Wenn die Sit-ups er ledigt sind, belohne ich mich mit Schokolade. Ritter Sport, dunkle Vollnuss, ein Traum. Ich bin der zartbittere Typ. Immer schon. Dunkle Kägi fret? Dunkle Dragee-Keksi? Kommt zu Papa! Jetzt eben sportlich dunkle Vollnuss. Dass Vollnuss eigentlich ein Schimpfwort ist, zählt zu jenen Beobachtungen, die zeigen, dass der Geist im Homeoffice noch zart flackert, wenn man zwischen verwahrlost absolvierten Telekonferenzen Recherchelöcher in die Luft starrt.

Sportliche Schokolade und eine neue Perspek tive auf das seltsame Leben der Nachbarn: Corona macht’s möglich.
Foto: Fluch

Manche leiden unter dem Ausnahmezustand, als Einzelkind macht er mir nicht einmal hypochondrisch zu schaffen. Regierungstreu klatsche ich Punkt 18.00 Uhr in den Innenhof, dankbar gegenüber der Obrigkeit. Denn die geforderte soziale Asozialität bestätigt mein Hamstern. 40 plus Jahre lang Platten anhäufen macht sich nun voll bezahlt. Wenn ich die Regale auf der Suche nach Inspiration zu einem Text über Isolationsklassiker aus der tasmanischen Disco-Ära durchblätterte und mich auf der Couch wiederfinde, um einem das eigentliche Thema ignorierenden Album zu lauschen, bekräftigt das jede Anschaffung.

Zwecks Paarung

Anderes bewerte ich plötzlich neu. Etwa das Paar in der Wohnung gegenüber, in der er mit Laptop, Kopfhörern und Keksen im Bett lebt, während sie im Wohnzimmer vom Sofa aus den Fernseher warmhält. Beide verlassen ihre Positionen nur, um am Fenster zu rauchen. Oder wenn sie, zwecks Paarung, zu ihm ins immer hell erleuchtete Schlafzimmer geht. Das weiß ich vom Wegschauen. Es dauert nie lange, bald qualmen sie turteltaubig aus dem Fenster, bevor sie wieder getrennt knotzen.

Was ich bisher als erbärmliches Dasein gedeutet habe, wirkt nun wie die jahrelange Vorbereitung auf den Ernstfall. Mir wäre nämlich nicht aufgefallen, dass die beiden seit Corona Veränderungen an ihrem Leben vorgenommen hätten. Meine Vorbehalte ihm gegenüber sind nicht bloß verschwunden, nein. Mittlerweile kleide ich mich sogar wie er und denke, wer dieser Tage keine Jogginghose trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren. Die zusätzlich verordnete Maskenpflicht hilft mir schließlich, letzte Skrupel zu überwinden. Es erkennt mich ja sowieso niemand, wenn ich lässig mit der Gummizughose gegen den Lagerkoller flanieren gehe. (Karl Fluch, 06.04.2020)