Es wird noch dauern, bis man James Stephens und Natascha Mair in solch edler Pose live erleben wird können.

Ashley Taylor

Staats- und Volksoper bleiben zu, die Ballettsäle verwaist und die Tänzer eingeschlossen in ihren vier Wänden. Wie kommen die Größen des Spitzentanzes in dieser Enge zurecht? Was können sie tun, um ihre ganz speziell trainierten Körper in Form zu halten, und hält die Oper Kontakt zu ihrer Compagnie?

DER STANDARD hat mit drei Tänzerinnen und zwei Tänzern – stellvertretend für das rund 100-köpfige Ensemble des Wiener Staatsballetts – Kontakt aufgenommen: den Ersten Solotänzerinnen Olga Esina und Natascha Mair, den Ersten Solotänzern Davide Dato und Jakob Feyferlik sowie der Solotänzerin Rebecca Horner.

Dass wir uns wiedersehen

Dato sorgt sich vor allem um seine Familie. Er stammt aus dem Piemont, einer der von der Pandemie am heftigsten betroffenen Regionen Italiens. Bei seinen Eltern sein kann der 29-Jährige jetzt leider nicht: "Sie bleiben halt zu Hause, und das Einzige, was wir hoffen können, ist, dass es so bald wie möglich …", kurzes Zögern, "… dass wir uns wiedersehen." Das Warten ist hart. Doch wer beim Ballett tanzt, hat sich einen extraharten Beruf ausgesucht.

Eine Grundvoraussetzung ist die Fähigkeit zur Selbstmotivation: "Es ist schon traurig, aber man muss positiv sein und das Beste daraus machen", meint Natascha Mair (25). Sie versucht, "aktiv zu bleiben, einen Rhythmus zu haben" und den Tag zu planen, "damit ich nicht irgendwie … verrückt werde". Das Wohnzimmer ersetzt den Ballettsaal, Social Media das reale Zusammensein mit Kollegen, Trainingsleitern und Freunden.

Etwas Glück hat Olga Esina (33), deren Ehemann, der ehemalige Staatsoperntänzer Kyrill Kourlaev, in Wieden eine Ballettschule für Kinder betreibt. Hier kann die Ballerina trainieren. Sie hat auch begonnen, selbst Online-Training zu geben, vor allem für die Kleinen. Die Abwechslung macht sie "glücklich – und die Eltern auch". Dass es "nicht leicht" ist, wenn Eltern und Sprösslinge ununterbrochen zu Hause sitzen, weiß Esina als Mutter einer dreijährigen Tochter aus eigener Erfahrung.

Eigenes Turnzimmer

So wie Rebecca Horner, die mit dem Tänzer Andrey Kaydanovskiy zwei Töchter – 15 Monate und achteinhalb Jahre – hat. Ein Studio steht ihr zwar nicht zur Verfügung, aber in der gemeinsamen Wohnung gibt es ein eigenes Zimmer fürs Turnen. "Das ist jetzt voll in Betrieb", sagt die 31-Jährige. Hier bleibt die Familie in Bewegung, und hier kann das Elternpaar, so gut es geht, seine speziellen Trainings, darunter etwa Yoga und Pilates, absolvieren: "Die findet man jetzt überall in den sozialen Medien. Unglaublich, was in so kurzer Zeit auf einmal möglich ist – man kommt gar nicht hinterher, wann man welche Online-Klasse machen soll."

Wie im Film

"Unwirklich" fühle sich die Situation derzeit an, so Jakob Feyferlik (23), "wie in einem Film". Er nutzt vor allem die Vormittage für Trainings: Aufwärmen, Dehnen und Workout. "Ich versuche, täglich in der Früh sozusagen meine Routine zu halten. Das Problem ist nur, dass man zu Hause nicht den geeigneten Boden hat und überhaupt keinen Raum, in dem man springen oder drehen kann."

Davide Dato bringt das Kernproblem auf den Punkt. "Für den Körper ist das ein Schock", erklärt er. "Von ganztägigen Trainings hinunter auf – nichts." Alle fünf sind wie Horner zwar heilfroh über die Bemühungen um Angebote in diversen digitalen Medien, Livestream und Videokonferenz.

Mach dein Ding

Aber allen ist anzuhören, dass Übungen im trauten Heim kein Ersatz für die Arbeit im Ballettsaal sein können. Gibt es Kontakt zur Oper? Dazu sagt Rebecca Horner: "Wir würden uns vom Staatsballett mehr Initiative wünschen. Wenn man so in der Welt herumschaut, sieht man, dass die Ballettcompagnien da zum Teil sehr engagiert sind.

Zum Beispiel gibt Tamara Rojo vom English National Ballet Online-Trainings. Ich habe zum Beispiel unlängst ein Training vom Hamburg Ballett mitgemacht. Wir Tänzer machen eh alle unser Ding, aber es wäre einfach schön, zu sehen, dass das Interesse an uns auch bleibt." Immerhin können sie sich ab jetzt, in kleinen Gruppen, ein eineinhalb Quadratmeter messendes Stück Tanzboden von ihrem Arbeitgeber abholen. Eine symbolische Geste.

Zuerst komplett entspannt

Davide Dato gesteht, er habe die Sache erst "komplett entspannt genommen", als noch nicht klar war, dass auf längere Sicht kein Training mehr stattfinden würde. "Es war das erste Mal in meinem Tänzerleben, dass ich in der Früh ohne die täglichen Schmerzen aufgewacht bin." Der Körper regeneriere sich gerade.

Trotzdem: Je länger die Pause anhält, desto schwerer wird der Neustart. Dann wäre es wichtig, "nicht nach zwei Tagen einen Ballettabend anzusetzen und uns dabei kaputtzumachen", meint Rebecca Horner, "sondern erst einmal ein adaptiertes Programm" zu zeigen.

jetzt Homewatching

Der Vereinzelung entrissen, brauchen die Tänzer ausreichend Proben, "um wieder eine Einheit auf der Bühne sein" zu können, sagt Dato. Die Compagnie würde, schätzt Horner, wohl an die zwei Wochen brauchen, um wieder einen Ballettabend wie Sylvia tanzen zu können. Nicht ganz unrealistischer Nachsatz: "Sofern wir in dieser Saison noch Vorstellungen haben werden."

Am Ostersamstag gibt es vorerst einen Ballett-Online-Stream der Wiener Staatsoper für die Ballettfreunde im Homewatching. Zu sehen ist Sylvia in der Choreografie des mit Ende dieser Spielzeit scheidenden Ballettdirektors Manuel Legris. Es ist eine Aufzeichnung vom 12. November 2018. Es tanzen unter anderen Nikisha Fogo, Denys Cherevychko, Davide Dato, Mihail Sosnovschi, Ketevan Papava und Natascha Mair. Der Dirigent des Abends aus einer besseren, weil fernen Zeit ist Kevin Rhodes. (Helmut Ploebst, 6.4.2020)