An der österreichisch-tschechischen Grenze wird wieder kontrolliert, Pendlerinnen und Pendler müssen strenge Auflagen erfüllen.

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Die Zeit der raschen Entscheidungen ist auch eine Zeit der Widersprüche: Als wegen der Corona-Krise ein EU-Land nach dem anderen seine sonst offenen Schengen-Grenzen schloss, da geschah dies, so die Beteuerungen, zum Schutz des eigenen Staatsvolks. Die scheinbar simple Rechnung: Je weniger Menschen von außen ins Land kommen, desto geringer ist die Gefahr zusätzlicher Infektionen.

Bald jedoch zeigte sich, dass oft gerade das Gesundheitswesen unter den Grenzschließungen besonders leidet. Österreich, wo vor allem im Pflegebereich viele Arbeitskräfte aus den osteuropäischen Nachbarstaaten beschäftigt sind, sah sich plötzlich mit dem drohenden Wegfall von Pflegekräften und medizinischem Personal konfrontiert – auch von Pendlerinnen und Pendlern, die sonst mehrmals pro Woche die Grenze passieren.

Ausnahmegenehmigung

Gemeinsam mit den Nachbarn hat sich die Bundesregierung deshalb um Lockerungen bemüht. Dank einer Ausnahmeregelung, die Prag vorige Woche beschloss, kann sich nun etwa der tschechische Gynäkologe Radek Chvátal weiterhin auch um seine Patientinnen in Österreich kümmern. Chvátal ist Primar am Krankenhaus im südmährischen Znaim, führt aber als Chirurg auch Operationen im niederösterreichischen Melk durch. "Mit einer schriftlichen Bestätigung, dass ich mit einer Gesundheitseinrichtung auf der österreichischen Seite einen Vertrag habe, darf ich zu diesem Zweck über die Grenze pendeln", sagt Chvátal im Gespräch mit dem STANDARD. Die meisten geplanten Operationen seien derzeit zwar auf beiden Seiten gestrichen, onkologische Eingriffe für Krebspatientinnen würden aber weiterhin durchgeführt.

Doch auch der freiere Grenzverkehr im Gesundheitswesen hat seine Schattenseiten. Zwar verzichtet Tschechien bei medizinischem Personal auf einige gravierende Einschränkungen für sonstige Pendlerinnen und Pendler, die nach Österreich oder Deutschland zur Arbeit fahren. Diese nämlich müssen jeweils drei Wochen lang außer Landes bleiben und werden dann, nach ihrer Rückkehr, in Tschechien für zwei Wochen unter Quarantäne gestellt. Pflege- und Sanitätspersonal sowie Ärztinnen und Ärzte sind davon ausgenommen, unterliegen aber während ihrer Aufenthalte daheim in Tschechien stärkeren Auflagen als der nicht pendelnde Rest der Bevölkerung.

Freiheit mit Einschränkungen

So gelten für sie noch massivere Ausgangsbeschränkungen. Sie dürfen etwa nur für die nötigsten Erledigungen das Haus verlassen, ein Spaziergang "in der Natur" gehört laut Webseite des tschechischen Innenministeriums nicht dazu. Ein junger Arzt aus dem tschechischen Grenzgebiet, der ebenfalls nach Österreich pendelt und lieber anonym bleiben möchte, spricht gar von einer Atmosphäre der "Dämonisierung" und fühlt sich in seiner Heimat "in die Zeit des Eisernen Vorhangs zurückversetzt". Nicht wegen der – vergleichsweise immer noch harmlosen – Grenzkontrollen, sondern weil Kontakte mit dem Ausland wieder vermehrt als potenziell schädlich dargestellt würden. "Dabei sind doch gerade wir, die wir im Gesundheitsbereich arbeiten, uns der Risiken bewusst", beteuert der Mediziner. "Wir würden ohnehin alles dafür tun, niemanden zu gefährden."

Für die Kontrollen an der Grenze zu Österreich haben die meisten Betroffenen in der gegenwärtigen Situation Verständnis. Gleichzeitig aber zeige die Krise, wie wichtig der freie Grenzverkehr 25 Jahre nach Inkrafttreten des Schengener Abkommens geworden sei, meint der Znaimer Gynäkologe Radek Chvátal: "Es gibt politische Kräfte, die sich freuen, wenn Schengen jetzt bedroht ist. Dem müssen wir uns entschieden entgegenstellen", so sein Appell für die Zukunft. (Gerald Schubert, 3.4.2020)