Für Kultureinrichtungen sieht Alfred Weidinger auch Positives, sich selbst muss er nach einer Lungenembolie zur Risikogruppe zählen.

Hubertus von Hohenlohe

Mit Sack und Pack von Leipzig an den Attersee zu übersiedeln, das ist in der gegenwärtigen Situation einfacher gedacht als umgesetzt. Selbst wenn es berufliche Gründe hat, wie Alfred Weidinger feststellte. Innerhalb Deutschlands sind Transporte möglich, Richtung -Österreich haben die deutschen Spediteure dagegen reihenweise abgewunken, erzählt der 1961 im oberösterreichischen Schwanenstadt Geborene. Das Gros seiner Habe lagert nun vorübergehend bei einem Spediteur in München, persönliche Gegenstände und Unverzichtbares transportierte er mit dem Pkw.

Nach zwei Jahren und sieben Monaten brach er seine Zelte als Direktor des Museums der bildenden Künste (MdbK) in Leipzig vorzeitig ab und trat Mitte vergangener Woche seinen Dienst in Linz an: als Geschäftsführer der OÖ Landes-Kultur GmbH, in die mit 1. April die Betriebe des Oberösterreichischen Landesmuseums mit den Hauptstandorten Schlossmuseum, Landesgalerie und Biologiezentrum sowie sämtliche Nebenstandorte und das OÖ Kulturquartier eingegliedert wurden.

Selbst Teil der Risikogruppe

Im Herbst wird er eine Mietwohnung in unmittelbarer Nähe des Schlossmuseums beziehen. Bis dahin pendelt er von seinem Elternhaus in Seewalchen am Attersee nach Linz: über leere Straßen in ein leeres Schloss in ein provisorisch eingerichtetes Büro.

Das Coronavirus betrifft seinen Alltag nicht nur beruflich, sondern auch privat. Nach einer Lungenembolie im vergangenen Jahr gehört er zur Risikogruppe, "ich hatte Riesenglück", erinnert sich der strikte Nichtraucher und sportliche 58-Jährige. Als Geschäftsführer mehrerer "geschlossener" Betriebe gilt es, das Beste aus der Situation zu machen.

Auf analogem Wege sind derzeit allen Museen die Hände gebunden. Für Oberösterreich lag das Konzept für ein digitales Programm schon in der Schublade. Als die deutschen Museen schließen mussten, nutzte er es für einen Testlauf in Leipzig. Dort hatte Weidinger über Social-Media-Kanäle schon zuvor Aufmerksamkeit mobilisiert. Knapp 20.000 Follower auf Instagram, kein einziger davon gekauft, wie er betont.

Sein Konzept dreht sich um Talks mit Künstlern oder Kuratoren im "Livestream, auf der Basis von Twitch.tv" über Facebook. Daraus ergibt sich ein interaktiver Zusatznutzen, da man live auf Kommentare der User reagieren kann. Die Videobeiträge werden anschließend auf dem Instagram-TV-Format (IGTV) gehostet.

Neuer Kulturkanal auf Instagram

Ein Universalbetrieb wie sein nunmehriger "produziere laufend so viel an Inhalten und Geschichten, die bislang kaum vermittel- oder erlebbar waren". Der neue Kulturkanal (Facebook/Instagram: @ooe.kultur) ist seit vergangener Woche in Betrieb. Die Beiträge werden nicht nur von den klassischen Standorten gestreamt, sondern künftig auch von Schauplätzen aus der Region Oberösterreich. Etwa Liveberichte von archäologischen Ausgrabungen, um nur ein Beispiel zu nennen.

"So schwierig die Phase derzeit ist, sie begünstigt eine neue Denkweise", ist Weidinger überzeugt. Kurz: "Wir können überall sein." Bislang sei der Fokus ausschließlich auf Linz gelegen und habe sich das Landesmuseum wie ein städtisches Museum geriert. Die Regionen blieben weitgehend unberücksichtigt, das wird sich künftig ändern.

Die Corona-Krise wollen er und sein Team nutzen, um Identifikation zu schaffen, "den Leuten in der Region Dinge zu zeigen, die sie sonst nicht sehen, um sie für Kultur zu begeistern". Sowohl jetzt als auch danach. Dem digitalen Content wird ein physisch mobiles Modell folgen. So in der Art von Bäckern, die durch Dörfer fahren und ihre Ware feilbieten? Exakt, er sei sehr froh, 20 fix angestellte Kulturvermittler in seinem Team zu haben, die bei der Konzeption wesentlich eingebunden sind.

Der "Zirkusdirektor"

Dementsprechend herrscht hinter den Kulissen der für Besucher geschlossenen Standorte sehr wohl Betriebsamkeit. Neben Videokonferenzen wird derzeit in interdisziplinären Gruppen über einen Blog samt begleitendem Liveticker an Projekten gearbeitet.

Welche Wellen der vor Weidingers Antritt prognostizierte "frische Wind" zu verursachen im Stande ist, wird sich weisen. Blickt man jetzt auf seine Leipziger Jahre zurück, dann war sein Tempo durchaus eine Herausforderung. 85 Ausstellungen oder Installationen in schneller Abfolge: "Wie ein Zirkusdirektor kämpfte er mit Attraktionen um Aufmerksamkeit, mit teils drei Ausstellungseröffnungen in einer Woche", bilanzierte der Mitteldeutsche Rundfunk jüngst über den "Museumsumkrempler". Die Jahre seines Vizedaseins an der Albertina oder dem Belvedere und als Kokoschka- und Klimt-Experte nehmen sich dagegen rückblickend fast blass aus. (Olga Kronsteiner, 7.4.2020)