Wenn in Österreich im historischen Kontext von den Türken die Rede ist, kommen den meisten Österreicherinnen und Österreichern sehr schnell Wien und die dortigen Türkenbelagerungen in den Sinn. Dass die Türken nicht nur vor Wien lagerten, sondern vor allem im Süden der habsburgischen Lande immer wieder Einfälle der Türken ohne Bezug zu Wien zu verzeichnen waren, ist schon viel weniger im allgemeinen Gedankengut verhaftet. Vor allem die Krain, Kärnten und die Steiermark waren aufgrund ihrer geograpfisch exponierten Lage schon sehr früh – nämlich schon im 15. Jahrhundert – den Einfällen der Türken ausgesetzt, während die erste Belagerung von Wien erst 1529 erfolgte.

Diese Begegnungen mit den Türken hinterließen tiefe Spuren im kulturellen Gedächtnis und wurden, nicht nur aber auch, in der Form von Sagen, die weitererzählt und auch niedergeschrieben wurden, vor dem Vergessen bewahrt. Besonders traumatisch, und damit prägend für die Sagenbildung in der Steiermark, war offenbar das Jahr 1480, in welchem die Türken, von Kärnten kommend, durch die Steiermark zogen und innerhalb von nur acht Tagen eine derartige Verwüstung verursachten, dass die Leute, wie es bei Josef Bauer in der Sage "Die Pestkerze von St. Benedikten" heißt, "die Baumrinde zerrieben und statt des Brotes essen mußten."

In den steirischen Sagen, in denen sich Geschehenes mit Erfundenem oder zeitlich Verlagertem vermischte, wurden ganz bestimmte Stereotypen und Bilder von den blutrünstigen Türken einerseits und den tapferen und der Heimat treuen Steirern andererseits geschaffen, die sich nicht nur in die Sagen einschrieben, sondern sich auch in Form von Vorurteilen, die immer wieder reaktiviert wurden, hartnäckig bis heute halten.

Der brutale Zorn der Türken

Es sind blutige Zeiten, von denen die Türkensagen berichten, Zeiten, in denen Gott nach dem Glauben der damaligen Zeit alles beherrschte, was den Menschen betraf. Nicht nur die Stellung des Einzelnen im Leben, sondern auch alles, was dem Menschen widerfuhr. Das Gute kam genauso wie das Schlechte von Gott. Diese Stellung Gottes kommt in den Sagen nicht direkt zur Sprache, war aber allgemeines Gedankengut der Zeit, in der die Türkensagen spielen und schwingt im Hintergrund immer mit. Die Türken sind das alttestamentarische Böse, das von Gott als Strafe geschickt wurde, genauso wie die Heuschrecken und die Pest, die beide ebenfalls 1480 die Steiermark heimsuchten. In den Sagen als die "Erbfeinde der Christenheit", "die Mordbrenner", "die blutdürstigen Sieger", "die ungläubigen Muselmanen", "die abergläubischen Feinde" oder "die Barbaren" bezeichnet, stürmen sie "unter wildem Allahgeschrei" auf die tapferen einheimischen Christen zu, angekündigt von den Rauchsäulen, der brennenden Dörfer.

Die Türken sind die Fremden und sie sind in den Sagen auf eine Art und Weise böse, die nach heutigen Maßstäben als pathologisch beschrieben werden würden. Nicht nur, dass die Türken sengen und brennen, Mensch und Tier niedermetzeln und die Einheimischen in die Sklaverei verschleppen, befleißigen sie sich in den Sagen einer Grausamkeit, die absolut sinnlos ist. So wird in der Sage "Die Glocke von St. Leonhard" ein kleiner Bub zu Tode gefoltert indem er statt eines Klöppels in eine Glocke gebunden und diese in Schwingung versetzt wird, bis die Knochen des Kindes am Metall der Glocke zerschmettern, und in der Sage "Das Türkenfeld" – beide Sagen finden sich bei Hans von der Sann – werden Steirer dadurch gequält, dass sie anstatt der Ochsen vor Pflüge gespannt werden und man sie durch Peitschenhiebe zwingt, Furchen in den harten, felsigen Grund zu ziehen.

Die Türken in Österreich.
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Die kleinste Kleinigkeit reicht, um den Zorn der Türken zu entfesseln: Ein zu langer Blick aus dem Fenster kostet in der Sage "Die Türken in Neumarkt", die sich unter anderem bei Hans von der Sann findet, einem Postmeister das Leben und in derselben Sage wird ein Flickschuster durch den Schwerthieb eines Türken getötet, weil der Schuster zu lange mit der Reparatur der Schuhe braucht. An dieser Stelle ist es allerdings angebracht anzumerken, dass der namentlich genannte Postmeister erst um 1800, also in der Franzosenzeit, lebte und der Mord an dem Schuster – Gerichtsakten legen das nahe – vermutlich erst um 1760 erfolgte, wobei der Täter ein kaiserlicher Soldat war, dass also in beiden Fällen die Taten in der Erinnerung zurückprojiziert und den Türken in die Schuhe geschoben wurden.

Siegreicher Steirer

Wenn die Einheimischen nicht gerade die Opfer türkischer Grausamkeit sind, sind sie Helden. Sie nehmen es mit Horden des Feindes auf und gewinnen aussichtslose Kämpfe entgegen aller Wahrscheinlichkeit. Dies deshalb, weil sie tapfer, wehrfähig, heldenmütig und schlauer sind, als die Türken. Und natürlich auch, weil der Gott der Christen mächtiger ist, als Allah oder der Prophet der "Ungläubigen". Es sind nicht die üblichen, in den Chroniken oder Geschichtsbüchern namentlich erwähnten Helden in der Gestalt von Adeligen, Heerführern oder Soldaten, die es in den Sagen mit den, in der Kriegskunst erfahrenen und mit Waffen bestens ausgestatteten, Türken aufnehmen, sondern die einfache Menschen, die den Türken entgegen stehen. So kämpfen Bauern, ein Sensenschmied, ein Bäckerjunge, Bergleute, ja selbst Frauen, mit völlig unzureichenden Mitteln gegen die Türken und sie kämpen nicht nur, sondern sie siegen. Denn auch die Jüngsten und Geringsten haben das Zeug zum Heldentum.

Kann ein Sieg angesichts der überwältigenden Anzahl der Feinde im offenen Kampf nicht gelingen, wird der Feind mit Schlauheit und List besiegt. Alternativ kommt die psychologische Kriegsführung zum Einsatz, wenn etwa die Türken durch Demonstrationen der Geschicklichkeit im Umgang mit Schusswaffen demoralisiert werden. Gibt es keine Siege, über die berichtet werden könnte, werden in den Sagen Niederlagen zu Siegen umgeschrieben oder es wird über Siege an Orten berichtet, wo es gar keine Schlachten gab.

Der Sieg der Christen über die Türken ist in den Sagen häufig ein totaler. Eine große Übermacht oder eine weit überlegene Heerschar werden vollständig besiegt, in ihrer Gesamtheit durch Enthauptung eliminiert, von einer wehrhaften Witwe eigenhändig in die Luft gesprengt, oder durch das gestaute Wasser eines Wildbaches hinweggeschwemmt, so dass kein einziger Mann entkommt. Sogar ein ganzes Feldlager wird durch eine Überschwemmung zerstört und selbst der große Heerestross, der vor Wien geschlagenen Türken, wird mit vereinten Kräften vor Marburg vollkommen aufgerieben und die letzten noch verbleibenden türkischen Kämpfer kommen in der Drau um.

Und immer wieder spielt Gott, der über allem steht, eine Rolle. Wenn die Steirer siegen, so tun sie das, weil Gott es so will. Gott und die Heiligen wirken Wunder, um Kirchen und Klöster zu retten und türkische Frevler zu bestrafen. Sie schlagen Heerführer mit Blindheit, verbergen Kirchen und Klöster vor den Augen der Feinde und wenn es notwendig ist, verlassen sie sogar ihren Platz am Altar und mischen sich persönlich in Schlachten ein. (Astrid Hammer, 17.4.2020)