Kommunikationswissenschafter Matthias Karmasin fordert eine Förderung von Qualität statt Quantität.

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Wien – 32 Millionen Euro macht die türkis-grüne Regierung locker, um in der Corona-Krise Medien finanziell zu unterstützen. Das Geld soll an kommerzielle Privatsender (15 Millionen), Tageszeitungen (12,1), Wochenzeitungen (2,7) und nichtkommerzielle Privatsender (2) ausgeschüttet werden. Nach dem Verteilungsschlüssel erhält etwa die "Kronen Zeitung" 2,72 Millionen Euro, "Heute" und "Oe24" gut 1,8 Millionen. Der STANDARD kommt auf rund 500.000 Euro.

STANDARD: Kritiker sagen, das Medienhilfspaket ist ein Boulevardförderungsgesetz. Was stört Sie daran?

Karmasin: Einerseits die Frage, warum man das Gesetz so stark auf die Vertriebsförderung, also bedrucktes Papier, fokussieren muss, und warum man nicht auch digitalen Vertrieb mit in den Blick nimmt. Sehr viele Menschen konsumieren ihre Informationen online, und Qualitätsinformation ist genau in diesem Bereich ganz wichtig. Aber dort entstehen auch viele Kosten, etwa bei der Moderation von Foren oder bei der Aktualisierung von Informationen. Zweites ist es eine Quantitäts- und keine Qualitätsförderung. Eine Medienförderung sollte vor allem Qualitätsaspekte im Fokus haben. Und drittens ist es Aufgabe von Medienpolitik, eine Medienkonzentrationskontrolle auszuüben und nicht die Konzentration zu zementieren oder gar zu fördern.

STANDARD: Welche Onlinemedien sollten gefördert werden?

Karmasin: Führt man sich eine aktuelle Gallup-Studie vor Augen, dann beziehen 69 Prozent der STANDARD-Leser, 62 Prozent der "Presse"-Leser, 57 Prozent der "Tiroler Tageszeitung"-Leser oder 39 Prozent der "Salzburger Nachrichten"-Leser ihre Corona-Nachrichten ausschließlich online. Diese Zahlen zeigen deutlich, dass Online gerade in der Corona-Krise ganz wichtig ist. Natürlich auch aufgrund des Social-Distancing-Prinzips, dass Leute kaum mehr in Trafiken oder zum Kolporteur gehen sollen. Da geht es um Onlineangebote verlegerischer Herkunft aus Österreich und nicht darum, Google oder Facebook zu fördern.

STANDARD: Überall ist von Homeoffice die Rede und vom Digitalisierungsschub, der mit der Corona-Krise mitschwingt, aber Onlinemedien schauen durch die Finger. Können Sie sich diese Haltung erklären?

Karmasin: Das kann ich mir schwer erklären, und es müsste auch die Digitalisierungsministerin (Margarete Schramböck, ÖVP, Anm.) ganz stark darauf drängen, dass digitale Angebote qualitativ gefördert werden. Die Betonung liegt auf qualitativ. Medienförderung sollte erstens zeitgemäß sein, also konvergent sein und Digital im Blick haben, und zweitens Qualität fördern, um gute journalistische Inhalte und möglichst große Vielfalt zu ermöglichen.

STANDARD: Das Medienpaket führt dazu, dass eine Kirchenzeitung 130.000, die Raiffeisenzeitung 112.000 oder ein Reichweitenriese wie "Die Ganze Woche" mit 130.000 Euro dreimal so viel Geld bekommen können* wie etwa der "Trend" mit 43.000 Euro. Und selbst die rechtsextreme "Zur Zeit" erhält mit 67.000 Euro mehr.

Karmasin: Auch das ist ein Zeichen für die im Kern gute Absicht, aber die problematische Umsetzung im Detail. Wer schnell fördert, kann nicht immer treffsicher sein.

STANDARD: War das Medienförderungspaket ein unüberlegter Schnellschuss?

Karmasin: Es geht sicher darum, angesichts der Medienkrise schnell zu helfen, was fehlt, ist die Treffsicherheit. In der Schnelligkeit kann sie nicht bei 100 Prozent liegen, das ist klar, mittelfristig muss man in der Medienpolitik über ein Post-Corona-Medienpaket nachdenken. Gerade in der Krise werden die medienpolitischen Versäumnisse der Vergangenheit deutlich.

STANDARD: Welche?

Karmasin: Etwa eine zeitgemäße Neuordnung von Publizistik- und Presseförderung, die Förderung von Qualitätsmedien, die Bekämpfung von Konzentration und Crossownerships, ein zeitgemäßes Leistungsschutzrecht. Was mache ich mit der Zuständigkeit des Presserates? Wie kann ich die Selbstkontrolle nicht nur fordern, sondern auch fördern? Dann kommt noch die ORF-Reform ins Spiel und die Privatrundfunkförderung nach Qualitätskriterien und der sogenannte dritte Sektor. Und da habe ich noch gar nicht von öffentlichen Inseraten und der Herstellung von Kommunikation durch Gebietskörperschaften, die über Steuergelder finanziert wird, geredet.

STANDARD: Dann reden wir kurz darüber: An welchen Kriterien soll sich die Vergabe öffentlicher Inserate orientieren?

Karmasin: Die Inserate haben einen Lenkungseffekt im Markt, das ist klar. Bei Beschaffungen für den öffentlichen Bereich haben wir uns ja sonst auch auf das Bestbieterprinzip geeinigt und nicht auf das Billigstbieterprinzip. Da geht es dann nicht um den billigsten Tausend-Kontakte-Preis, sondern es kommen wieder Qualitätskriterien ins Spiel. Und wohl auch, wie setzt man die Maßnahmen miteinander in Beziehung? Stichwort: Gemeindeebene, Stadt-, Land- und Bundesebene.

Es wäre an der Zeit, das Silodenken zu verlassen und von einzelnen Mediengattungen wegzukommen. Welche Tageszeitung hat keinen Onlineauftritt und welcher Privatsender keinen Social-Media-Auftritt? Nicht an einzelnen Stellschrauben sollte isoliert gedreht werden, sondern der Markt als Ganzes betrachtet werden. Vor allem auch, weil der Medienmarkt fast schon als Prototyp für Marktversagen gelten kann und eine so starke Tendenz zur mediengattungsübergreifenden Konzentration hat.

STANDARD: Weil einigen meinen, es sei schwierig, Qualität zu definieren: Welche Parameter zählen für Sie?

Karmasin: Qualität kann man definieren. Es gibt zum Beispiel sehr umfangreiche Berichte zur Lage der Qualität der Medien in Österreichs und der Schweiz. Einerseits geht es um formelle Ansatzpunkte wie ein Redaktionsstatut, die Teilnahme an einer anerkannten Form der Selbstkontrolle wie dem Presserat. Dass man Urteile des Presserats nicht nur respektiert, sondern auch publiziert. Weitere Vorschläge reichen von Leserbeauftragten bis zu einer Korrekturspalte, und dann gibt es inhaltliche Kriterien, die in der Kommunikationswissenschaft seit Jahren gehandelt werden – wie den Trennungsgrundsatz von Nachricht und Kommentar und von redaktionellen und werblichen Inhalten, Quellentransparenz, Recherche et cetera. Andere wiederum fordern die Häufigkeit der Verurteilungen des Presserats als Maßstab ein, und so weiter.

STANDARD: An Kriterien mangelt es also nicht.

Karmasin: Sieht man sich den typischen Medienmarkt an, dann gibt es den Boulevard und die Qualitätsmedien sowie Medien, die irgendwo in der Mitte einzuordnen sind. Es ist keinesfalls gesagt, dass der Boulevard nicht auch den Presserat anerkennt, dass er nicht auch seine Urteile publiziert, sich nicht auch um interne Mechanismen zur Qualitätskontrolle bemüht oder sich um Aus- und Weiterbildungen der Mitarbeiter in ethischer Hinsicht kümmert.

STANDARD: Boulevard und Qualität schließen einander nicht zwingend aus?

Karmasin: In diesem Sinne, dass Regeln eingehalten werden, journalistische Selbstkontrolle geübt wird, Ehrenkodizes anerkannt werden, Kontrollmechanismen eingeführt werden, die Korrektur von Fehlern veranlasst wird und so weiter. All das sind Möglichkeiten für den Boulevard, und es gibt internationale Beispiele, wo das funktioniert. Der Gesetzgeber ist indes im Sinne der regulierten Selbstregulierung gefordert – im Sinne einer Motivation zur Teilnahme an Selbstkontrolle, die über reine Freiwilligkeit hinausgeht, und auch im Sinne einer gesellschaftlichen Aufwertung der Selbstkontrolle – etwa wie es in anderen Berufen und Bereich schon länger der Fall ist.

Das Prinzip der Freiwilligkeit ist gut, aber nicht immer ausreichend, auch wenn die Entwicklung und die Akzeptanz durchaus positiv ist wie auch der Journalismus Report 2020 empirisch nachweist. Der Staat soll aber nicht sagen, was im Ehrenkodex der Presse steht, wie die Selbstkontrolle sich organisiert, aber er soll dafür sorgen, dass sich alle an dieselben Regeln halten. Und da ist Medienförderung ein Ansatz.

STANDARD: Das heißt, Sie würden die Mitgliedschaft im Presserat als Voraussetzung für Medienförderung verankern?

Karmasin: Ja, das hielte ich für sinnvoll. Inhaltlich hat sich der Staat nicht einzumischen, was im Ehrenkodex der Presse steht, es gibt auch ein Zensurverbot und das Recht auf freie Meinungsäußerung, aber er muss dafür sorgen, dass sich alle an dieselben Regeln halten. Analog zum Presserat für den Printbereich ginge so eine Selbstkontrolle auch im Privatrundfunk.

STANDARD: Mit dem Medienpaket der Regierung erhält der Privatrundfunk 15 Millionen Euro. Vermissen Sie auch hier die Qualitätskriterien analog zu den Printmedien?

Karmasin: Ja, allerdings muss man berücksichtigen, dass es hier mehr unterhaltende Elemente gibt, das ist auch legitim. Man müsste hier schon auch medienspezifische Kriterien definieren. Auch bei der Unterhaltung stellen sich relevante Fragen, etwa ob die Wertschöpfung in Österreich stattfindet. Das betrifft österreichische Produktionen wie die Film- und Kreativwirtschaft. Auch die sind stark von der Corona-Krise betroffen, und man könnte darüber nachdenken, dass man Koproduktionen fördert und dass man immer im Blick hat, dass die Maßnahmen die Wertschöpfung in Österreich maximieren sollen. Es ist nicht so, dass private Rundfunkbetreiber keine Qualität produzieren, das stimmt nicht, gerade im Informationsjournalismus gibt es sehr hochwertige Formate, aber die Förderung sollte auch hier an Qualitätskriterien gekoppelt werden.

STANDARD: Wer sollte über die Vergabe entscheiden?

Karmasin: Generell könnte sich die Vergabe zum Beispiel an der Wirtschaftsförderung orientieren. Also dass die Gelder von Expertenjurys vergeben werden. Man evaluiert dann die Treffsicherheit der Maßnahmen – etwa durch den Rechnungshof, denn die derzeitige Presseförderung hat nicht unbedingt zu einer Erhöhung der Vielfalt und zur Abnahme der Konzentration beigetragen. Es ist sicher nicht so, dass sich Expertinnen und Experten nicht auch irren können, wichtig ist aber eine möglichst politikferne Besetzung und dass Leute darüber entscheiden, die die Zukunft der Branche einschätzen können.

Ziel und Sinn der Medienförderung muss es sein, eine möglichst hohe Qualität der öffentlichen Auseinandersetzung und des öffentlichen Diskurses zu forcieren. Gefördert werden soll, kurz gesagt, was Wertschöpfung in Österreich ermöglicht und was demokratiepolitisch von Wert ist – und das ist mehr oder minder professioneller, qualitätsvoller und in jeder Hinsicht unabhängiger Journalismus in größter Pluralität, der freilich nicht immer auf sogenannte Legacy Media und auf klassische berichtende Formate beschränkt sein muss.

STANDARD: Auch der ORF klagt darüber, dass ihm die Werbeeinnahmen wegbrechen, und prognostiziert, dass heuer 50 Millionen Euro fehlen könnten. Sollte die Regierung auch dem ORF finanziell unter die Arme greifen?

Karmasin: Die Corona-Krise schlägt im Medienbereich brutal zu. Da geht es vor allem einmal um die Gewährleistung von Qualität und Information. Der ORF macht hier einen hervorragenden Job. Das wird auch von der Bevölkerung anerkannt. Auch für eine zukünftige Gestaltung muss man klarerweise den ORF mitdenken und berücksichtigen. Mittelfristig geht es darum, wie man den öffentlichen-rechtlichen Rundfunk und den freien, nichtkommerziellen Sektor so organisiert, dass eine möglichst hohe Qualität von Öffentlichkeit herauskommt – sowohl im Unterhaltungs- als auch im Informationsbereich.

STANDARD: Mittelfristig gesehen: Wie soll der ORF finanziert werden? Über Gebühren, das Budget oder eine Haushaltsabgabe?

Karmasin: Meine Präferenz ist eine Haushaltsabgabe. Erstens ist sie transparent, zweitens ist die Frage nach der Gesetzeslage zu stellen. Wer den ORF streamt, braucht keine ORF-Gebühren zu zahlen. Das hält an der Fiktion der Terrestrik fest und nicht am digitalzeitlichen Fernsehen. Das geht an den Nutzungsrealitäten vorbei. Gerade auch jüngere Menschen nutzen aktuell den ORF, sie nutzen ihn aber auch zeitlich versetzt und über die digitalen Angebote. Mit einer Haushaltsabgabe ließe sich auch die aktuelle Intransparenz beseitigen. Der ORF erhält ja im Bundesländerschnitt nur circa 67 Prozent der GIS-Gebühren, der Rest geht etwa an die Länder und die Kulturförderung oder ist Umsatzsteuer. Eine Haushaltsabgabe, die an das Einkommen gekoppelt ist, wäre auch gerechter. Und ich bin selbstverständlich sehr dafür, dass auch einkommensschwache Menschen, die sich das nicht leisten können, Zugang zu öffentlich-rechtlichem Fernsehen haben.

STANDARD: Sollten die Gelder für Medienförderung aus der Haushaltsabgabe gespeist werden?

Karmasin: Eher nein. Was ich schon einmal vorgeschlagen habe, ist, die Werbeabgabe für Medienförderung zweckzubinden. Die ist Ländersache, könnte aber im Zuge der Finanzausgleichsverhandlungen – Paragraf 15a – aufs Tapet kommen und diese Sondersteuer für Medien zweckbinden.

STANDARD: Aufgrund der Einbußen am Werbemarkt müssen einige Medien auf Kurzarbeit setzen, was eine Reduktion der Arbeitszeit bedingt. Sehen Sie die Gefahr, dass das Informationsangebot darunter leiden könnte, das gerade in der Corona-Krise so essenziell ist?

Karmasin: Das ist die Problematik und zeigt, wie wichtig qualitätsvolle Information ist. Die Medien leiden genauso wie alle anderen Branchen, vielleicht sogar noch ein bisschen mehr, unter der Corona-Krise, und gerade die Medien sind für qualitätsvolle Information ganz essenziell, und natürlich könnte die Qualitätssicherung aufgrund fehlender Ressourcen oder mangelnder Liquidität schwieriger werden. Deswegen lautet mein Appell, schnell und direkt zu helfen, damit die Liquidität weiter aufrecht bleibt und Medien weiter einen guten Job machen können. Dass man dafür in Kauf nimmt, dass man ein paar fördert, die es nicht verdient hätten, und ein paar vergisst, die es verdient hätten, das kann in der Geschwindigkeit passieren, sollte aber mittelfristig in einer Post-Corona-Medienpolitik korrigiert werden. (Oliver Mark, 7.4.2020)