah Book heißt das Original). Manche Kapitel widmen sich nur ihr, begleiten sie zu Abenden mit Freundinnen (Gesprächsthema: das beste Stück des Mannes), oft auch zu ihrer Arbeit als Krankenschwester im Spital – ein weiterer Ort menschlicher Verwüstungen, von dem sie daheim gerne Distanz gewinnen würde. Doch selbst hier findet MacClanahan noch Raum für Epiphanien. Zum Beispiel, wenn sich Sarah vorstellt, dass wir die aufrichtigeren Tattoos unter der Haut tragen. Sie müssten lauten: "Wir verlieren, was wir lieben." (Dominik Kamalzadeh, 4.4.2020)