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Keir Starmer folgt Jeremy Corbyn als Labour-Chef nach.

Foto: AP/Kirsty Wigglesworth

An Keir Starmers Befähigung als glänzender Jurist gibt es keinen Zweifel. Aus bescheidenen Verhältnissen stammend, schaffte er als Knabe den Sprung auf ein Elitegymnasium, studierte Jus und war schon mit 40 Jahren Kronanwalt. Fünf Jahre lang diente er unter der letzten Labour- und anschließend der konservativ geführten Regierung weitgehend geräuschlos als Leiter der Staatsanwaltschaft von England und Wales, wofür ihn die Queen 2014 zum Ritter schlug.

Auch Starmers Zugehörigkeit zur politischen Linken auf der Insel stand nie infrage. Dafür steht schon sein Vorname: Die Eltern – sein Vater war Werkzeugmacher, seine Mutter Krankenschwester – nannten ihn nach Keir Hardie, dem legendären ersten Labour-Vorsitzenden. In seinem Beruf machte sich Starmer einen Namen als energischer, rastloser Advokat für die Menschenrechte von Minderheiten, und zwar sowohl in Großbritannien selbst wie auch in vielen britischen Ex-Kolonien in der Karibik, wo noch immer die Todesstrafe gilt. Dutzende von Angeklagten bewahrte der heute 57-Jährige vor dem Strang.

Vom Anwalt zum Oppositionsführer

Ob aber aus dem hervorragenden Anwalt – vorsichtig, verlässlich, stets mit allen Details vertraut – und überzeugten Labour-Parteigänger nach gerade mal fünf Unterhausjahren auch ein erstklassiger Oppositionsführer wird? Der mit einer Anwältin verheiratete Vater zweier kleiner Kinder sieht sich gleich zu Beginn seiner Amtszeit als 22. Labour-Chef am Samstag mit zwei schwierigen Problemen konfrontiert. Einerseits hat er versprochen, die tief gespaltene Partei zu einen. Andererseits muss er – soll Labour wirklich regierungsfähig werden – den Einfluss der Clique um seinen Vorgänger Jeremy Corbyn zurückdrängen. Dazu gehört die energische Bekämpfung des grassierenden Antisemitismus.

Vor allem aber braucht Starmer eine glaubwürdige Strategie gegen die konservative Regierung von Boris Johnson. Deren Umfragewerte sind durch die Corona-Krise sensationell, obwohl der Premier zunächst unsicher und zögerlich wirkte. Der neue Oppositionsführer tat am Samstag das einzig Richtige: Er sagte der Regierung Unterstützung zu, ohne das Recht auf konstruktive Kritik aufzugeben.

Gewaltige Investitionen in die öffentliche Infrastruktur, deutlich großzügigere Sozialhilfe, staatliche Hilfe für Arbeitnehmer und Selbstständige – die Pandemie erzwingt eine Neuordnung von Wirtschaft und Gesellschaft nach sozialdemokratischem Geschmack. Den Mittelweg zwischen Forderungen nach noch mehr Staat und genauer Prüfung der Regierungsarbeit zu finden wird Starmer und seinem Team viel abverlangen. (Sebastian Borger aus London, 4.4.2020)