Die große Mehrheit der Österreicher ist mit den Maßnahmen der Regierung gegen die Ausbreitung des Coronavirus einverstanden. In einer Berufsgruppe aber regt sich heftiger Widerstand: bei Verfassungsjuristen und Anwälten. Sie kritisieren einerseits die Ausgangsbeschränkungen als einen gefährlichen Eingriff in die Grundrechte und weisen andererseits darauf hin, dass die Verordnungen dem Wortlaut nach viel von dem gar nicht untersagen, wovon Kanzler Sebastian Kurz und seine Minister die Menschen abhalten wollen – so etwa eine Osterfeier mit Verwandten, die anderswo wohnen. Die Folge: Niemand weiß genau, was man als Bürger nun wirklich darf, und selbst der sonst so sattelfeste Kanzler beginnt bei dieser Frage im "ZiB 2"-Interview zu schwimmen.

Das rechtliche Wirrwarr hat mehrere Gründe. Tatsächlich sind die Covid-Gesetze und Verordnungen oft schlampig formuliert, was beim massiven Zeitdruck ihrer Erarbeitung nicht überrascht. Aber das Problem geht tiefer: Die radikalen Mittel, zu denen die Regierung greifen muss, um eine Pandemie wie Covid-19 zu stoppen, lassen sich mit den Grundsätzen eines Rechtsstaats nicht sauber in Einklang bringen. Auch wenn sie einen guten Zweck verfolgen, sind sie im Grunde totalitär.

Innenminister Karl Nehammer, Vizekanzler Werner Kogler, Bundeskanzler Sebastian Kurz und Gesundheitsminister Rudolf Anschober.
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Schließlich hat der Staat seinen Bürgern verboten, Geschäfte zu betreten, sich in der Öffentlichkeit zu versammeln oder mit Freunden zusammenzusetzen. Und er will nun größere Osterfeiern untersagen, weil dies die Erfolge beim Eindämmen des Virus wieder zunichtemachen könnte. Hier kollidiert er allerdings mit einem Grundrecht, das noch älter und heikler ist als viele andere: mit der Unverletzlichkeit des Hausrechts.

Österreichischer Kompromiss

Der missglückte Oster-Erlass vom Wochenende war ein Versuch, diesen gordischen Knoten zu durchtrennen: Familienfeiern ja, aber nur mit wenigen Gästen. Das wurde jedoch von vielen Bürgern als Signal der Lockerung gesehen, die aus Expertensicht zu früh kam. Für Juristen wiederum war es ein viel zu weitgehender Eingriff in die Privatsphäre. Dass der Erlass so schnell wieder fallengelassen wurde, macht eines deutlich: Die Regierungsstrategie zur Eindämmung der Pandemie lässt sich nicht so leicht in Gesetzes- und Verordnungstexte gießen.

Die Regierung könnte zwar wie in Norditalien oder Tirol im ganzen Bundesgebiet eine echte Quarantäne verhängen, die es niemandem erlaubt, ohne belegte Gründe das Haus zu verlassen. Aber so weit wollen Kurz und Co nicht gehen. Entstanden ist daraus ein typisch österreichischer Kompromiss aus moralischen Appellen, saftigen Strafen für gewisse Verstöße und eine konfuse Rechtslage. Und einige dieser Maßnahmen, so tönt es immer öfter, könnten die Krise überdauern, wenn nämlich nicht nur in Ungarn die Politiker auf den Geschmack der totalen Kontrolle kommen.

Aber selbst die schärfsten Kritiker räumen ein, dass der österreichische Weg im Ergebnis nicht schlecht ist. Das zeigen die ermutigenden Zahlen von der Corona-Front. Es ist alles ein wenig schlampig, aber es wirkt.

So wichtig die Integrität des Rechtsstaates auch ist, in manchen Krisen stößt er an seine Grenzen. Eine moderne Demokratie funktioniert am besten, wenn die Bürger auch dann das Richtige tun, wenn nicht alles genau geregelt ist – und die Bürger darauf vertrauen können, dass die Regierenden sich selbst Grenzen setzen. In Österreich stehen die Chancen dafür recht gut. (Eric Frey, 7.4.2020)