Der 58-jährige Ingo Appelt sagt, er sei ja selbst ein bisserl ein Exot. "Denn wer fährt schon Viererbob?" Man könnte das durch "Zweierbob" erweitern. Wir schreiben das Jahr 1988, Olympische Winterspiele in Calgary. Der Tiroler Appelt ist live und aktiv dabei, er, der Lenker des österreichischen Schlittens, hat vor dem dritten und vorletzten Lauf keine Medaillenchancen mehr.

Der Trailer zum Film.
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Es ist grauslich kalt in Kanada, Appelt und seine drei Mitinsassen müssen eine Dreiviertelstunde lang auf die Startfreigabe warten, bibbern. Unmittelbar vor ihnen ist der Bob aus Jamaika umgekippt, also heftig gestürzt. Das Quartett bleibt unverletzt (der Bob von ein paar Dellen abgesehen auch), wird disqualifiziert, die Bahn repariert. Tausende Zuschauer applaudieren aufmunternd, man mag solche außergewöhnlichen Geschichten. Vier tapfere Männer aus der Karibik im olympischen Eiskanal, frage nicht, danach hat der noch von sozialen Medien unbehelligte Planet gelechzt. Es war so, als würden Pinguine am Nordpol auftauchen. Appelt wurde Siebenter.

1993 wurde die Story der Jamaikaner verfilmt. Von Disney, Regie führte Jon Turteltaub, in der Hauptrolle Leon Robinson. Cool Runnings – Dabei sein ist alles. Appelt hat den 98-minütigen Streifen, der 15 Millionen US-Dollar gekostet und das Zehnfache in die Kassen gebracht hat, vor langer Zeit gesehen. Einige Sequenzen hat er später immer wieder angeklickt, zuletzt vor ein paar Tagen. In Zeiten von Corona muss man sich ja irgendwie beschäftigen. Speziell als Schmuckdesigner ("Ich entwerfe gerade einen Corona-Anhänger, ein Teil des Erlöses wird gespendet"), dessen zwei Juwelierläden in Fulpmes und Innsbruck geschlossen sind. Die zehn Mitarbeiter wurden zur Kurzarbeit angemeldet.

"Der Film ist unterhaltsam, die Schauspieler sind gut, man kann lachen, sich entspannen. In die Tiefe geht er nicht wirklich. Mit der Realität hat er wenig zu tun, es ist viel Dichtung dabei. Was aber egal ist." Künstlerische Freiheiten sind zu akzeptieren. Auch Kaiserin Sissi und ihr Franzl sind in Wahrheit nicht annähernd so putzig und turtelnd wie im Kino gewesen. Anderes Beispiel: Das "Bambi" war ein ganz anderes Reh, konnte nicht sprechen.

Eine Szene aus dem Film "Cool Runnings".
Foto: imago images / United Archives

Der Jamaika-Bob war echt. Als Gründervater dieser Idee gilt der US-Geschäftsmann George Fitch. Er besuchte das in Jamaika sehr populäre "Push-Cart-Derby". Ein Seifenkistlrennen, bei dem ein Team aus Anschieber und Pilot in selbstgebauten Fahrzeugen steile, kurvige Bergstraßen runterrast. Fitch war begeistert, allerdings wurde ihm eher der Vogel gezeigt. Bob im Eisschlauch fand bei jamaikanischen Sportlern nicht einmal in Albträume Einlass. Fündig wurde er beim Militär, die Soldaten Devon Harris, Dudley Stokes, Michael White und Samuel Clayton erbarmten sich. "Ich musste erstmals etwas recherchieren, weil ich nicht wusste, was ein Bob ist. Es war dann kalt und rutschig", sagte Stokes Jahre später.

Appelt hat die vier Wahrhaftigen also kennengelernt. "Gute, austrainierte Athleten, sehr freundlich und wissbegierig. Sie haben mich nach der idealen Linie gefragt, wir haben Auskunft gegeben. Es geht im Bobsport familiär und vorurteilsfrei zu, keiner hat sie ausgelacht. Sie wurden sofort akzeptiert. Es gab auch schon Teams aus Australien und Virgin Island." In diesem Sport sei zunächst jeder ein Exote. "Setzt du dich das erste Mal in den Bob, ist es eine einzige Überforderung. Er macht mit dir, was er will."

Wiedersehen

Im Dezember 2015 gab es ein Wiedersehen, drei der vier Jamaikaner waren in Tirol zu Gast, sie schauten bei Appelt vorbei. "Es war nett, Erinnerungen wurden ausgetauscht. Ihre Geschichte war ein Märchen. Sie konnten sich ihre Träume erfüllen."

2015 bekam Ingo Appelt (Zweiter von rechts, mit der Goldmedaille) Besuch aus Jamaika. Man tauschte Erinnerungen aus.
Foto: Privat

Ingo Appelt wurde 1992 in La Plagne, Frankreich, Olympiasieger. Es war sein Traum. Und jener von Gerhard Haidacher, Harald Winkler und Thomas Schroll. Er legt großen Wert darauf, diese drei Namen zu erwähnen. "Es war ja nicht Einerbob." Nach dem Triumph beendete er seine Karriere, übernahm die Geschäfte, den Familienbetrieb. "Als Bobfahrer denkst du dir die Linie in die Bahn hinein, beim Schmuckdesignen ist es ähnlich."

So nebenbei empfiehlt Appelt einen zweiten Bob-Film. Schwere Jungs, 2006 in Deutschland gedreht, Nicholas Ofczarek spielt eine der Hauptrollen. "Der geht mehr in die Tiefe, so ticken Bobfahrer wirklich."

Appelts "Cool Running" zur Goldenen wurde nie verfilmt, "Wahrscheinlich, weil wir damals eh zum Favoritenkreis zählten." (Christian Hackl, 8.4.2020)