Die Corona-Pandemie bedeutet nicht nur eine globale Gesundheitskrise, sondern auch einen Wendepunkt in der internationalen Politik und Wirtschaft. Die zwischen Nord und Süd wirtschaftlich und zwischen West und Ost auch politisch gespaltene, durch den Brexit amputierte EU hat in der Virus-Krise völlig versagt. Die Rückkehr von Grenzkontrollen und der von nationalem Egoismus getriebene Kampf um Masken und Beatmungsgeräte auf dem Weltmarkt bestätigen die bedenkliche Tendenz zur Renationalisierung. Von einer "immer engeren Union" sprechen nicht einmal die Berufsoptimisten in Brüssel. Den Bedeutungsverlust symbolisiert die hilflose Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, die statt unmissverständlicher Kritik an Viktor Orbáns Ermächtigungsgesetz und am Abbau des Rechtsstaates in Polen abgedroschene Phrasen über einen "neuen Marshallplan für Europa" verzapft.

Die durch den Brexit amputierte EU hat in der Virus-Krise völlig versagt.
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Kein Wunder, dass Orbán, der Militär zur Kontrolle von Spitälern (!) und 140 "strategisch wichtigen" Unternehmen einsetzt, "keine Zeit" habe, sich mit der Forderung von 13 Mitgliedsparteien der Europäischen Volkspartei nach einem Ausschluss der Regierungspartei Fidesz zu beschäftigen. Nach der Erklärung von 16 EU-Staaten (ohne Namensnennung) über die Gefährdung der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit durch "bestimmte Notfallmaßnahmen" ließ er seine Justizministerin zynisch mitteilen, Ungarn teile diese Sorge und schließe sich der Erklärung an. Sein Sprachrohr, Zsolt Bayer, erklärte in seiner Kolumne: Die EU sei eine Leiche und die Ungarn freuten sich auf ihre nationale Wiedergeburt. Am vergangenen Freitag nannte Orbán sogar Brüssel "unseren Feind".

Ordnungsmacht

Dagegen feiert er China für die Lieferung von Masken als Helfer in der Not, wenn auch Orbán in der Huldigung nicht so weit geht wie Serbiens Präsident Aleksandar Vucic. Dieser wurde nämlich laut Presseberichten zum Publikumsliebling in China, nachdem er in Belgrad die chinesische Fahne küsste. Der Diktator Xi Jinping, dessen Regime die Pandemie zuerst verschwieg, bis heute die Opferzahlen verfälscht und Kritiker unbarmherzig verfolgt, lässt sich für sein angebliches Erfolgsmodell bei der Einhegung des Virus und für die Lieferung von Masken und Beatmungsgeräten für europäische Staaten feiern. Manche Beobachter warnen schon davor, dass sich China nach dem Abstieg der USA unter Präsident Donald Trump sogar als wichtigste Ordnungsmacht mit Führungswille präsentieren könnte.

Auch die von vielen Managern und Unternehmern insgeheim bewunderten "starken Männer", wie die Präsidenten Wladimir Putin und Recep Tayyip Erdogan, sowie die populistischen Staatschefs Trump und Jair Bolsonaro, die alle wochenlang das Virus verharmlost und bei dessen Eindämmung wertvolle Zeit verspielt hatten, inszenieren sich jetzt nicht ohne Erfolg als Herren der Lage. Es wäre auch unklug, die Rechts- und Linkspopulisten in der Opposition wegen der sinkenden Beliebtheitswerte zu schnell abzuschreiben.

Die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie, vor allem Massenarbeitslosigkeit und Verarmung gekoppelt mit mangelnder Transparenz einer Regierung, könnten für die Populisten fruchtbaren Boden liefern. (Paul Lendvai, 7.4.2020)