Sebastian Kurz erläuterte Medien am Samstag die nächsten Schritte in der Corona-Krise.

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Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) hat am Samstag im Gespräch mit dem STANDARD die nächsten Schritte in der Corona-Krise erläutert. Momentan arbeitet ein breites Team, bestehend aus über hundert Experten, Ministeriumsmitarbeitern und dem Thinktank Think Austria, an der Frage, wie man Österreich "wieder hochfahren" könne. Am Montag soll der "erste Versuch eines Fahrplans" präsentiert werden. Dabei spielen auch volkswirtschaftliche Überlegungen eine Rolle. Wichtig sei es, mit dem Handel zu beginnen.

Prinzipiell sei jedoch Vorsicht geboten, so der Kanzler. Am Beispiel Singapur sehe man, dass es rasch zu einer zweiten Infektionswelle kommen könne, wenn man zu schnell Lockerungen einführe. Mit der Entwicklung in Österreich zeigt sich die Bundesregierung zufrieden, wenngleich Prognosen nach wie vor schwierig bleiben. Selbst das harte Faktum der Todesfälle könne unterschiedlich interpretiert werden, je nachdem, ob jemand an Corona oder mit Corona gestorben sei. Wichtig sei jedenfalls, die Maßnahmen weiter so streng zu befolgen, wie es der Großteil der Österreicher schon vorlebt. Dafür zeigt sich Kurz "dankbar".

STANDARD*: Wird eine verpflichtende Corona-App kommen, um Kontakte zu registrieren?

Kurz: Wir arbeiten an dieser Frage. Die Grundproblematik ist: Kann ich mich erinnern, zu wem ich aller in den vergangenen zehn Tagen Kontakt hatte? Ich könnte das nicht. Niemand wird wissen, neben wem er im Bus gesessen ist.

STANDARD: Was ist mit Personen, die kein Smartphone besitzen?

Kurz: Es gibt rund zwei Millionen Österreicher ohne Smartphone. Hier wird es die Möglichkeit geben, einen entsprechenden Schlüsselanhänger zu entwickeln. Die Mehrheit der Österreicher befürwortet diese Initiative.

Tracken, testen, isolieren

Tracking sei jedoch nur ein Teil der Strategie, die die Bundesregierung verfolgt. Langfristig soll ein "Dreiklang" aus Tracking-App, Tests und Isolierung von Infizierten die Verbreitung des Coronavirus eindämmen. Die Daten dieser App sollen weder weitergegeben noch extern zentral gespeichert werden.

Die Idee hinter dem "Dreiklang": Jemand ist Corona-positiv. Per App werden seine Kontakte in den vergangenen Tagen identifiziert, diese per SMS gewarnt und isoliert. Dann gibt es rasch Tests, um deren Status zu prüfen. Ist eine Person davon positiv, geht sie in Quarantäne. Dafür müssten nun aber noch entsprechende Strukturen in allen Bundesländern aufgebaut werden.

Mit diesem Plan könnte dann der schrittweise Abbau der Maßnahmen erfolgen. Masken spielen hier eine wichtige Rolle, im Hintergrund beginnen Unternehmen bereits, sich mit Schutzmasken einzudecken. Die Produktion der Masken soll mittelfristig autark werden, Vorarlberg kann derzeit schon 100.000 Masken am Tag erzeugen und bald 500.000 Masken am Tag.

STANDARD: Wird die Bundesregierung Schutzmasken per Post verschicken, etwa an besonders gefährdete Menschen?

Kurz: Was Schutzmasken betrifft, hat das medizinische Personal Vorrang. Bei Nasen-Mund-Schutz nutzen wir die Supermärkte als Distributionskanal, aber wir schließen einen Versand per Post in der Zukunft nicht aus.

STANDARD: Wann werden die Schulen wieder öffnen?

Kurz: Die Frage ist sehr schwierig. Wie kann man sicherstellen, dass Kinder Abstand halten, Hygienemaßnahmen befolgen? Das Bildungsministerium ist aber eng eingebunden, und es wurden verschiedene Modelle ausgearbeitet.

Kurz urgiert Informationsfluss an Opposition

Kritik gab es in den vergangenen Tagen vonseiten der Oppositionsparteien: Diese fühlten sich übergangen und überrumpelt. Das sei unfair, da sie Regierungsmaßnahmen anfangs mitgetragen hätten, um Einigkeit der Politik zu demonstrieren, so sinngemäß die Beschwerde vonseiten der SPÖ, der FPÖ und der Neos.

STANDARD: Können Sie die Kritik der Opposition an zu geringer Einbindung nachvollziehen?

Kurz: Ich bin in einem sehr guten Austausch mit allen Parteichefs. Es gelingt uns, in vielen Fragen an einem Strang zu ziehen. Meine Bitte an das Regierungsteam ist, den Informationsfluss an die Opposition bestmöglich zu gestalten. Aber man muss verstehen, dass viele Maßnahmen quasi "über Nacht" ausgearbeitet werden. Grundsätzlich bin ich allen Parteien sehr dankbar dafür, wie momentan zusammengearbeitet wird.

STANDARD: Wann war der Moment, wo Ihnen klar wurde, dass diese Krise das öffentliche Leben auf Wochen und Monate dominieren wird?

Kurz: Es war relativ früh und fühlt sich sehr, sehr lange her an. Als es sich in Italien mehr und mehr ausbreitete, wanderte die Bekämpfung des Coronavirus auf unserer Prioritätenliste ganz nach oben. Am anstrengendsten war, die ersten strengen Maßnahmen gegen den Widerstand von manchen Entscheidungsträgern und Experten durchzusetzen, da diese anfangs höchst unpopulär waren und viele noch zuwarten wollten.

Der Marathon wird zur Bergtour

Österreich sei insgesamt auf einem guten Weg, so Kurz. Aber es sei Durchhaltevermögen gefragt. Sein Bild eines "Marathons" hat Kurz inzwischen ergänzt: "Sprechen wir eher von einer Bergtour. Wir hatten einen langen Weg hinauf, wir sind noch nicht am Gipfel, und jetzt können wir bald darüber nachdenken, wie wir schrittweise wieder hinuntersteigen können. Aber ganz wichtig ist: Damit das möglich wird, müssen wir uns in der Osterwoche diszipliniert verhalten und soziale Kontakte meiden." (Fabian Schmid, 4.4.2020)

* Die Fragen stellten DER STANDARD, "Die Presse", "Kurier" und APA gemeinsam.