Bei der Sammelklage geht es um Ansprüche von Touristen, die in Tirol mit Covid-19 infiziert wurden.

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Besonders in den Ischgler Après-Ski-Lokalen könnte sich das Virus ausgebreitet haben.

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Peter Kolba ist seit fast 30 Jahren Konsumentenschützer. Zwischenzeitlich war er Klubobmann der Liste Jetzt im Nationalrat.

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Peter Kolba hat schon viel erlebt: 27 Jahre war er beim Verein für Konsumenteninformation (VKI), danach kämpfte er kurz im Nationalrat für Verbraucherschutz. Nach dem politischen Intermezzo bei der Liste Pilz meldete er sich mit dem Verbraucherschutzverein (VSV) zurück – und betreut jetzt einen der größten Fälle seines Lebens: Es geht um Ansprüche für Touristen, die in Tirol mit Covid-19 infiziert wurden.

STANDARD: Sie sammeln derzeit Touristen, die nach einem Tirol-Urlaub Corona-positiv waren. Wie viele haben sich gemeldet?

Kolba: Bis Montagabend haben rund 4.000 Personen mit uns Kontakt aufgenommen – und es hört nicht auf.

STANDARD: Was ist Ihr Plan für eine Sammelklage nach österreichischem Recht?

Kolba: Begonnen hat es damit, dass wir eine Strafanzeige eingebracht haben. Jetzt bemühen wir uns, Geschädigten zu helfen, indem sie sich diesem Verfahren als Privatbeteiligte anschließen – risiko- und kostenlos. Später muss man dann schauen, wer welche Schadenersatzansprüche gegen wen geltend machen kann. Unser Hauptfokus liegt auf den Behörden, die – so unser Verdacht – langsam gehandelt haben. Wir unterstellen, dass das aus kommerziellen Überlegungen so war.

STANDARD: Erwarten Sie, dass die Staatsanwaltschaft nun tausende Touristen einvernimmt?

Kolba: Meine Erwartungen an die Tiroler Staatsanwaltschaft wurden schon deutlich reduziert, nachdem diese nichts Besseres zu tun hatte, als zu erklären, was sie alles nicht macht. Wir haben Justizministerin Alma Zadic aufgefordert, dass der Fall an die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) in Wien übertragen wird. Es geht ja auch um Amtsmissbrauch.

STANDARD: Die Verfahrungsführung sollte außerhalb Tirols liegen?

Kolba: Mir beschreiben viele Tiroler, dass dort ein besonderer Filz herrscht zwischen Politik und Seilbahngesellschaften, die eine starke wirtschaftliche Macht darstellen und die sich alle in der Adlerrunde (einem Zusammenschluss von Unternehmern, Anm.) wiederfinden. Ich fürchte, dass das Verfahren in Tirol nicht in guten Händen ist. Und natürlich erwarten wir uns, dass die Opfer gefälligst einvernommen werden.

STANDARD: Das klingt nach einem Großverfahren ...

Kolba: Man wird das dem Staatsanwalt nicht ersparen können. Ich sehe es als einigermaßen unangemessen an, dass man, wenn man auf einer Parkbank sitzt, von einem martialischen Polizisten mit 500 Euro Bußgeld bestraft wird, und wenn man halb Europa infiziert, stellt man sich als Landesrat hin und sagt, man habe immer alles richtig gemacht hat. Das kann nicht sein.

STANDARD: Welche Verdachtsmomente sehen Sie derzeit?

Kolba: Evident sind die Warnungen, die früh aus Island kamen. Das wussten die Behörden ja lange, bevor Ischgl von ihnen zum Risikogebiet erklärt wurde. In der Folge gab es auch Erkenntnisse im Ort, etwa den positiven Barkeeper und andere im Service. Da hat man nicht reagiert, sondern noch gesagt, die Touristen hätten sich im Flieger angesteckt und eine Übertragung bei Après-Ski-Partys sei nicht möglich.

STANDARD: Wurde das Coronavirus in Tirol also unterschätzt?

Kolba: Genau in dem Hotel in Innsbruck, in dem sich Sebastian Kurz und die Adlerrunde getroffen haben, gab es ja dann einen Verdachtsfall. Man konnte zusehen, wie die Polizei das Hotel abgeriegelt hat. Wenn man diese Maßnahmen in den Touristengebieten gesetzt hätte, hätte man halb Europa davor bewahrt, dass sich das Virus – zumindest über Ischgl – so stark verbreitet.

STANDARD: Man lockte ja gezielt Touristen aus Süd- nach Nordtirol, wo die Pisten noch offen waren.

Kolba: Diese Puzzlesteine müssen wir zusammenfügen. Ich denke, es wird glasklar sein, dass man zu spät reagiert hat. Dazu kommt der Vorsatz: Juristisch heißt der ja nicht zwingend, dass man etwas machen will, sondern auch schon, dass man Schaden bewusst in Kauf nimmt.

STANDARD: Sehen Sie abseits von Ischgl ähnliche Vorfälle?

Kolba: Von den 4.000 Touristen, die sich gemeldet haben, waren 70 Prozent in Ischgl. Hauptsächlich Deutsche, gefolgt von Niederländern. Aber viele Briten und Skandinavier waren auch in St. Anton.

STANDARD: Wer wird dann haftbar sein?

Kolba: Unsere Anwälte sagen, dass das Gesundheitswesen in mittelbarer Bundesverwaltung ist. Also ist auch für Fehler auf Landesebene die Bundesregierung in Anspruch zu nehmen. Denkbar ist auch, dass einzelne Lokale oder Hotels Verantwortung tragen müssen.

STANDARD: Was sagt der Fall Ischgl über den Massentourismus aus?

Kolba: Sie haben bei großen Gruppen natürlich immer das Risiko, dass, wenn etwas passiert, viele betroffen sind. Wir sehen das in All-inclusive-Clubs im Sommer, wenn viele Gäste Durchfall kriegen, weil etwas beim Buffet oder dem Wasser nicht passt. Das ist unangenehm, aber hier reden wir von bislang drei Toten. Familienväter in ihren Fünfzigern, die in Tirol Urlaub gemacht haben.

STANDARD: Tirol verkauft die Zahl der Infizierten im Bundesland als großen Erfolg ...

Kolba: Das ist geradezu eine Provokation für die Menschen, die das mitkriegen. Man redet das klein, obwohl man in Wahrheit die Infizierten möglichst außer Landes gebracht hat. Viele, die sich bei uns melden, wollen keinen Schadenersatz, sondern ein Eingeständnis und eine Entschuldigung. Andere, die mit ihrem Leben kämpften oder massive Einbußen hatten, wollen sehr wohl entschädigt werden. (Fabian Schmid, Steffen Arora, 7.4.2020)