Inwieweit können in Österreich tätige Forscherinnen und Forscher ihrer Arbeit nachgehen, wenn Unis geschlossen sind, Forschungsinstitutionen auf Homeoffice umgestellt haben und soziale Distanzierung viele gewohnte Abläufe unmöglich macht? Wir haben uns unter Wissenschafterinnen und Wissenschaftern umgehört und sie gefragt, wie sie die Corona-bedingten Einschränkungen erleben, vor welchen Herausforderungen sie stehen und welche Veränderungen nach der Krise womöglich beibehalten werden.

Mikrobiologin Gabriele Berg.
Foto: Lunghammer/TU Graz

"Seit drei Wochen darf unser Institut nur noch mit einer Ausnahmegenehmigung betreten werden. Deshalb ruht die experimentelle Forschung. Unsere Mikroorganismen, von denen wir 20.000 verschiedene Stämme haben, schlummern bei minus 85°C und warten auf das Ende der Corona-Krise. Wir untersuchen Mikrobiome überwiegend auf DNA/RNA-Ebene und besitzen deshalb große Sequenz-Bibliotheken, die sicher am Server abgespeichert sind. Das ist jetzt unser Glück. Wir können die Sequenzen rund um die Uhr für wissenschaftliche Fragestellungen heranziehen – das funktioniert aus dem Homeoffice."

Das Coronavirus macht uns bewusst, dass wir im Anthropozän durch Globalisierung, Urbanisierung, Überbevölkerung und intensive Landwirtschaft die Biodiversität unseres Planeten drastisch dezimiert haben. Mikrobielle Biodiversität agiert als natürliche 'Krankenversicherung' gegen Pandemien. Unser Fazit: Wir brauchen einen Paradigmenwechsel im Umgang mit unseren mikrobiellen Mitbewohnern!"

Gabriele Berg ist Mikrobiologin und Professorin für Umweltbiotechnologie an der TU Graz.


Mathematiker Ronny Ramlau.
Foto: privat

"Einen Mathematiker stellen sich viele als einen allein in einer Kammer mit Büchern, Bleistift und Papier sitzenden Menschen vor. Das klingt wie der ideale Beruf für Homeoffice. Also alles so wie immer? Nein. Trotz Erfahrungen mit internationalen Kooperationen sind die internen gemeinsamen Forschungsarbeiten komplizierter geworden. Normalerweise erfolgen Diskussionen an der Tafel, wo gemeinsam Ideen entwickelt werden. Dafür haben wir noch keinen perfekten Online-Workaround gefunden.

Meine Arbeitsgruppe ist in viele internationale Kooperationsprojekte involviert, zum Beispiel bei der Entwicklung von Instrumenten für das im Bau befindliche Extremely Large Telescope der Europäischen Südsternwarte (ESO). Während die Projekte wie dieses nahezu ungestört weiterlaufen, fallen alle Konferenzen aus, auf denen die Resultate präsentiert und diskutiert werden sollten."

Ronny Ramlau leitet das Institut für Industriemathematik an der Johannes-Kepler-Universität in Linz und ist Direktor des Johann Radon Institute for Computational and Applied Mathematics der ÖAW.


Politologin Sophie Uitz.
Foto: privat

"Ich bin Forscherin im FWF-PEEK-Projekt Genealogie der Amnesie. Wir untersuchen politische Identitätsbildung durch das Verschweigen und Verdrängen von Genozid in Österreich, Belgien und dem ehemaligen Jugoslawien. Aktuell bereiten wir eine für Herbst geplante Ausstellung im Weltmuseum Wien vor. Die Detailplanung der Installationen wurde auf Juni oder Juli verschoben. Weiterarbeiten können wir hingegen zum Beispiel am Ausstellungskatalog. Künstlerinnen und Künstler, die daran beteiligt sind, tun sich zum Teil schwer mit ihrer Arbeit. Oft fehlt ihnen der Zugang zu Archivmaterialien von manchen Museen, die nur lokal abrufbar oder überhaupt analog sind. Viele große Portale haben ihre Sammlungen vorübergehend kostenlos zugänglich gemacht, und die Sammlung unseres eigenen Forschungsmaterials haben wir zum Glück in den letzten beiden Jahren bereits weitestgehend abgeschlossen.

Im Projekt sprechen wir offen über unsere Arbeits- und Lebensbedingungen und spielen uns nach Bedarf gegenseitig auch mal frei. Diese Praxis des solidarischen Miteinanders gab es zwar schon vorher, erweist sich in Zeiten wie diesen aber als umso wichtiger."

Sophie Uitz ist Politologin und Forscherin an der Akademie der bildenden Künste.


Chemiker Nuno Maulide.
Foto: Apa/Hans Punz

"Am Anfang dachte ich mir: Endlich viel mehr Zeit! Inzwischen hat eine gewisse Ernüchterung eingesetzt. Denn auch für einen Wissenschafter ist es im Homeoffice viel schwieriger, die Zeit effektiv zu nutzen. Auch die Interaktion in der Gruppe hat sich sehr verändert. Wenn ich dieser Tage Seminare mit meinen Mitarbeitern und Kollegen abhalte, hat das ein ganz anderes Flair. Statt die Menschen persönlich zu treffen, sehe ich jetzt 25 kleine Videokästchen dichtgedrängt auf meinem Bildschirm.

Wenn ich über meine Forschung nachdenke, verspüre ich eine große Unruhe: Ich möchte etwas beitragen, damit wir schneller wieder aus dieser Krise herauskommen. Wenn wir heute beginnen, Moleküle zu entwickeln, die gegen Covid-19 pharmazeutisch eingesetzt werden könnten, erreichen wir – wenn wir Glück haben – in ein paar Jahren das Ziel. Mehr Hoffnung machen mir Wirkstoffe, die wir bereits kennen. Wir untersuchen also, ob unter jenen Molekülen, zu denen meine Gruppe geforscht hat, eines dabei ist, das gegen Covid-19 eingesetzt werden könnte. Was ich als Forscher in der jetzigen Krise ermutigend finde, ist, dass die Politiker in den meisten Ländern jetzt auf wissenschaftlichen Fakten basierende Entscheidungen treffen. Ich hoffe, dass das auch nach der Corona-Pandemie so bleiben wird."

Nuno Maulide, Professor für Organische Synthese an der Universität Wien.


Krebsforscherin Anna Obenauf.
Foto: Corn

"Die Corona-Krise hat massive Auswirkungen, weil wir nicht ins Labor können. Es gibt einen Notfallplan, der umgesetzt wird: Zelllinien, Labortiere werden weiterhin betreut, aber es dürfen keine Experimente durchgeführt werden. Wir versuchen die Zeit mit Literaturrecherchen, Diskussionen zu nützen und schreiben Manuskripte. Fehlende Experimente müssen später nachgeholt werden. Es gibt den Austausch per Videokonferenzen: Lab-Meetings, Teamleader-Meetings und der Morgenkaffee finden online statt. Wir sind aber froh, wenn wir, eventuell unter gewissen Auflagen, wieder ins Labor können."

Anna Obenauf ist Krebsforscherin und Gruppenleiterin am Institut für molekulare Pathologie (IMP) in Wien.


Kommunikationsexperte Peter Schneckenleitner.
Foto: FH Kufstein

"In meinem Studiengang Marketing und Kommunikationsmanagement arbeiten wir seit Jahren erfolgreich mit Blended-Learning-Methoden. 50 Prozent der Zeit investieren unsere Studierenden zu Hause in von uns entwickelte E-Learning-Kurse. Die restlichen 50 Prozent werden als Präsenzlehrveranstaltung vor Ort in unseren Hörsälen abgehalten. Viele meiner Kolleginnen und Kollegen und auch ich konnten durch die neue Situation rasch entweder auf bereits bestehende E-Learning-Kurse zurückgreifen oder diese entsprechend anpassen.

Neu ist für mich der massive Einsatz von unterschiedlichen Online-Konferenz-Tools. Das funktioniert wirklich hervorragend. Viele fragen sich heute, warum man diese Tools nicht schon viel früher und öfter eingesetzt hat. Ganz neu für mich ist auch, dass immer alle zu Hause sind. Tirol geht strikt mit seinen Quarantänebestimmungen um. Wir wissen somit unser separates Arbeitszimmer sehr zu schätzen."

Peter Schneckenleitner ist Professor für Kommunikationsmanagement an der FH Kufstein Tirol.


Computerwissenschafter Berhard Rinner.
Foto: Daniel Waschnig

"Derzeit forschen wir in meinem Team an der Koordination vernetzter autonomer Systeme. Die Corona-Maßnahmen haben kaum zu Änderungen in der Software-Entwicklung und bei den Simulationsstudien geführt. Jedoch sind derzeit kaum Experimente durchführbar. Vor zwei Wochen mussten wir Tests, bei denen bis zu acht mobile Roboter gleichzeitig eine Aufgabe erledigen sollen, im Labor abbrechen. Für die Vorbereitung und Kontrolle der Roboter braucht man mehrere Personen, und das ist aufgrund der strengen Bestimmungen nun nicht möglich.

Für Nachwuchswissenschafterinnen und -wissenschafter ist diese Situation besonders herausfordernd. Drei Doktoranden (aus Griechenland, Südkorea und Iran) arbeiten seit März in meiner Gruppe, mit zwei konnte ich mich bis jetzt ausschließlich virtuell treffen. Besonders schlimm ist es für unsere Austauschstudierenden. Anstatt eine neue Universität, Stadt und Kultur kennenzulernen, sitzen sie nun rund um die Uhr in den Studentenheimen fest.

Nach der Corona-Krise werden wir uns bewusster zwischen virtueller und persönlicher Interaktion in Forschung, Lehre und Verwaltung entscheiden. Ich hoffe, dass das Vertrauen der Gesellschaft in Forschung und wissenschaftlich belastbare Fakten weiter steigen wird. Das gibt Hoffnung für die Lösung unserer großen Probleme!"

Bernhard Rinner ist Computerwissenschafter am Institut für Vernetzte und Eingebettete Systeme an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt.


Physiker Roland Wester.
Foto: UIBK

"Für die experimentelle Forschung meiner Arbeitsgruppe bedeutet die aktuelle Krise eine große Umstellung. Alle Experimente in unseren Innsbrucker Laboren sind auf Standby heruntergefahren. Statt der Laborforschung steht nun die Computermodellierung der Experimente und das Fertigstellen von Fachartikeln im Vordergrund. Auch für die Lehre bedeutet die Situation eine massive Veränderung. Die große Experimentalphysik-Vorlesung im zweiten Physiksemester gebe ich jetzt im leeren Hörsaal – gestreamt an alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die sich live online mit Fragen und Kommentaren an mich wenden können. So komme ich mir im Hörsaal nicht ganz so allein vor."

Roland Wester forscht am Institut für Ionenphysik und Angewandte Physik der Universität Innsbruck.


Visualisierungsexperte Kresimir Matkovic.
Foto: privat

"Nachdem ich am 12. März nach Zagreb gereist war, um Fachexperten unseres Unternehmenspartners zu treffen und meine kroatische Familie zu besuchen, musste ich mich in eine 14-tägige Selbstisolation begeben. Am 22. März wurde ich dann durch das Erdbeben geweckt. Die Covid-19-Absperrungen und meine lange Selbstisolation erschienen mir plötzlich fern. Glücklicherweise wurde niemand in meiner Familie verletzt, auch unser Haus überstand das Erdbeben unbeschadet.

Was hat sich seitdem verändert? Unsere Forschungsarbeit geht weiter, die Kollaboration an neuen Veröffentlichungen, das Schreiben von Projektanträgen. Ich habe die erste Prüfung via Skype für einen meiner Studenten geplant und ein Online-Tutorial auf der IEEE-VR-Konferenz gehalten. Bis vor kurzem wäre es unvorstellbar gewesen, eine solche Konferenz, die üblicherweise tausende Teilnehmer hat, online abzuhalten. Viele Dinge, die man für unmöglich hielt, sind nun möglich. Ich bin mir sicher, dass die Welt anders sein wird, wenn diese Pandemie vorbei ist, und ich denke, dass sie sogar in vielen Punkt besser wird."

Kresimir Matkovic ist Senior Researcher am VRVis Zentrum für Virtual Reality und Visualisierung.


Biomediziner Franz Feichtner.
Foto: Joanneum Research

"Mir fällt auf, dass Videomeetings extrem pünktlich starten und sehr effizient ablaufen: Ich hoffe, dass wir daraus lernen, in Zukunft bei Geschäftsreisen vermehrt auf diese Technologie zu setzen und so auch Flüge eingespart werden können.

Natürlich ist unser Laborbetrieb eingeschränkt. Klinische Versuche sind derzeit nicht durchführbar und präklinische Versuche nur sehr eingeschränkt. Im analytischen Labor wird gearbeitet, wobei die Abstandsregeln eingehalten werden und die Anzahl an Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Labor beschränkt ist. Erfreulich für uns ist, dass wir trotzdem sehr aktiv mit unseren Kunden in Kontakt stehen und zukünftige Projekte planen. Und, besonders wichtig: Auch in so einer Situation verlieren wir nicht den Humor!"

Franz Feichtner ist am Institut für Biomedizin und Gesundheitswissenschaften der Joanneum Research tätig.


Biochemikerin Viktoria Weber.
Foto: Donau-Universität Krems

"Für Forscherinnen und Forscher in den laborbasierten Naturwissenschaften ist das keine leichte Zeit. Die Labors kann man zwar betreten, um Zellkulturen am Leben zu erhalten, für mehr aber nicht. Für Dissertanten und Dissertantinnen ist das ein schwerer Einschnitt. Ich hoffe, dass es nicht zu lange dauert. Dann kann man dieser Zeit auch positive Seiten abgewinnen und sich Publikationen widmen."

Viktoria Weber ist Biochemikerin und Vizerektorin für Forschung an der Donau-Universität Krems.


Ingenieurswissenschafter Markus Vill.
Foto: FH Campus Wien/Ludwig Schedl

"Zuverlässige Schienen- und Straßenverkehrswege sind wichtige Motoren jeder Volkswirtschaft und Brückenbauwerke ganz zentrale Bestandteile dieser Verkehrswege. Im österreichischen Schienen- und Straßennetz haben die Brückenbauwerke ein durchschnittliches Lebensalter von circa 50 Jahren. Trotzdem müssen sie zu jedem Zeitpunkt zuverlässig zur Verfügung stehen.

Im Projekt 'Verwaltung 4.0: Digitalisierung und ihre Grenzen im Bauprozess und Asset-Management von Verkehrsinfrastruktur der Stadt Wien' wird erforscht, wie bestehende Infrastrukturbauwerke effizient digitalisiert werden können, um die Daten optimal für Instandhaltungsprozesse nutzen zu können. Aufgrund der aktuellen Situation bin ich derzeit im Homeoffice. Für meine Arbeitsweise hat sich nur geändert, dass wir die Kommunikation zum und das Arbeiten im Projekt 'noch digitaler' abwickeln. Das passt gut zum Projekt, denn durch die von Covid-19 erzwungenen Änderungen von Arbeitsprozessen und die damit verbundene beschleunigte Umstellung auf digitale Medien wirkt das Projekt als Katalysator, um digitale Prozesse im Bereich von bestehenden Infrastrukturbauwerken noch schneller voranzutreiben."

Markus Vill lehrt an der FH Campus Wien die Fachbereiche Brückenbau und Massivbau und leitet das Kompetenzzentrum für F&E im Bereich des konstruktiven Ingenieurbaus.

(kri, pi, trat, 13.4.2020)