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Amerikanerinnen asiatischer Abstammung bei einer Demo in Boston: "Meine Herkunft ist kein Virus" und "Zeit für Fakten – nicht Angst".
Foto: AP Photo / Steven Senne

Es ist eine Geschichte aus einem Supermarkt in Kalifornien – erzählt von einer Amerikanerin asiatischer Abstammung, die ihren Namen lieber für sich behält. Sie habe andere Kunden gebeten, sich in der Warteschlange an der Kasse doch bitte an die Abstandsregeln zu halten, schreibt die Frau. Kaum habe sie es gesagt, sei sie angepöbelt worden: "Ihr Chinesen bringt uns das Virus, und dann traut ihr euch noch, den Leuten zu sagen, dass sie Abstand halten sollen?"

Andere berichten von deprimierenden Erfahrungen mit Fahrdiensten wie Uber oder Lyft. In einem Fall lehnten es zwei Uber-Chauffeure in Folge ab, einen Mann mit ostasiatischen Gesichtszügen einsteigen zu lassen. "Der eine hielt, schaute mich an und raste davon. Der Nächste fuhr langsam heran, warf mir einen Blick zu, schüttelte den Kopf und ließ mich stehen."Oder die Feindseligkeit an einer Bushaltestelle. "Jemand schrie, ich solle gefälligst eine Schutzmaske tragen, weil ich aus Asien käme. Als ich dann im Bus saß, starrte mich eine Frau die ganze Zeit an, während sie einen Rosenkranz in den Händen hielt."

Und dann wäre da noch der Passant, der aus einem vorbeifahrenden Auto mit einer Flasche beworfen wurde.

Spitze des Eisbergs

Was Amerikanern asiatischer Herkunft in der Corona-Krise widerfährt, vertrauen manche einem Netzwerk von Bürgerrechtlern an, der Asian American Pacific Islander Civil Rights Organization (AAPI). Die hat am 19. März ein Internetportal eingerichtet, auf dem Betroffene ihre Erlebnisse schildern können. Seitdem, sagt Manjusha Kulkarni in einem Telefoninterview mit dem STANDARD, hätten sich mehr als 1100 Menschen zu Wort gemeldet.

Nur die Spitze des EisbergsNatürlich wisse man, dass es sich nur um die Spitze des Eisbergs handle, da Tausende ihren Frust still in sich hineinfräßen, statt ihn sich von der Seele zu schreiben. Dann erzählt Kulkarni von einem Fall aus Los Angeles, aus einer Zeit, in der sich das Virus bereits ausbreitete, die Schulen aber noch nicht geschlossen waren. Ein Zwölfjähriger wird von einem Schulhoftyrannen beschimpft. Er trage die Krankheit in sich, er möge zurück nach China verschwinden. Als der Bub erwidert, dass er gar nicht aus China komme, prasseln Faustschläge auf ihn ein. Er muss ins Krankenhaus.

"Gelbe Gefahr"

Was ihr Sorgen mache, so Kulkarni, sei das Tempo, mit dem Klischees aufgewärmt würden: Da ist die "gelbe Gefahr", die man im 19. Jahrhundert beschwor; da ist ein 1882 verhängter und bis 1943 geltender Einwanderungsstopp für Chinesen; da ist im Zweiten Weltkrieg die Internierung von Bürgern mit japanischen Wurzeln: "Die Geschichte der Stereotype ist lang", fasst es die Rechtsanwältin zusammen. "Unter der Oberfläche waren die Vorurteile immer vorhanden. Jetzt, in der Krise, bricht alles wieder auf."

Andrew Yang, ein Hightech-Unternehmer, dessen Eltern aus Taiwan in die USA kamen, hat bis Februar fürs Oval Office kandidiert. In der Demokratischen Partei gilt er als Mann der Zukunft. Auch Yang schilderte neulich in einem Gastbeitrag für die Washington Post, welche Erfahrungen er derzeit im Alltag macht: Am Eingang eines Supermarkts hatten ihn drei Männer mit finsteren Blicken gemustert. "In ihren Augen lag etwas Anklagendes", schreibt Yang. "Und dann, zum ersten Mal seit Jahren, habe ich es gespürt. Ich habe mich wieder ganz bewusst, sogar ein wenig beschämt, als Asiate gefühlt."

Bei der Crisis Text Line, einer Telefonberatung, die Menschen in Lebenskrisen zu helfen versucht, sei der Anteil von Anrufern mit asiatischem Hintergrund in den vergangenen Wochen von fünf auf 13 Prozent gestiegen, fügt der ehemalige Präsidentschaftsbewerber hinzu.

Erinnerungen an 9/11

Manjusha Kulkarni, in Indien geboren, fühlt sich bei alledem an die Zeit nach dem 11. September 2001 erinnert, als nach den Terroranschlägen amerikanische Muslime zu Zielscheiben wurden – Migranten aus der arabischen Welt ebenso wie Einwanderer aus Südasien, etwa Sikhs mit Turban. "Die Suche nach Sündenböcken, es ist immer das Gleiche", sagt sie. Nur habe Präsident George W. Bush damals ausdrücklich zur Toleranz gegenüber Muslimen gemahnt, während der aktuelle Präsident Donald Trump die Ressentiments sogar noch schüre. Lange sprach er vom "China-Virus", bis er sich in der vierten Märzwoche endlich entschloss, auf den Begriff zu verzichten. (Frank Herrmann, 4.4.2020)