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Applaus für Gesundheitsminister Luiz Henrique Mandetta – Brasiliens Krisenmanager in Sachen Corona-Krise.
Foto: REUTERS/Adriano Machado

Seine eleganten Maßanzüge hat er vorerst in den Kasten gehängt – dieser Tage sieht man den brasilianischen Gesundheitsminister Luiz Henrique Mandetta fast ausschließlich im Outfit eines Katastrophenhelfers oder Sanitäters: weißes Hemd und dunkelblaue Weste, auf der prominent das bitzblaue Kreuz des Gesundheitsministeriums prangt. Am Rücken in fetten weißen Lettern, so wie auf einem Fußballtrikot: Ministério da Saúde.

Der hemdsärmelige 55-Jährige gilt in Brasilien als Stimme der Vernunft im Kampf gegen das Coronavirus, das auch die 210 Millionen Einwohner des lateinamerikanischen Landes bedroht. Der autoritäre Präsident Jair Bolsonaro würde die Präsenz und das Wüten der Pandemie im eigenen Land am liebsten leugnen – doch mit dieser Politik, die offenkundig nur die Interessen der Großunternehmer zu wahren versucht, kämpft Bolsonaro mittlerweile mit dem Rücken zur Wand.

Herausgefordert wird der Präsident ausgerechnet von seinem Gesundheitsminister, der als Orthopäde selbst Mediziner ist und genau weiß, dass Beschwichtigen und Ablenken das Land ins Verderben führen würde. Also steht Mandetta auf, opponiert offen gegen den eigenen Chef und warnt vor dessen fehlgeleiteter Epidemie-Politik.

Das hätte ihn nun fast den eigenen Job gekostet – aber eben nur fast: Aus dem Machtkampf ging Mandetta – offenbar mit Unterstützung des bisher Bolsonaro treu ergebenen Militärs – als Sieger hervor: Der Gesundheitsminister bleibt im Amt. Dieser bemüht dazu eine Metapher: So wie ein Arzt für seine Patienten immer da sein müsse, so bleibe er für alle Brasilianerinnen und Brasilianer immer da.

Bolsonaro – nur mehr eine Marionette?

Schon spekulieren die Medien, dass das Ende Bolsonaros nah sein könnte; der Präsident sei offenbar nur noch eine Marionette, denn das Kommando hätten längst die Militärs übernommen. Und diese hätten sich nunmehr hinter Mandetta gestellt und seien dabei, Bolsonaro fallen zu lassen – vielleicht für immer?

Vertauschte Rollen: Nunmehr gilt nicht Jair Bolsonaro (links), sondern Gesundheitsminister Luiz Henrique Mandetta als Leitfigur.
Foto: Sérgio Lima / AFP

Offenbar hat es nicht nur die Bevölkerung, sondern auch die Generalität dem Präsidenten übel genommen, die Corona-Bedrohung verharmlost zu haben. Sogar als dessen Seelenverwandter Donald Trump schon längst in den Krisenmodus umgeschaltet hatte, blieb Bolsonaro auf seinem Kurz und verspottete sowohl die Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als auch die eindringlichen Appelle seines – bis dahin in der Öffentlichkeit weithin unbekannten – Gesundheitsministers. Viel zu spät schwenkte Bolsonaro um und räumte ein, "das Virus ist eine Realität" und man habe es mit "historischen Problemen" zu tun.

Das Ergebnis des Machtkampfes mit dem Militär scheint nun einen Verlierer zu haben: Bolsonaro selbst. Auch Vizepräsident Hamilton Mourão und mehrere seiner einflussreichsten Minister haben sich schon von ihm abgewandt – etwa Justizminister Sergio Moro und ausgerechnet Wirtschaftsminister Paulo Guedes.

Erfahrungen als Krisenmanager

Obenauf schwimmt auf der Welle der Popularität nun Gesundheitsminister Mandetta. Der 55-jährige Arzt, der seit 2011 im Kongress sitzt, stammt aus Campo Grande, der Hauptstadt des für den Sojaanbau bekannten brasilianischen Bundesstaates Mato Grosso do Sul.

Seine ersten Erfahrungen in der Politik sammelte Mandetta ab 2005 als Gesundheitsbeauftragter seiner Heimatstadt justament, als eine Dengue-Fieber-Epidemie ausbrach. Da diese Seuche vor allem durch Moskitos übertragen wird, rief er dazu auf, alle offen stehenden Gewässer – von Tümpeln bis Regentonnen – trockenzulegen, zu leeren. Er war sich Medienberichten zufolge damals auch nicht zu schade, selbst von Tür zu Tür zu gehen und die Bürgerinnen und Bürger über die Gefahren der Seuche aufzuklären. Hemdsärmelig war er also auch damals schon – und auch populär.

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In der Corona-Krise kämpft Bolsonaro mit dem Rücken zur Wand. Dieses Grafitto in Rio de Janeiro bemüht ein Wortspiel: "Covard" (Feigling) statt "Covid" (Virus).
Foto: AP Photo/Silvia Izquierdo

Trotz aller Beliebtheit in der Bevölkerung galt er nie als Anhänger linker Politik: Die Gesundheitspolitik der damaligen Staatschefs Luiz Inácio Lula da Silva und Dilma Rousseff lehnte er ab und war auch stets als Abtreibungsgegner bekannt.

Anfang vom Ende?

Für den rechtsnationalen Populisten Jair Bolsonaro war Luiz Henrique Mandetta die ideale Besetzung für das Gesundheitsministerium. Und bisher blieb der auch brav im Schatten seines Chefs. Bis eben die Corona-Pandemie auch Brasilien mit voller Wucht erfasste und Mandetta sich mit vernunftbetonter Politik durchzusetzen begann.

Ob der Konflikt mit Mandetta für Bolsonaro bloß eine unerfreuliche Episode sein wird oder dieser bereits den Anfang vom Ende seiner Amtszeit bedeutet – es häufen sich die Stimmen für eine Absetzung des Präsidenten –, das ist noch nicht entschieden. Die Tatsache, dass das Militär sich hinter den Gesundheitsminister gestellt haben dürfte, könnte aber ein Hinweis darauf sein, dass es in Brasilien nach der Corona-Krise politisch anders aussehen könnte als bisher. (Gianluca Wallisch, 8.4.2020)