Im Gastkommentar widmet sich der pensionierte Spitzenbeamte und ehemalige Präsidialchef des Kanzleramts, Manfred Matzka, den rechtsstaatlichen Aspekten der Corona-Maßnahmen von Türkis-Grün.

"Die Regierung wird ermächtigt, während der Dauer der durch Covid-19 hervorgerufenen außerordentlichen Verhältnisse durch Verordnung die notwendigen Verfügungen zur Förderung und Wiederaufrichtung der gesundheitlichen Versorgung, zur Abwehr wirtschaftlicher Schädigungen und zur Versorgung der Bevölkerung mit Gesundheitsleistungen und Bedarfsgegenständen zu treffen. In den zu erlassenden Verordnungen können Geldstrafen … festgesetzt werden."

Das kommt uns doch bekannt vor? Das ist doch die Basis der derzeitigen Maßnahmen der Bundesregierung? Mitnichten. Das ist der Text des Kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetzes von 1917, nur das Wort Krieg wurde durch Covid-19 und wirtschaftlich durch gesundheitlich ersetzt. Jener Gesetzestext also, mit dem 1933 der Rechtsstaat ausgehebelt, die Demokratie zerschlagen wurde und der Austrofaschismus die Macht ergriff.

Auffällige Parallele

Die auffällige Parallele sollte zu denken geben. Es schien auch 1917 klar und von der Bevölkerung mitgetragen, dass eine schwierige Situation außerordentliche Maßnahmen erforderte. Es war plausibel, dass die Regierung rasch aktionsfähig sein musste und man keine überlangen Diskussionen im Parlament brauchen konnte. Man war beruhigt, weil die Verordnungen zeitlich befristet und nur auf ein konkretes Sachgebiet beschränkt waren. Ermächtigungsgesetze haben aber ein gefährliches Potenzial, das unter bestimmten Bedingungen so exponentiell ansteigen kann wie eine Infektion. Man muss also sehr genau auf erste, kleinste Anzeichen der Kurve achten – und die sind nicht beruhigend.

Gesundheitsminister Rudolf Anschober hat am Montag den umstrittenen "Oster-Erlass" zurückgenommen. Die bestehenden Verkehrsbeschränkungen reichen, um Corona-Partys aufzulösen.
Foto: APA / Helmut Fohringer

Es begann mit den durch das Ministerium am 11. März anbefohlenen Verordnungen nach Paragraf 15 Epidemiegesetz, die von allen Bezirksverwaltungsbehörden erlassen wurden. Das Gesetz deckte eindeutig nur ein Verbot von Versammlungen ab, die Verordnungen hingegen ordneten auch Betriebsschließungen an. Gesetzeswidrig, wie bereits Alfred J. Noll im STANDARD ausgeführt hat. Das wussten die Behörden auch, dennoch wurden diese Akte gesetzt. Sie haben deshalb die Maßnahme auf Paragraf 15 gestützt, weil der für Betriebsschließungen geltende Paragraf 20 Entschädigungen vorsieht und man diese vermeiden wollte. Mittlerweile sind alle diese Verordnungen von den Homepages spurlos gelöscht worden. Ein Schelm, wer da denkt, man will weiterhin den gesetzlichen Entschädigungsansprüchen entkommen.

Aberwitzige Sammelgesetze

Dann kamen drei Wellen von Covid-19-Ermächtigungsgesetzen. Allesamt husch-pfusch vorbereitet (was man angesichts des Zeitdrucks verstehen kann), alle in einem parlamentarischen Notverfahren ohne wirkliche Debatte (was man schon nicht mehr versteht) und zwei davon in der Form von aberwitzigen Sammelgesetzen, die 42 Novellen und dann 92 Artikel enthielten, welche niemand mehr, auch kein Parlamentarier, überblicken konnte.

Der nächste Akt waren zahllose "Erlässe" vor allem des Gesundheitsministers. Alleine das Wort ist ein schwerer Angriff auf den Rechtsstaat, denn ein Minister hat mit anfechtbaren korrekten Verordnungen zu arbeiten, die eindeutig auf ein Gesetz gestützt sind, und nicht mit nebulosen Anordnungen – eigentlich nur Weisungen an die Beamten –, die man beliebig und willkürlich von heute auf morgen schreiben, korrigieren, auslegen und bei Kritik auch wieder verräumen kann. Der schöne Artikel 18 der Bundesverfassung sei da ins Stammbuch geschrieben: "Die gesamte staatliche Verwaltung darf nur auf Grund der Gesetze ausgeübt werden."

Vermurkstes Inkrafttreten

Es folgte das 1. Covid-Maßnahmengesetz mit einer völlig undeterminierten Blanko-Ermächtigung an den Minister, Betretungsverbote zu erlassen, wo und wie immer er es für erforderlich hält. Es wurden dabei keine objektiv nachprüfbaren Parameter genannt, wann die Erforderlichkeit gegeben und wie sie objektiv zu begründen ist. Es handelt sich hier aber immerhin um einen Grundrechtseingriff, und ein solcher ist nur zulässig, wenn er verhältnismäßig ist. Aber nicht genug damit. War schon das Gesetz zu weit formuliert, wurde in der Vollziehung noch exponentiell ausgedehnt. Das Verbot des Betretens von Betriebsstätten wurde zum Lieferverbot von Pizzas, das Betretungsverbot "bestimmter Orte" zur Ausgangssperre, also zum Betretungsverbot für einfach alle Orte.

Merkbar willkürlich war dann noch eine technisch vermurkste, rückwirkende Inkrafttretensbestimmung: Sie erhält das Epidemiegesetz zwar aufrecht, ermächtigt aber den Minister dazu, durch Verordnung je nach Belieben just dessen Entschädigungsregeln für geschlossene Betriebe außer Kraft zu setzen – was dieser auch prompt tat. Wenn je ein Gesetz verfassungswidrig war – dies ist ein Paradefall dafür.

Verfassungs-Test

Das 2. Covid-Maßnahmengesetz brachte die schwammige Ermächtigung, ein "öffentliches Warnsystem" via Handy einzurichten, unter dem man vieles verstehen kann und je nach Laune der Regierung auch verstehen wird. Angeordnet werden darf ja bereits bei "größeren Notfällen" (!), und anordnen darf jedes Organ (!), das von der Regierung dazu – nach Belieben – ermächtigt wird.

Heimlich und still verborgen in Artikel 19 wurde noch die Verfassung geändert. Angeblich, um Umlaufbeschlüsse und Videokonferenzen der Regierung zu ermöglichen – doch dies war schon vorher zulässig. Jemand wollte offenbar nur mal testen, ob das Parlament auch Verfassungsänderungen schlucken würde.

Das Gesetz enthält rückwirkende Strafbestimmungen. Auch solche sind verfassungswidrig. Der Bundespräsident wusste das und hätte wohl nicht signieren dürfen. Da er aber befürchtete, damit das ganze Gesetz zu Fall zu bringen, unterschrieb er halt in Gottes Namen. Auf die Idee, es zurückzuschicken, kam er nicht.

Unfreiwillige Komik

Sodann folgte die Schutzmaskenpflicht beim Einkauf. Wieder nur ein Erlass, der "Hygieneregeln zur Verhinderung der Verbreitung von Covid-19 für Supermärkte und Drogerien zur Kenntnis bringt". Basis ist angeblich das Lebensmittelsicherheitsgesetz. Aber dieses enthält nur "Anforderungen an Lebensmittel, Wasser, Gebrauchsgegenstände und kosmetische Mittel und die damit verbundene Verantwortung der Unternehmer", keine Anforderungen an Kunden im Kontext von Ansteckungen. Zudem verlangt das Gesetz, dass nähere Regelungen durch Verordnung zu treffen sind, nicht durch Erlass.

Nicht ohne unfreiwillige Komik brachte schließlich der 1. April den – nun zurückgezogenen – "Oster-Erlass", der mit dem Versuch, Vorgänge in Wohnungen zu regeln, schärfer in Grundrechte eingegriffen hätte als alle bisherigen.

Damit sollte es jetzt aber genug sein. Es wäre anzuraten, dass sich Parlament (insbesondere die Opposition), Regierung (insbesondere die Grünen), Gesundheitsminister und Epigonen des seinerzeitigen Sektionschefs Hecht nicht nur mit Fieberkurven, Ängsten und Rabulistik, sondern auch mit Rechtsstaat, Verfassung und Geschichte beschäftigen, um "gesundheitswirtschaftliche Ermächtigungsgesetze" zu vermeiden. (Manfred Matzka, 7.4.2020)