Seit der Finanzkrise 2008 hat die Europäische Zentralbank (EZB) zunehmend Probleme, ihr wichtigstes Ziel zu erreichen: eine Inflationsrate von knapp unter zwei Prozent.

Die Inflation in der Eurozone unterschreitet dieses Ziel seit Jahren und lag vor der Corona-Epidemie bei etwa 1,2 Prozent. Das ist der Hauptgrund, warum die EZB in den letzten Jahren ihr geldpolitisches Repertoire deutlich erweitert hat – Nullzinsen, milliardenschwere Anleihenkäufe, spezielle Bankkredite, neue Kommunikationsmethoden. Viele der Instrumente sind Neuland; die direkten und indirekten Folgen werden erst nach und nach erforscht.

Unkonventionelle Geldpolitik

Diese "unkonventionelle" Geldpolitik – im Gegensatz zur "konventionellen" Geldpolitik vulgo Leitzinssetzung – wird nun schon seit einigen Jahren praktiziert. Erst im Zuge der Corona-Epidemie wurden zuletzt 750 Milliarden Euro über ein neues Anleihenkaufprogramm namens PEPP (Pandemic Emergency Purchase Programme) zu Verfügung gestellt. Ein Ende dieser geldpolitischen Maßnahmen ist aktuell also nicht in Sicht.

Die Folgen dieser neuartigen Instrumente, die oft massiven Einfluss auf verschiedene Finanzmärkte haben, sind noch unklar. Eine der häufig diskutierten Fragen lautet: Führt unkonventionelle Geldpolitik zu einer ungleicheren Verteilung von Einkommen und Vermögen? Werden durch die Nullzinsen einfache Sparer "enteignet" und durch den Aktienboom, der durch die EZB befeuert wird, Wohlhabende belohnt? Drastisch ausgedrückt: Ist die EZB gar ein "umgekehrter Robin Hood"?

Nicht den Armen, sondern den Reichen soll die EZB unter die Arme greifen. Stimmt das?
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Anstieg der Nachfrage

Die Verteilungswirkungen von Geldpolitik sind komplex und mit großer Unsicherheit behaftet. Bevor einige Wirkungskanäle einzeln vorgestellt werden, möchte ich kurz das Gesamtergebnis vorwegnehmen. Der Gesamteffekt der EZB-Geldpolitik seit der Krise auf die Vermögens- und Einkommensverteilung ist klein. Das mag auf den ersten Blick überraschen, aber eine Studie der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) fasst gut zusammen, warum: Unkonventionelle Geldpolitik führt zwar zu höheren Preisen von Finanztiteln wie Aktien oder Anleihen und begünstigt damit primär reiche Haushalte, denn der Rest hält solches Finanzkapital so gut wie gar nicht. Allerdings wird ein Teil dieser Ungleichheit durch steigende Preise im Immobiliensektor abgemildert. Immobilien sind gleicher verteilt als Finanzkapital und vor allem in der Mitte der Vermögensverteilung oftmals der wichtigste Vermögensbestandteil für Haushalte. Diese zwei Effekte sind gegenläufig und der Nettoeffekt auf Vermögensungleichheit ist deshalb gering. Ein Papier der OECD kommt zu einem ähnlichen Befund.

Gehen wir nun der Reihe nach auf die Wirkungskanäle ein, durch die die EZB-Geldpolitik die Einkommens- oder Vermögensverteilung beeinflussen könnte. Erstens erhöht die EZB-Geldpolitik, vor allem Anleihenkäufe, die Preise für einige Finanzanlagen (dazu gibt es zahlreiche Studien, zum Beispiel hier und hier). Das ist keine ungewollte Konsequenz, sondern Mittel zum Zweck für die EZB: Durch EZB-Käufe von relativ sicheren Unternehmens- und Staatsanleihen sollen risikoreichere Investitionen angekurbelt werden, da für Investoren auch Märkte abseits der "Safe Havens" attraktiver werden. Vereinfacht ausgedrückt: Das Wirtschaftswachstum wird angekurbelt, wenn Unternehmen Anleihen emittieren können und dadurch beispielsweise Fabriken bauen, aber nicht, wenn deutsche Staatsanleihen (ein Beispiel für "Safe Havens") gehortet werden.

Wenn die EZB also sichere Anleihen "aufkauft", bewirkt das auch einen Anstieg der Nachfrage nach anderen Finanzanlagen – und deren Preise. Der Anstieg der Preise für Finanzanlagen bewirkt natürlich einen Anstieg der Vermögensungleichheit, da typischerweise mehrheitlich relativ reiche Haushalte Finanzvermögen wie Aktien, Fonds oder Unternehmensanleihen halten. In einem aktuellen Papier untersuche ich gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen der Österreichischen Nationalbank unter anderem die Auswirkungen dieses Preisanstieges auf die Ungleichheit. Ähnliche Befunde finden sich aber auch in anderen Studien. Zusätzlich wirkt hier mit, dass geldpolitische Impulse vor allem von denjenigen genutzt werden können, die nahe am Geschehen sind; zum Beispiel dadurch, dass sie Vermögensverwalter bezahlen können. Das sind eher die reicheren Haushalte.

Einfluss auf andere Preise wie Immobilien

Zweitens beeinflussen die Anleihenkäufe der EZB nicht nur die Preise von Finanzvermögen, sondern auch andere Preise, wie etwa von Immobilien. In unserem Papier haben wir den Effekt der unkonventionellen Geldpolitik auf Immobilienpreise untersucht und kommen für die meisten Euroraumländer zum Schluss, dass ein Anstieg der Immobilienpreise die Folge ist. Die Mechanismen sind ähnlich wie beim Preisanstieg von Finanzvermögen: Die EZB kauft viele der relativ sicheren Anleihen auf, dadurch steigt der Anreiz für Investoren, auf andere Anlageformen wie zum Beispiel Immobilien auszuweichen. Der Effekt auf die Vermögensverteilung ist aber nicht so klar wie bei Finanzvermögen, da viele Haushalte in der Mitte der Verteilung Immobilienvermögen halten – im Gegensatz zu Finanzvermögen, das in nennenswertem Ausmaß nur von reichen Haushalten besessen wird.

Die Verteilung von Immobilienvermögen führt dazu, dass ein Anstieg des Immobilienpreises zu einem Rückgang des Gini-Koeffizienten des Nettovermögens führt. Allerdings: Andere Maßzahlen für die Vermögensverteilungsungleichheit, wie das Verhältnis des 90. Vermögensperzentils zum 10. Vermögensperzentil, steigen durch Immobilienpreiserhöhungen an. Hier liegt der Teufel also im Detail und es gibt große Länderunterschiede. Zu beachten ist vor allem, dass ungefähr ein Drittel der Haushalte weder Finanz- noch Immobilienvermögen hält und deshalb von den Preisanstiegen nicht direkt betroffen ist. Dies sind die weniger vermögenden Haushalte, oft Mieter.

Schaden niedrige Zinsen den Armen?

Drittens wird vor allem in deutschen Medien die Nullzinspolitik der EZB landläufig wenig seriös als "Enteignung der Sparer" betitelt. In Bezug auf Ungleichheit läuft die Argumentation folgendermaßen: Niedrige Zinsen schaden vor allem den mittleren und unteren Verteilungssegmenten, da diese keine Zinserträge mehr aus Sparbüchern und ähnlichen Anlageformen beziehen können. Dieses Argument ist aber aus mehreren Gründen nur eingeschränkt gültig: Erstens sind Zinserträge als Einkommensquelle gerade bei vermögensarmen Haushalten äußerst gering. Zweitens sind Haushalte meistens nicht nur Sparer, sondern auch Kreditnehmer. In diesem Falle sind niedrige Kreditzinsen von Vorteil und wirken den niedrigen Sparzinsen entgegen. Der Verteilungseffekt von Niedrigzinsen hängt deshalb stark davon ab, welche Haushalte in welchem Ausmaß von diesen zwei gegenteiligen Effekten betroffen sind.

Genau dieser Verteilungseffekt wird von der Statistikerin Panagiota Tzamourani analysiert, und wenig überraschend gibt es große Länderunterschiede in der EU: Vor allem in Ländern wo Hypothekarkredite überwiegend variabel verzinst sind (und deshalb auch stark auf Leitzinssenkungen reagieren), haben niedrigere Leitzinsen netto einen positiven Einkommenseffekt für die meisten Haushalte. Das betrifft zum Beispiel die Niederlande, Zypern, Portugal und Spanien. Einen im Durchschnitt negativen Einkommenseffekt haben Zinssenkungen für Österreich, Deutschland, Belgien und Italien. Unabhängig vom Land profitieren ärmere Haushalte eher von Zinssenkungen, da diese Haushalte weniger Zinszahlungen leisten müssen und wenige Zinserträge aus Einlagen et cetera. haben. Eine interessanter Nebeneffekt entsteht auch entlang der Altersdimension: Nettosparer sind meistens älter, während Verbindlichkeiten stärker bei Jüngeren konzentriert sind. Jüngere sind dadurch diesbezüglich (im Durchschnitt) im Vorteil.

Verteilungspolitische Effekte

Im vierten Punkt kommen wir zu den Grundlagen der Geldpolitik. Expansive Geldpolitik, egal ob durch Zinssenkung oder Anleihenkäufe, hat das Ziel, Investitionen für Unternehmen durch billigere Kredite zu ermöglichen. Durch höhere Investitionen wird das Wirtschaftswachstum angeregt. Das bedeutet: Ohne die Anleihenkäufe wäre das Wirtschaftswachstum niedriger und Arbeitsplätze in Gefahr. Auch wenn hier genauere Aussagen schwierig sind, liegt die Vermutung nahe, dass es vor allem schlecht bezahlte Jobs wären, die zuerst gestrichen würden.

Diese vier Wirkungskanäle decken bei weitem nicht alle Möglichkeiten ab, durch die unkonventionelle Geldpolitik die Einkommens- und Vermögensverteilung beeinflussen kann. Einige Folgerungen lassen sich jedoch festhalten: Die neuen Instrumente der Geldpolitik haben durchaus gegensätzliche verteilungspolitische Effekte, was dazu führt, dass Geldpolitik quantitativ wohl nicht zu den Haupttreibern der steigenden Ungleichverteilung zählt. Und auch wenn das festgelegte Ziel der EZB nur Preisstabilität ist: Die EZB und andere Zentralbanken sollten die verteilungspolitischen Auswirkungen ihrer Maßnahmen genau beobachten, nicht zuletzt deshalb, weil die Wirkmächtigkeit der geldpolitischen Maßnahmen wiederum von der Verteilung beeinflusst werden kann. (Philipp Poyntner, 7.4.2020)

Philipp Poyntner ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Internationale Wirtschaft sowie PhD-Student an der Wirtschaftsuniversität Wien. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen Geldpolitik, Einkommens- und Vermögensverteilung und angewandte Ökonometrie.
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