Die Schüler aus Brennpunktschulen sind derzeit ganz allein auf sich gestellt.

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Prinzipiell sei es "ein Segen", dass gerade die Schüler der Brennpunktschulen derzeit etwas zu tun haben und eine Struktur hätten, sagt Hala Albinni. "Sofern das funktioniert", fügt die Lehrerin mit Nachdruck hinzu.

Seit knapp vier Jahren arbeitet Albinni an der NMS Schopenhauerstraße in Wien-Währing, einer Schule, an der fast alle Schüler einen Migrationshintergrund haben. Als integrative Muttersprachenlehrerin für Arabisch ist sie allerdings nicht nur für den Sprachunterricht zuständig. Albinni steht auch während des regulären Unterrichts in Fächern wie Mathematik oder Geografie in den Klassen und unterstützt die Schüler in ihrer Muttersprache.

Unverständliche Aufgabenstellung

"Kinder an sogenannten Problemschule haben ohnehin oft viele Fragen zu bestimmten Aufgabenstellungen", sagt Albinni. Im regulären Unterricht werden sie von den integrativen Muttersprachenlehrern unterstützt, jetzt seien sie mit Arbeitsblättern auf sich alleine gestellt. Derzeit gibt es diese Unterstützung nicht, schon gar nicht bilingual. Die Schüler sind auf das eigene Leseverständnis zurückgeworfen und können bei niemandem nachfragen.

Sehr selbständige Kinder

Aufseiten der Lehrkräfte gebe es große Bemühungen, alle Familien zu erreichen. Seitdem in der Schule kein regulärer Unterricht mehr stattfindet, sei es jedoch schwer, alle Schüler und ihre Eltern nach ihren Bedürfnissen zu fragen, sagt Albinni; eine Erfahrung, die viele Lehrkräfte an sogenannten Brennpunktschulen derzeit machen und die auch eine Umfrage von Teach for Austria bestätigt hat. Von den gut 30 Familien, die sie zu erreichen versucht habe, steht Albinni momentan mit rund zehn regelmäßig in Kontakt.

Wenn sie einmal die Eltern erreicht hat, berichten ihr arabischsprachigen Familien von sehr individuellen Problemen, sagt sie. Oft sind derzeit einfach "zu viele Kinder auf engem Raum", und es sei nicht möglich, so etwas wie "eine regelmäßige Lernstruktur" aufzubauen. Herausstreichen möchte sie aber, dass sich die meisten "ihrer" Kinder selbst organisieren. Sie würden die Tools, die sie fürs Homeschooling brauchen, besser beherrschen als die Eltern, und die deutsche Sprache sowieso. Dass sie auf sich selbst gestellt sind und in schulischen Belangen wenig Unterstützung von den Eltern erwarten können, kennen Migrantenkinder auch außerhalb der Krise.

Doch das Homeschooling sei "große Organisationsarbeit für die Kinder". Die Schule habe vor der Unterbrechung des Unterrichts zu wenig Zeit gehabt, um eine einheitliche Kommunikation in allen Schulfächern und mit allen Lehrerinnen auszuarbeiten. Die Schüler müssen nun auf vielen unterschiedlichen Wegen lernen und ihre Lernerfolge auch zurückmelden: Mail, Google Docs, Schulapp, und das oft ohne passende Laptops.

Überforderte Eltern

Die Eltern hätten großes Vertrauen in die Kinder und verlassen sich darauf, dass diese zurechtkommen, sagt Albinni. Sie bekomme in den Telefongesprächen sehr wenige konkrete Fragen. Die meisten Eltern seien "technologisch überfordert". Mail-Kommunikation kennen sie weder aus ihrem Alltag noch aus der eigenen Schulgeschichte. Was allerdings gut funktioniert, sind Strukturen, die schon im Regelunterricht aufgebaut wurden, wie etwas die App Schoolfox. Es handelt sich dabei um eine Art digitales Mitteilungsheft, über das man viele Familien weiterhin gut erreichen kann.

Verärgert zeigt sich Hala Albinni über die jüngste Elternumfrage, die Bildungsminister Heinz Faßmann neulich präsentierte. Demnach hätten lediglich "ein Drittel der Eltern ein erhebliches Problem" mit Homeschooling. Das sei keinesfalls repräsentativ für die Eltern der Brennpunktschulen, sagt Albinni. Sie wünscht sich die rasche Schaffung einer Struktur, die für alle zugänglich ist, "nicht nur für die Privilegierten, sie sich ohnehin mit jedem Tool gut zurechtfinden".

Psychologische Unterstützung

Auch wenn die Schüler derzeit sehr vieles ganz ohne Unterstützung stemmen, finde bei vielen gerade "eine große Vernichtung des Selbstbewusstseins" statt, sagt die Lehrerin. Man dürfe auch nicht vergessen, dass Lehrerinnen nicht nur Lernstoff vermitteln, sie "handeln auch oft sozio-emotionale Situationen" und unterstützen gerade die Kinder an Brennpunktschulen "außerhalb des üblichen Rahmen", das alles falle jetzt weg. "Ich hoffe, dass sich die psychischen und physischen Belastungen der Familien im Rahmen halten", sagt Albinni. (Olivera Stajić, 6.4.2020)