Martin Thür hat seine zwei Wochen in der Info-Isolation auf dem Küniglberg angetreten: "Ich habe schon in viel schlimmeren Hotels geschlafen. Ich werde auch die zwei Wochen in einem Büro gut hinter mich bringen. Da haben es viele Menschen schlimmer und härter als ich."

Foto: ORF / Thomas Ramstorfer

Armin Wolf hat sich am Dienstag aus der ORF-Isolation verabschiedet, Martin Thür übernimmt für zwei Wochen die "ZiB 2" – und eines der eilig aufgestellten Ikea-Betten auf dem Küniglberg. Eine ORF-Infomannschaft schottet sich im zweiten Stock des ORF-Zentrums über 14 Tage ab, um auch in Corona-Zeiten die Fernsehnachrichten sicherzustellen. Beim STANDARD-Interview am Dienstag wartete Thür gerade in einem abgeschotteten Teil der ORF-Kantine auf das Ergebnis seines Corona-Tests. Nur mit negativem Test konnte er seinen Dienst antreten.

STANDARD: Die zwei Wochen im "ZiB"-Isolationsdienst auf dem Küniglberg dürften schon eine belastende Situation sein, auch die ersten Vollprofis in diesem Dienst schienen sich so viel zu versprechen wie noch selten. Wie bereiten Sie sich darauf vor?

Thür: Ich glaube nicht, dass das so sehr an der Quarantäne liegt, aber reden wir darüber noch einmal in zwei Wochen. Es gibt gewaltigen Informationsbedarf in solchen Krisensituationen – und damit viele und auch längere Sendungen und mehr Interviews, an Freitagen hat die "ZiB 2" etwa eine Stunde Sendezeit. Das ist einfach ein viel, viel größeres Arbeitspensum für alle, vor und hinter der Kamera. Wir alle sind nur Menschen, und natürlich passieren da auch Fehler. Mögen es nur Versprecher da und dort bleiben.

STANDARD: Der ORF reagierte mit einer kleinen Informationsexplosion auf die krisenbedingte Nachfrage des Publikums – und erntet die höchsten Zuschauerzahlen für seine Infosendungen, seit die Quoten elektronisch gemessen werden, also seit 1991.

Thür: Ich sehe Quoten in der Information grundsätzlich als zweitrangig an. Aber sie zeigen ein riesiges Informationsbedürfnis. Die Quoten zeigen natürlich: Die Leute wollen wissen, wie geht es weiter, wie gehen wir mit dieser Situation um? Aber: Es geht ja nicht nur um die Information, sondern auch um das kritische Hinterfragen von Maßnahmen, die in dieser Krise passieren.

STANDARD: Kann es sein, dass im ORF nun die quasi staatstragende, informierende Rolle in den Vordergrund tritt?

Thür: Den Eindruck habe ich nicht. Ich habe mich zum Beispiel mit zwei Kollegen in den vergangenen eineinhalb, zwei Wochen sehr intensiv damit beschäftigt, wie das Krisenmanagement in Tirol funktioniert hat. Wir hatten einen ausgezeichneten "Am Schauplatz" zum Thema Ischgl. Wir haben immer wieder gerade in der "ZiB 2" Menschen, die die aktuellen Maßnahmen kritisch hinterfragen. All das ist ja Teil unseres Jobs. Auch in einer Krise, ja, gerade dann braucht es Menschen, die Maßnahmen hinterfragen und genau hinschauen. Das ist Journalismus. Möglichst viele Sichtweisen zu hören und darzustellen.

STANDARD: Gibt es die Schere im Kopf mit Blick auf das große öffentliche Ziel, den Kollaps des Gesundheitssystems zu verhindern?

Thür: Wir haben eine öffentliche Aufgabe, und die heißt: kritischer Journalismus. Der ist in der Krise genauso wichtig wie davor und danach. Das heißt auch: Menschen zu informieren, wie sie Schutzmasken richtig aufsetzen und wie sie die Kinderbetreuung organisieren können. Aber das heißt auch, das Handeln der Behörden und der öffentlichen Stellen kritisch zu hinterfragen. All das ist unser Job.

STANDARD: Hat sich die Erwartungshaltung der Politik, sagen wir: der Regierung und ihrer Kommunikatoren, in der Krise geändert? Soll heißen: Drängt man mit dem Hinweis auf die gute und wichtige Sache auf entsprechende Darstellung ohne störendes Hinterfragen?

Thür: Ich habe nicht den Eindruck, auch nicht von anderen Kollegen. Und ich erkenne das auch nicht in unserer Berichterstattung. Ich bin eher überrascht, wie stabil der österreichische Journalismus als Ganzes durch diese Krise gegangen ist. Bei anderen Themen bilden sich viel deutlichere Lager und ideologische Standpunkte.

STANDARD: Der ORF profitiert von der Krisensituation – öffentlich-rechtliche Angebote haben derzeit sehr hohe Akzeptanz, scheint's. Krisengewinnler ORF?

Thür: Das wäre bösartig gedacht. Natürlich zeigt diese Krise, dass Vorsorge für solche Situationen vernünftig ist. Das zeigt sich zum Beispiel beim Bundesheer, dessen Notwendigkeit und Finanzbedarf stets diskutiert wird. Hoffentlich fehlen uns jetzt nicht noch die Heeresspitäler, die es nicht mehr gibt. Und ähnlich ist es mit dem ORF. Die Krise zeigt sehr gut, wofür öffentlich-rechtlicher Rundfunk in seiner heutigen Struktur gut ist.

STANDARD: Nämlich?

Thür: Man hat mehrere hundert Menschen, die auch in der größten Gesundheits- und Wirtschaftskrise unbeeinflusst arbeiten können und die Österreicherinnen unabhängig und kritisch informieren können. Das ist unser Kernauftrag.

STANDARD: Gab's eigentlich für die Leistungen der ORF-Information schon Lob und Dank – zum Beispiel des Generaldirektors oder auch des Stiftungsrats?

Thür: Vom Generaldirektor abwärts gibt es eine Vielzahl von dankenden Mails und Videos für die Arbeit Infomannschaft – auch für die vielen hinter der Kamera.

STANDARD: Und vom Stiftungsrat? Die ORF-Stiftungsräte haben sich ja immer wieder mit der ORF-Information auseinandergesetzt, und das in vielen Fällen auch kritisch – etwa auch der amtierende Vorsitzende Norbert Steger.

Thür: Davon weiß ich nichts, habe ich jedenfalls nicht mitbekommen.

STANDARD: Verändert Corona den Journalismus, abgesehen davon, dass Sie für zwei Wochen auf dem Küniglberg eingesperrt werden?

Thür: Ich wohne in der Arbeit, das ist eine kleine Veränderung ...

STANDARD: ... und bei vielen anderen Journalistinnen und Journalisten wohnt die Arbeit jetzt zu Hause, in der Familie.

Thür: Abgesehen davon: Ich glaube nicht, dass Corona die tatsächliche Arbeit der Journalistinnen und Journalisten wesentlich verändert. Die aktuellen Maßnahmen werden sehr intensiv hinterfragt, nicht nur im ORF, und das halte ich für ein gutes Zeichen. Da gibt es eine Vielzahl an unterschiedlichen Stimmen, und das macht eine informierte Gesellschaft ja aus. Den Unterschied macht der zusätzliche Stress in der Krise. Und wir dürfen nicht vergessen, dass wir hier im ORF eine vergleichsweise privilegierte Situation haben.

STANDARD: Journalistinnen und Journalisten vieler anderer Medien sind nicht nur im Homeoffice, sondern in Kurzarbeit.

Thür: Und sie wissen nicht, wie es nach dieser Krise weitergeht. Man weiß nicht, wie viele Medien und Medienunternehmen gut herauskommen. Das ist eine schwierige Situation für den Journalismus ganz generell. Das ökonomische Überleben war vor der Krise schon schwierig – und es wird durch sie noch schwieriger.

STANDARD: Jetzt haben wir noch nicht besprochen, wie Sie sich auf die zwei Wochen Isolation auf dem Küniglberg vorbereitet haben.

Thür: So wie auf jede Sendung. Auf den Rest muss ich mich hoffentlich nicht vorbereiten – ich habe schon in viel schlimmeren Hotels geschlafen. Ich werde auch die zwei Wochen in einem Büro gut hinter mich bringen. Da haben es viele Menschen schlimmer und härter als ich. (Harald Fidler, 8.4.2020)