Rubina Möhring ist Präsidentin der Österreich-Sektion von Reporter ohne Grenzen.

Foto: APA/GEORG HOCHMUTH

Journalistinnen und Journalisten kommt in Krisenzeiten eine wichtige Rolle zu. Nicht immer sehen das auch Regierungen so.

Foto: EPA/FRANCK ROBICHON

Bild nicht mehr verfügbar.

Auch Pressekonferenzen gibt es notwendigerweise nur mehr mit Abstand.

Foto: AP/Joshua A. Bickel

Einige Staats- und Regierungschefs nutzen die Corona-Krise, um Grundrechte wie die Pressefreiheit einzuschränken und ihre Macht zu stärken. Es sind meist die üblichen Verdächtigen wie China, Russland, die Türkei. In Armenien darf man zum Beispiel nur mehr amtliche Pressemeldungen veröffentlichen. Turkmenistan versucht das Wort Corona zu verbieten. Durch Ungarns Notstandsgesetzgebung wird die Lage von kritischen Journalisten noch schwieriger. Mehrjährige Haftstrafen drohen für die Verbreitung von "Falschnachrichten". Und auch Slowenien fährt eine Verleumdungskampagne gegen einen unbequemen Journalisten.

DER STANDARD sprach mit Rubina Möhring, der Präsidentin der Österreich-Sektion von Reporter ohne Grenzen, über die schwierige Situation von Journalisten in einer Zeit, in der Grundrechte auch in Demokratien relativiert werden.

STANDARD: Einige Staats- und Regierungschefs nutzen die Corona-Krise, um Grundrechte einzuschränken und den Rechtsstaat auszuhebeln. Welche Auswirkungen hat das auf die Pressefreiheit?

Möhring: Das Paradebeispiel in Europa ist natürlich derzeit Ungarn, wo die Notstandsgesetzgebung Orbán alle Macht gibt, und das ohne zeitliche Begrenzung. Nicht wenige kritische oder objektiv berichtende Journalistinnen und Journalisten sind ja schon vorher ausgewandert. Man kann in Ungarn fast schon von Gehirnwäsche sprechen, mit erschreckenden Parallelen zu den 30er- und 40er-Jahren des letzten Jahrhunderts. Ab jetzt wird es noch einmal schwieriger für kritische Journalisten im Land. Die Gleichschaltung der Medien könnte in Zukunft noch stärker werden, als sie ohnehin schon ist.

STANDARD: Reporter ohne Grenzen hat deshalb auch einen offenen Brief an die EU geschrieben. Was fordern Sie?

Möhring: Wir fordern, dass die EU Ungarn zumindest verbal abmahnt. Das ist teilweise schon geschehen. Wir wissen, so eine Mahnung wird in Ungarn gelesen und irgendwo abgelegt. Aber die Thematik muss lebendig gehalten werden.

STANDARD: Kommen weitere internationale Versuche, die Medienfreiheit einzuschränken, von den üblichen Verdächtigen?

Möhring: Vieles kommt von den üblichen Verdächtigen. Russland, China, Türkei. In der Türkei werden auf der einen Seite Journalistinnen und Journalisten, die über Corona-Todesfälle berichten, verhaftet. Auf der anderen werden Amnestien ausgesprochen, die aber dezidiert nicht für Personen gelten, die wegen sogenannter Terrordelikte eingesperrt wurden. Das sind zu einem großen Teil Journalisten. Aber auch in Slowenien wurde ein Journalist Ziel einer Verleumdungskampagne, weil er auf die Corona-Gefahr hingewiesen hat und von der Regierung eine Stellungnahme erbat. Das erschafft ein Klima der Angst, was eine große Gefahr für die Gesellschaften per se ist.

STANDARD: Machen Sie sich auch in Österreich Sorgen?

Möhring: Wir diskutieren in Österreich über eine Tracking-App, bei der unsere gesamten Bewegungen kontrolliert werden könnten. Das alles hat die Tendenz zu "Big Brother is watching you". Ich finde es sehr gefährlich, wie leichtfertig mit diesen Dingen umgegangen wird. Auch Deutschland überlegt ja eine Tracking-App. Und in Deutschland kommt auch dazu, dass rechtsnationale Parteien wie die AfD beginnen, auf Migranten loszugehen. Ich habe das Gefühl, den Regierungen gehen in der Corona-Krise die Lösungsmöglichkeiten aus. Ein bisschen auch aus Hilflosigkeit wird die Gesellschaft Schritt für Schritt auseinanderdividiert. Ein Beispiel aus Österreich, das mich erschreckt hat: Bei einer Pressekonferenz hat der Innenminister (Karl Nehammer, Anm.) gemeint, dass man ja auch die Polizei anrufen könne, wenn der Nachbar Gäste habe. Das ist eine Aufforderung zur Denunziation. Das halte ich insgesamt für sehr gefährlich.

STANDARD: Die Regierung hat ein Presse-Rettungspaket geschnürt. Hier gab es Kritik daran, dass vor allem der Boulevard profitiert.

Möhring: Das ist ein Skandal, ja. Dafür kann die Regierung aber nichts, denn die aktuelle Hilfe fußt auf der Logik des Medienförderungsgesetzes, das sich nach der Höhe der Auflage richtet. Dieses Gesetz muss dringend reformiert werden. Die Kommerzsender bekommen das Geld nachgeschmissen, die freien Radios nagen am Hungertuch. Besonders empörend finde ich, dass jetzt der Boulevard durch Regierungsinserate auch zusätzlich noch am meisten profitiert.

STANDARD: Der deutsche Fernsehsender ZDF kritisierte die Pressearbeit der Tiroler Krisenmanager, weil ZDF-Journalisten der Zutritt zu einer Pressekonferenz verwehrt blieb. Es hieß, sie sollten ihre Fragen dem ORF mitgeben.

Möhring: Wir sind eine demokratische Gesellschaft. Da darf man nicht entscheiden, wer etwas wissen darf und wer nicht. Das ist auch in der Verfassung verankert. Bei dem Tiroler Beispiel kommen für mich auch gewisse nationalistische Züge zum Vorschein: Wir bedienen nur die heimische Presse. Wir wissen ja außerdem aus Tirol, dass der Corona-Fall in Ischgl schon 14 Tage länger bekannt war und mit Rücksicht auf den Tourismus nicht veröffentlicht wurde. Das ist vollkommen verantwortungslos. Wenn sich auch noch als wahr herausstellen sollte, dass der Bundeskanzler eingebunden war, dann sieht das ziemlich böse aus. Auch was das Demokratieverständnis mancher Politiker betrifft.

STANDARD: Reporter ohne Grenzen hat ja Mitte März innerhalb des Computerspiels "Minecraft" eine "Uncensored Library" eröffnet. Diese digitale Bibliothek soll dabei helfen, zensurierte Artikel von Journalistinnen und Journalisten in deren Heimatländern zu verbreiten. Ist sie ein Erfolg?

Möhring: Das ist ein sehr gutes Projekt, aber bisher ist es noch zu früh, um ein Urteil über den Erfolg abgeben zu können. (Manuela Honsig-Erlenburg, 8.4.2020)