Willie Smits hat in den vergangenen Jahrzehnten sein Leben dem Schutz der Orang-Utans verschrieben. Nun bedrohen Covid-19 und steigende Verbraucherpreise die Affen.

Foto: BOS

Eigentlich dachte Willie Smits, dass seine Orang-Utans bereits das Schlimmste durchgestanden hätten. Der 63-jährige Mikrobiologe und Forstwirtschafter aus den Niederlanden leitet das weltweit größte Schutzprogramm für die Menschenaffen in Indonesien, deren Name aus dem Malayischen stammt und so viel wie "Waldmensch" bedeutet.

Smits befreite Orang-Utans aus den Händen von Tierhändlern, privaten Haushalten und sogar Bordellen. Doch nun sieht er das Leben der befreiten Primaten durch die Coronavirus-Pandemie in Gefahr. Nicht nur durch die damit verbundene Lungenerkrankung Covid-19, sondern auch, weil wichtige Spendengelder ausbleiben und die Gehälter der Mitarbeiter nicht mehr gezahlt werden können. Smits selbst sitzt im Moment aufgrund von Reisebeschränkungen in London fest und kämpft aus der Distanz um das Überleben der Tiere.

Zwar hat die indonesische Regierung laut Medienberichten versichert, dass Elektrizität für Bedürftige für den Zeitraum der Krise kostenlos ist, doch würde das allein nicht ausreichen, um die mehr als 1000 Primaten in den Schutzgebieten am Leben zu halten, sagt Smits. Zudem steigen die Kosten für Schutzmasken und Lebensmittel rapid an. So hätten sich die Preise für den Nasen-Mund-Schutz seit dem Ausbruch des Virus verdoppelt, Gemüse wurde laut Smits um rund 15 Prozent, Früchte um 30 Prozent und Milch um die Hälfte teuerer.

97 Prozent geteilte DNA

Es ist noch nicht geklärt, was das Coronavirus unter Primaten anrichten kann, doch legen Studien von anderen Virusinfektionen nahe, dass sie unter Menschenaffen tödliche Epidemien auslösen, selbst wenn sie für Menschen nahezu harmlos sind. Orang-Utans teilen sich 97 Prozent der DNA mit den Menschen. In einem Brief haben vor kurzem 25 Primatologen davor gewarnt, welche Auswirkungen das Virus auf Menschenaffen haben könnte. In dem Schreiben, das im Magazin Nature abgedruckt wurde, warnten die Wissenschafter auch davor, dass die Reservate durch das Ausbleiben von Menschen nicht mehr gut genug geschützt werden und Wilderer ein leichtes Spiel haben könnten.

Smits sorgt sich ebenso und im Moment vor allem auch um mehr als 130 Makaken, die erst kürzlich aus der Gefangenschaft befreit wurden. Die Tiere leben in Gruppen von 20 bis 30 Individuen und befinden sich noch in Käfigen, wo sie in Tasikoki für die Auswilderung vorbereitet werden. Eine Infektion könnte verheerend sein.

Der Wissenschafter, der die indonesische Staatsbürgerschaft besitzt, erinnert in dem Zusammenhang an "schwere Fehler", die in der Vergangenheit bei Auswilderungen begangen wurden. So hätten Untersuchungen in Aussiedlungsprojekten im Auftrag der indonesischen Regierung gezeigt, dass sich bald nach der Auswilderung von Orang-Utans menschliche Krankheiten auch unter der wilden Population zeigten. Deshalb dürfen die Menschenaffen nun nur noch in Gruppen und weit abseits von wilden Artgenossen angesiedelt werden.

Mehr ausgesetzte Affen

Smits rechnet im Zuge der sich ausbreitenden Corona-Epidemie in Indonesien damit, dass in naher Zukunft mehr domestizierte Menschenaffen, die illegal als Haustiere gehalten werden, ausgesetzt werden und dann in der Borneo Orangutan Survival Foundation (BOS) landen, Denn die Leute würden sich nicht mehr um die Tiere kümmern können. Bereits vor Tagen hatten Experten davor gewarnt, dass das viertbevölkerungsreichste Land das neue Epizentrum des Virus werden könnte. Auf 10.000 Bewohner kommen nur vier Ärzte – im schwer getroffenen Italien ist die Zahl zehnmal so hoch. Smits befürchtet, dass Tiere aus Haushalten mit infizierten Menschen das Virus unkontrolliert in die Natur tragen könnten.

Wie wichtig Orang-Utans für ihren Lebensraum sind, ist durch mehrere Studien belegt. So ist bewiesen, dass die Tiere die Samen von mehr als 400 Bäumen verteilen und durch den Bau ihrer Nester in luftigen Höhen für mehr Lichtdurchlässigkeit im dichten Blätterdach sorgen. Doch bereits vor der Gefahr durch das Coronavirus war der Bestand gefährdet. Laut einer Studie, die 2018 im Fachmagazin Current Biology veröffentlicht wurde, verringerte sich die Orang-Utan-Population in den Jahren von 1999 bis 2015 um mehr als 100.000 Tiere auf 150.000. Dafür verantwortlich sind vor allem Waldrodungen und Tötungen durch Menschen.

Smits warnt vor weiteren Epidemien und Pandemien, die auf Menschen zukommen werden: "Wir sehen im Moment, was passiert, wenn sich Menschen und Tiere zu nahe kommen", sagt der Wissenschafter. Denn Coronaviren, Ebola und andere Seuchen würden über Wildtiere an Menschen übertragen. Indem der Lebensraum der Tiere weiter verringert wird, würden sich Tier und Mensch noch stärker in die Quere kommen – weitere Übertragungen seien vorprogrammiert: "Wir müssten uns jetzt überlegen, was wir anrichten", appelliert Smits.

Zuckerpalme als Lösung

Bereits länger kämpft er gegen die Rodung des indonesischen Regenwalds für Palmölplantagen. Smits sieht eine Pflanze als Schlüssel zum Erfolg: die Zuckerpalme Arenga pinnata. Wenn der 63-Jährige von den Vorteilen spricht, dann ist er schwer zu stoppen. Sie brauche keinen Dünger, würde nur in einem Mischwald gedeihen, könne nur per Hand gezapft werden und würde so Arbeitsplätze sichern, sei widerstandsfähiger gegen Waldbrände, und der von ihr produzierte Zucker könnte in Biotreibstoff umgewandelt werden. Wie er auf die Wunderpflanze gestoßen ist? Als er um die Hand seiner ersten Frau anhielt, musste er eine entsprechende Mitgift zahlen – sechs Zuckerpalmen. "Ich fragte mich, warum eine so schöne Frau so günstig war", erzählt Smits. Dann recherchierte er die Eigenschaften der Pflanze.

Nicht alle Indonesier begrüßen Smits Engagement. Einflussreiche Personen drohen ihm mit Mord – tausend Mal, erzählt er. Zweimal hätten Unbekannte versucht, sein Haus niederzubrennen. Sechs seiner Hunde seien erschlagen worden. Und doch denkt Smits nicht daran, aufzugeben. Vielmehr will er lauter werden, denn "als Wissenschafter sieht man, wie nahe die Welt an dem Punkt steht, an dem es kein Zurück mehr geben wird", sagt er. Seiner Meinung nach gibt es die Lösungen bereits. Man müsste sie nur gemeinsam mit Industrien weiterentwickeln und profitabel machen. Warum er nicht aufgibt? "Weil die Hoffnung zuletzt stirbt und ich wütend bin", sagt Smits: "Solange ich gesund bin, werde ich weitermachen." (Bianca Blei, 8.4.2020)