Das griechische Migrantenlager Ritsona steht unter zweiwöchiger Quarantäne.

Foto: EPA / Andreas Tsaknaridis

Auch in Griechenland ist das Leben seit dem Ausbruch der Covid-19-Krise sehr leise geworden. Bislang wurden etwa 1.800 Menschen positiv getestet, 81 Personen sind gestorben. Im Hafen Piräus in Athen liegt eine Fähre, auf der sich 119 Infizierte befinden – viele von ihnen Arbeiter, die aus Spanien zurückgekehrt sind. Wie in Österreich unterstützen auch in Griechenland die meisten Bürger die Maßnahmen der Regierung. Wer sich nicht daran hält, muss mit saftigen Strafen rechnen.

Auf Chios wurde zwei Gruppen von Flüchtlingen eine Geldstrafe von 5.000 Euro aufgebrummt, weil sie den vorgeschriebenen Abstand zu anderen nicht einhielten. Die Jugendlichen hatten "Zusammenkünfte von mehr als zehn Menschen" organisiert, weil sie den Geburtstag von zwei Kindern feiern wollten.

Trend relativ ermutigend

"Die harte Arbeit steht uns noch bevor", sagte Premierminister Kyriakos Mitsotakis vergangene Woche, als er sich bei den Bürgern bedankte, die durch das Abstandhalten zum Abflachen der Ansteckungskurve beigetragen hätten. Mitsotakis beschreibt den Trend in Griechenland als "relativ ermutigend" im Vergleich zu anderen europäischen Staaten. Das Gesundheitssystem komme mit den Herausforderungen relativ gut zurecht.

Der Premier betonte auch, dass es im Camp Moria auf Lesbos nicht zu einem Ausbruch der Krankheit gekommen sei, obwohl es viele Ängste gab, dass dies passieren würde. Alerdings fehle Griechenland Unterstützung in der Migrationsfrage. "Griechenland bearbeitet dieses Problem hauptsächlich allein."

Zwei Migrantenlager unter Quarantäne

Indes wurde am Wochenende ein zweites Aufnahmezentrum für Flüchtlinge namens Malakasa im Norden von Athen unter Quarantäne gestellt, nachdem ein 53-jähriger Afghane Symptome gezeigt hatte, die auf eine Covi-19-Erkrankung hinweisen. Der Mann wurde nach Athen ins Spital gebracht. In dem Lager leben etwa 2.500 Migranten.

Das Camp Ritsona steht bereits unter 14-tägiger Quarantäne. Vor einer Woche war eine Bewohnerin des Camps in einem Krankenhaus in Athen positiv getestet worden. Ritsona ist eine von 30 Einrichtungen auf dem griechischen Festland, die zusammen 25.000 Menschen beherbergen.

Alle Fälle asymptomatisch

Die Lager Ritsona und Malakasa werden von der Internationalen Organisation für Migration (IOM) geleitet. "Die griechischen Behörden richten nun in allen Lagern Quarantänebereiche ein, um die Bewältigung der Situation durch die öffentlichen Gesundheitsdienste zu unterstützen. Reinigungsmittel und Seifen wurden an alle Bewohner verteilt. Alle Arbeitsräume und öffentlichen Bereiche werden desinfiziert", sagt Christine Nikolaidou vom IOM. Die Leute würden zudem für das Virus sensibilisiert und darüber informiert, wie sie sich schützen und das Infektionsrisiko senken könnten.

Tests würden nach Bewertung durch die griechischen Behörden organisiert, so Nikolaidou zum STANDARD. "Bisher wurden in Ritsona 23 Fälle positiv getestet – alle sind asymptomatisch. Insgesamt wurden in Ritsona 90 Tests durchgeführt. Migranten werden – falls erforderlich und nach Einschätzung des öffentlichen Gesundheitswesens – wie die lokale Bevölkerung an öffentliche Krankenhäuser überwiesen", so die IOM-Sprecherin.

Kaum über 60-Jährige

Alle Fälle würden von Ärzten beurteilt, die von der Nationalen Gesundheitsorganisation in den Lagern eingesetzt werden. In den Einrichtungen selbst sind auch Ärzte anwesend, bei Bedarf werden Fälle an öffentliche Krankenhäuser überwiesen. EU-Innenkommissarin Ylva Johansson meinte vergangene Woche, dass Griechenland in der Lage sei, die Covid-Fälle in den Flüchtlingslagern zu bewältigen.

Die meisten Flüchtlinge und Migranten sind vergleichsweise jung, gehören also nicht zur Covid-Risikogruppe. In Ritsona sind nur 0,7 Prozent der dort lebenden 2.700 Menschen über 60 Jahre alt, und nur 12,7 Prozent sind über 36 Jahre alt. Das nächste Krankenhaus ist 19 Kilometer entfernt. 48 Prozent der Bewohner sind Syrer.

Im Container bleiben

In Malakasa leben 1.600 Menschen, hier sind 1,3 Prozent der Migranten über 60 Jahre alt, 39 Prozent sind minderjährig, 95 Prozent sind Afghanen. Insgesamt sind 1,2 Prozent der Migranten und Flüchtlinge, die sich auf dem Festland befinden, über 60 Jahre alt – die größte Gruppe ist die der 25- bis 35-Jährigen.

Die Leute in den beiden Lagern müssen nun zwei Wochen in ihren Containern bleiben. Denn in Griechenland werden Covid-Hotspots genauso unter Quarantäne gestellt wie etwa Dörfer in Italien oder in Österreich. Weitere Flüchtlinge werden nun getestet, und es wird versucht, wie ebenfalls überall auf der Welt, die Kontaktketten der Betroffenen nachzuvollziehen. Den Flüchtlingen werden – bezahlt von der EU – Lebensmittel direkt in die Container zugestellt, zudem erhalten sie Hygienesets.

Moria bislang ohne Covid

Bei Hilfsorganisationen wie dem UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR ist man indes froh, dass auf den ostägäischen Inseln, wo 40.000 Flüchtlinge und Migranten leben, kein Covid ausgebrochen ist. Im Camp Moria etwa leben die meisten Menschen nicht in Containern, sondern in selbstgebauten Zelten. Die Wasserversorgung und die Sanitärbereiche sind extrem mangelhaft. Eine Evakuierung des Camps mit etwa 19.000 Migranten ist aber zurzeit gar nicht möglich, weil es auf dem Festland nicht ausreichend Unterkünfte gibt. Diese müssten erst gebaut werden.

In den letzten Jahren war der Druck auf die Regierung zudem sehr groß, dass Migranten und Flüchtlinge von den Inseln nicht aufs Festland gebracht werden, weil mitteleuropäische Staaten die Sorge hatten, dass die Leute in der Folge weiter Richtung Zentraleuropa reisen würden und dies wiederum andere Leute – etwa in Afghanistan – ermutigen würde, überhaupt Richtung Europa aufzubrechen. Die ostägäischen Inseln, insbesondere Lesbos, Chios und Samos, dienen deshalb als Art "Fernhaltelager".

Sicherer als am Festland

In der derzeitigen Krise hat sich die Situation aber noch einmal grundlegend verändert. Denn in Griechenland ist es gelungen, das Virus von den Inseln und den dortigen Lagern fernzuhalten. Die Inseln gelten deshalb nun als sicherer als das Festland, wo es Covid-Fälle gibt. Und wie überall auf der Welt geht es den Regierenden derzeit darum, dass Menschen – egal ob Staatsbürger oder andere – gar nicht mehr reisen, damit sich das Virus nicht ausbreiten kann.

Deshalb hat sich auch die Verteilung von rund 1.600 unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen aus Griechenland in acht EU-Staaten verzögert, die nun nächste Woche beginnt. Luxemburg wird als erster Staat unbegleitete Minderjährige – zumeist Afghanen – aufnehmen. Trotzdem bleibt es auch in Griechenland Hauptziel, dass alle Leute – auch die Migranten – genau dort bleiben, wo sie gerade sind.

Neues Zeltlager in Serbien

Das Gleiche gilt für zwei andere Staaten auf dem Balkan, in denen sich einige tausend Migranten befinden. In Serbien gibt es laut dem Leiter des dortigen UNHCR-Büros, Hans Schodder, keine Covid-Fälle in den Flüchtlingslagern. Informationen zur Prävention wurde in allen sieben Sprachen der Bewohner weitergeleitet. Alle Neuankommenden werden – so wie in Griechenland – 14 Tage isoliert. Die Krankenstationen wurden zudem besser ausgestattet, in allen Lagern wurden Hygienemaßnahmen getroffen, berichtet Schodder.

Es gelten zudem Zu- und Ausgangsbeschränkungen. In Serbien befinden sich zurzeit etwa 8.700 Migranten. Weil aber nur knapp 6.000 in den bestehenden Lagern untergebracht werden können, haben die Behörden schnell zusätzliche Zelte und neue Lager errichtet, "um die Überbelegung zu bekämpfen und besseres Social Distancing zu ermöglichen", wie Schodder dem STANDARD erklärt. Ein Problem sei in der derzeitigen Krise, dass Asylsuchende, unbegleitete Minderjährige und Migranten immer noch zu oft gemeinsam untergebracht werden.

Stress wegen Ausgangssperren

Der Umstand, dass die Migranten nun nicht mehr ihre Lager verlassen dürfen – die Ausgangssperren in Serbien sind für alle Bürger rigoros –, führt offenbar zu Stress in den Camps. In der Kaserne von Obrenovac, wo Migranten untergebracht sind, fand vor ein paar Tagen eine Massenschlägerei statt. Die Migranten hatten sich wechselseitig beschuldigt, persönliche Gegenstände gestohlen zu haben.

Laut dem UNHCR wird die Zahl der Asylsuchenden, Flüchtlinge und Migranten in Bosnien und Herzegowina zurzeit auf 9.500 geschätzt, wobei etwa 6.650 in Aufnahmezentren und anderen formellen Unterkünften untergebracht sind, während sich rund 2.800 außerhalb formeller Unterkünfte befinden oder unterwegs seien, erklärt Neven Crvenković vom UNHCR vor Ort. Auch in Bosnien-Herzegowina sind keine Covid-19-Fälle unter Asylsuchenden, Flüchtlingen und Migranten bekannt. Aber natürlich wurden – so wie überall – Präventionsmaßnahmen getroffen.

EU und USAID zahlen Unterkünfte in Bosnien

Es gibt strikte Ausgangssperren. Migranten, die bisher nicht in den offiziellen Lagern lebten, sollen wie in Serbien in neuen Zeltlagern und in bereits vorhandenen Einrichtungen wie der Kaserne Blažuj bei Sarajevo untergebracht werden. In Blažuj werden zu den vorhandenen 1.000 Plätzen weitere 1.000 zur Verfügung gestellt. Und in dem Dorf Lipa in der Nähe von Bihać werden gerade Zeltunterkünfte für etwa 1.000 Personen errichtet. Ende der Woche sollen die Migranten dorthin gebracht werden. Die EU hat dafür 280.000 Euro ausgegeben, die US-Agentur für Entwicklungszusammenarbeit (USAID) zahlt 500.000 Dollar.

In allen Einrichtungen werden Neuankommende – etwa jene Migranten, die von den kroatischen Grenzbeamten zurückgeschickt werden – isoliert. Mit den Gesundheitsbehörden wurde vereinbart, dass alle Migranten genauso wie bosnische Bürger von den Krankenhäusern aufgenommen werden sollen, falls sie eine schwere Covid-Erkrankung entwickeln. (Adelheid Wölfl, 8.4.2020)