Die seit Mitte März in Österreich geltenden Ausgangsbeschränkungen und auch der damit verbundene Abbau der wirtschaftlichen Aktivität haben in unseren Städten wie auf dem Land eine beispiellose Situation geschaffen. Es ist stiller geworden. Man muss nur morgens das Fenster öffnen, um den Unterschied festzustellen. Das von Maschinen beherrschte Rauschen unserer Gesellschaft hat an Intensität verloren. Es ist, als wäre der Equalizer besser geregelt. Und die Vögel scheinen nie schöner den Frühling verkündet zu haben.

Leergefegte Gassen, freie Fahrspuren, Autobahnen ohne Staus. Die Einschränkungen von Mobilität und Transport haben den Straßenverkehr in der Krise fast über Nacht drastisch reduziert. Dafür sind zum Beispiel sicher viele heimische Amphibien dankbar. Zehntausende von ihnen verenden jeden Frühling auf Österreichs Straßen, wenn sie auf Massenwanderungen ihre Laichplätze aufsuchen. Aber auch die aus dem Winterschlaf erwachten Igel und andere Säugetiere laufen heuer etwas weniger Gefahr, Opfer des großen Roadkills zu werden.

Ein gutes Jahr für Frösche und Igel

Mit dem Verkehr ist seit Beginn der Corona-Maßnahmen naturgemäß auch die Schadstoffbelastung in der Luft deutlich zurückgegangen, wie jüngste Messergebnisse zeigen. Am Himmel fehlen die sonst omnipräsenten Kondensstreifen und in der Nacht die Positionslichter der Flugzeuge. Wer vermisst das Dröhnen ihrer Triebwerke?

Lärm bezeichnet unter anderem alle Geräusche, die durch ihre Struktur auf die Umwelt störend, belastend oder gesundheitsschädigend wirken. Wer heute in einer lauten Wohnung sitzt, kann davon sicher ein Lied singen. Auch viele Gärten und stadtnahe Erholungsgebiete sind momentan stärker frequentiert und beschallt als zu normalen Zeiten. Dafür sagen sich im Schönbrunner Schlosspark wohl Fuchs und Hase noch entspannt Guten Tag. Wie für Menschen stellt Lärm auch für viele Tiere eine Gesundheitsbelastung dar. Er beeinträchtigt ihren Kreislauf, stört den Hormonhaushalt und kann über zahlreiche weitere Faktoren Lebenserwartung und Fortpflanzungserfolg reduzieren.

Die Mönchsgrasmücke ist ein in Mitteleuropa noch häufiger Singvogel.
Foto: APA/dpa/C. Kolacz

Singvögel im Stress

Vor allem für Tiergruppen, deren Kommunikation von akustischen Signalen geprägt ist, bedeutet Lärm nicht nur physiologischen Stress. Neben vielen Insekten, Amphibien und Fledermäusen sind insbesondere Vögel massiv in ihrer Verbreitung und ihrem Verhalten beeinträchtigt. Vogelgesang dient vornehmlich der Abgrenzung von Territorien, der Balz und der Beziehungspflege. Warnrufe schützen vor Fressfeinden, und andere Laute leiten den Nachwuchs. Die Wichtigkeit akustischer Kommunikation kann bei Vögeln nicht hoch genug eingeschätzt werden. Eine laute Umgebung führt immer zu Problemen.

Viele Arten haben ihr Verhalten städtischem oder industriellem Lärm stark angepasst. So singen Amseln und Kohlmeisen in der Stadt in einer höheren Tonlage als ihre Artgenossen in den Wäldern. Rotkehlchen verlegen ihre Lieder in die Nacht, und lärmgeplagte Nachtigallen schmettern ihren Sound einfach noch lauter aus der Brust. Dabei verbrauchen sie allerdings mehr Energie, singen seltener und verlieren insgesamt Aufmerksamkeit. Allgemein ist der Gesang von Stadtvögeln kürzer und eintöniger, vor allem wenn sie in Gegenden mit viel Verkehrslärm leben.

Höher, lauter, kürzer, gar nicht

Anpassung ist ein Privileg von Generalisten, den Allroundern im Tierreich. Vielen höher spezialisierten Arten macht der von Mensch und Maschine erzeugte Lärm ein Überleben schlicht unmöglich. Zahlreiche empfindliche Brutvögel wie etwa der mittlerweile berühmte Wachtelkönig meiden straßennahe Lebensräume ganz, selbst wenn sie sonst alle nötigen Ressourcen vorfinden. Aber auch den Kuckuck wird man zum Beispiel in lauten Gebieten vergeblich suchen. Geht sein Ruf im Lärm unter, findet ihn auch keine Partnerin.

Die Corona-Krise bietet der Natur aber auch abseits des Lärms unverhoffte Entspannung und vorübergehend neue Chancen. Vermutlich wird die eine oder andere Wiese im Agrarland heuer nicht viermal gemäht. Vielleicht können einige Felder gar nicht bestellt werden und fördern als wertvolle Brachen die lokale Artenvielfalt. Bauvorhaben verzögern sich, und selbst die nicht immer besonders nachhaltige Forstwirtschaft muss nun kürzertreten. Gleichzeitig stehen in der Krise auch viele Naturschutzprojekte still. Initiativen und Vereine, die über Veranstaltungen und Kurse für die Umwelt sensibilisieren, mussten aufgrund der aktuellen Beschränkungen ihre Aktivitäten einstellen und blicken in eine unsichere Zukunft.

Die Auswirkungen der Anti-Corona-Maßnahmen auf die biologische Vielfalt sind zweifellos flüchtig, aber subtil und breit gefächert. An eine bescheidene Evaluierung kann, wenn überhaupt, erst nach einigen Monaten gedacht werden. Was unsere Singvögel betrifft, wird der Fortpflanzungserfolg am Ende der Brutsaison erste Trends aufzeigen. Und fast muss man hoffen, dass die Ausgangsbeschränkungen und andere Maßnahmen noch für einige Zeit gelten. Teile der heimischen Tierwelt sitzen wohl bald in der Falle, nachdem sie sich heuer an sonst unmöglichen Orten eingerichtet haben. Störungen der sich lokal erholenden Natur hätten einen Bumerangeffekt.

Das große Sterben

Es mag zynisch sein, in diesen Tagen von wandernden Fröschen, schönerem Vogelgesang und brachliegenden Feldern zu schreiben. Die Ruhepause für die Natur muss aber vor einem dunklen Hintergrund betrachtet werden. Der weltweiten Tendenz folgend ist in Österreich der Bestand an wild lebenden Säugetieren, Vögeln, Fischen, Amphibien und Reptilien in den vergangenen 30 Jahren um durchschnittlich 70 Prozent eingebrochen. Seit 1990 sind zudem drei Viertel aller heimischen Insekten verschwunden, wobei deren Artenvielfalt um bis zu einem Drittel abgenommen hat. Über 30 Prozent aller Tier- und Pflanzenarten Österreichs stehen mittlerweile auf einer Roten Liste bedrohter Arten.

Der Hauptgrund für das Aussterben und den Populationsrückgang wilder Tiere und Pflanzen ist der rasante Verlust an Lebensräumen. Eine Presseaussendung des Umweltbundesamts meldete am 2. April, dass der jährliche Bodenverbrauch in Österreich nach einigen Jahren der Abnahme 2019 wieder gestiegen ist. Im letzten Jahr wurden täglich 13 Hektar Boden neu beansprucht, wobei vier Hektar pro Tag versiegelt wurden und damit dauerhaft verloren sind. (Stefan Agnezy, 8.4.2020)