Venedig ohne Touristen und Kreuzfahrtschiffe: Die Lagunenstadt macht sich bereit, Delphine und Meerjungfrauen an ihren Klippen zu begrüßen.

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Ein gewaltiger Sommer steht uns bevor. Während noch die Bienchen auf dottergelben Blüten die Dinge ihres täglichen Bedarfs einkaufen, wird uns die ganze Tragweite der über uns verhängten Quarantäne erst allmählich bewusst.

Lautete die bange Frage gestandener Globetrotter vor kurzem noch: "Totes Meer oder Kaspische See?", so wird das Problem, wie das Fernweh sich am wirksamsten kurieren lasse, heuer ausschließlich schmerzstillend zu lösen sein.

Mögen deine schmutzig-blauen Fluten, liebe Adria, endlich wieder aufklaren! Bald werden waschechte Delphine durch Venedigs verwaiste Wassergassen springen. Die Bewohner der Lagunenstadt werden ihr Kochwasser aus den Lagunen schöpfen. Meerjungfrauen werden ihre Flossenschwänze auf der Giudecca auslüften. Für uns Menschen aus Wien und Wien-Umgebung hingegen verströmen seit neuestem sogar Gewässernamen wie "Grundlsee" oder "Lange Lacke" einen betörend exotischen Reiz!

Keine Fernreisen

Als kleiner Babyboomer durfte ich erleben, dass die Aufbruchstimmung der frohgemuten Kreisky-Jahre sich nicht zwangsläufig in kostspieligen Fernreisen niederschlug. Wer nicht weiter konnte als bis zur Neige einer halben Tankfüllung, der redete sich wenigstens das Naheliegende schön. "Weißt du, ich hab‘ meinen Garten, mehr brauch‘ ich gar nicht!"

Wortreich spöttelten ältere Damen in verschlissenen Kittelschürzen über die Unfähigkeit der Italiener (die "Katzelmacher"), ein anständiges Schwarzbrot zu backen. Umständlich wurden im Wandschatten des Eigenheims riesige Salatbeete angelegt und von luftdicht verpackter Gärtnerinnenhand gewissenhaft betreut. Aus manchen Salatrückständen wurden sogar unwohlschmeckende Säfte gewonnen. "Mama, nächstes Jahr fahren wir aber schon wieder nach Rimini?"

Die meiste Zeit über genoss ich als Bub die gewaltigen Sommer im staubtrockenen Weinviertel. Ich trug Cowboyhüte und preschte im Fahrradsattel über die Prärie. Mein Vater fuhr allmorgendlich mit dem Auto nach Wien ins "Amt". Manchmal schien mir, er sei darüber nicht unfroh.

Nur meine Mutter stand mitunter minutenlang reglos hinter den Maschen des Drahtzauns, von einem namenlosen Fernweh gepackt. Alle Viertelstunden tuckerte ein Traktor vorüber. Dann bückte sie sich wieder, wie aus einer wohligen Gliederstarre erwacht, und las die überreifen, braunen Marillen aus dem Gras. (Ronald Pohl, 8.4.2020)