Wie immer bei meinen Beiträgen standen am Anfang die Bilder. Deren Geschichte recherchierte ich anschließend, woraus der Text entstand. Die Aushänge dieser Rattenbekämpfungsaktionen, die zwischen 1941 und 1945 durchgeführt wurden, finden sich noch heute in einigen Wiener Kellern.

Der Totenkopf symbolisierte damals wie heute die Lebensgefährlichkeit der Rattengifte.
Foto: Thomas Keplinger

Zwischen 23. und 26. März 1941 gingen die Wiener Behörden im großen Stil gegen die Rattenplage vor. Dazu formierten sich die behördlich konzessionierten Schädlingsbekämpfer in einer eigens eingerichteten Arbeitsgemeinschaft der Deutschen Arbeitsfront (DAF) unter dem Vorsitz des Leiters Franz Prasch und des Gaufachschaftswalters Rudolf Gebisch.

Hauseigentümer und -verwalter sowie Grundstückseigentümer waren verpflichtet, sich an den Maßnahmen zur Rattenbekämpfung zu beteiligen. Um beste Resultate zu erzielen, wurden sie aufgerufen, die Arbeitsgemeinschaft mit der Durchführung zu beauftragen. Man rechnete damit, 60.000 bis 70.000 Objekte in diesen vier Tagen betreuen zu müssen.

Unterstützt wurden die Schädlingsbekämpfer von etwa 500 bis 600 Studenten der Hochschule Wien, die in Kursen darin geschult wurden, die Köder korrekt auszulegen. Weitere 600 Mitglieder der Hitlerjugend halfen ebenfalls mit, allerdings nicht im direkten Kontakt mit dem Gift. Sie verteilten in den Wochen vor dem 23. März 25.000 Flugblätter mit allen Informationen zu den geplanten Maßnahmen.

Vorsicht! Rattengift ausgelegt!
Foto: Thomas Keplinger

Um keine Haustiere zu gefährden, wurden in der Vorbereitung der Aktion aus alten Holzkisten enge viereckige Röhren gefertigt, deren Öffnung gerade so weit war, dass nur Ratten zu dem in ihr befindlichen Köder gelangen konnten.

Diese groß angelegte und lange geplante Schwerpunktaktion wurde massiv mittels Plakaten und Aushängen bekanntgemacht, sodass sich einige Zeitungen berufen sahen, darüber zu schreiben: "So mancher Wiener wird sich in den letzten Tagen beim Anblick der immer zahlreicher werdenden amtlichen Ankündigungen und Werbungsplakate auf Anschlagsäulen und -tafeln der ganzen Stadt verwundert gefragt haben, ob denn die Durchführung einer Aktion in solchem Ausmaß notwendig sei."

Darauf folgten die Argumente, die die Rattenbekämpfung wünschenswert erscheinen ließen: Pro Rattenpaar gäbe es jährlich 800 Nachkommen, woraus man schloss, dass etwa so viele Ratten wie Menschen, etwa zwei Millionen, in Wien leben würden. Weiters wurde ein Schaden von etwa 20.000 Reichsmark täglich angenommen, den diese Tiere – sofern sie sich von Körnern ernährten – anrichten würden, woraus die unglaubliche Jahressumme von etwa sieben Millionen Reichsmark hochgerechnet wurde. Abgeschwächt wurden diese Angaben nur durch den Hinweis, Ratten würden nicht nur feinstes Korn verspeisen, sondern auch minderwertige Nahrungsmittel. Zusätzlicher Schaden entstünde jedoch durch Fraßschäden an der baulichen Substanz und Infrastruktur der Stadt und nicht zuletzt durch die Vielzahl potenziell tödlicher Krankheiten, deren Übertragung der Ratte angelastet wurde.

Kinder, Haustiere fernhalten!
Foto: Thomas Keplinger

Als Gift der Arbeitsgemeinschaft kam die sogenannte Ratten- und Mäusepaste "Jossit" zur Anwendung, ein Zinkphosphid, das von der Wiener Firma Josef Wieser hergestellt wurde. Wer die Rattenbekämpfung selbst durchführen wollte, konnte allerdings auch auf alle anderen Gifte zurückgreifen, die damals für solche Zwecke zugelassen waren. Das Gift "Raxon" etwa wurde mittels des Slogans "Kampf und Tod den Ratten!" und der Artikelbeschreibung "Tötet alle Ratten" angepriesen.

Einem Zeitungsartikel der Illustrierten Kronen Zeitung zufolge waren amtlicherseits auch Meerzwiebelpräparate zugelassen, die dazu geeignet waren, den Ratten im Zuge dieser Schwerpunktaktion zu Leibe zu rücken. Diese Präparate wurden in den drei Tagen vor Beginn der "Großkampftage" in Apotheken und Drogerien zum Kauf angeboten.

Wie aus einem Artikel im Völkischen Beobachter hervorgeht, wurden offensichtlich nicht alle Köder in den oben erwähnten Holzröhrchen ausgelegt. Hier wird eine andere Methode beschrieben: "Auf ein Stück Papier im Ausmaß von 20 mal 20 wird ein Esslöffel dieses Köders an geeigneter Stelle ausgelegt. […] Je nach Notwendigkeit werden drei bis zehn Portionen in einem Haus ausgelegt. Während dieser Zeit müssen Hunde, Katzen, Hühner und andere Haustiere sicher verwahrt sein, damit sie nicht vergiftet werden. […] Um alle Köder wieder zu finden, muss man sich entsprechende Notizen und Skizzen machen."

Arbeitsgemeinschaft der Fachschaft der beh. konz. Schädlingsbekämpfer in der DAF im Reichsgau Wien
Foto: Thomas Keplinger

Eine Vielzahl an Organen überwachte die ordnungsgemäße Durchführung und die korrekte Auslegung der Köder. Beteiligt waren Mitarbeiter der Gauleitung der NSDAP, der Technischen Nothilfe, des Reichsluftschutzbundes und der Reichsarbeitsgemeinschaft Schadenverhütung sowie die Schutzpolizei.

War das Werk verrichtet, so mussten die sterblichen Überreste der Ratten natürlich entsorgt und einer neuen Überpopulation entgegengewirkt werden: "Nach Beendigung der Rattenbekämpfung sind die Schlupflöcher abzudichten. Tote Ratten sind zu begraben oder in den Müllsammelgefäßen derart zu verwahren, dass keine Geruchsbelästigung eintritt. Hiezu ist es notwendig, die Kadaver mit Kalk oder Chlorkalk zu übergießen."

Die in diesem Beitrag gezeigten Bilder sind die letzten Reste dieser Rattenvergiftungsaktionen, die von 1941 bis 1945 immer zwischen Ende März und Mitte April durchgeführt wurden. Der Artikel "Mit 15.000 kg Gift gegen die Rattenplage“ bestätigt diese Annahme und ist am Ende des Artikels zu finden. Darin ist von all den Warnhinweisen die Rede, die auf den Bildern zu sehen sind: "Vorsicht! Rattengift ausgelegt! Kinder, Haustiere fernhalten!"

Fazit der Aktion von 1941

Circa 70.000 Objekte und 600 Kilometer Wassergerinne wurden erfasst und etwa 50 Prozent der Ratten – 800.000 Tiere – getötet. Diese wurden mit Chlorkalk behandelt und in Behältern entsorgt oder auf freien Grundstücken vergraben.
Interessant ist, dass damals Schuhfabriken angefragt haben, ob sie die Rattenkadaver bekommen könnten. Sie wollten herausfinden, ob sich das Leder aus dem weichen Fell der Nagetiere als Rohstoff für Kinderschuhe eignen würde. Das Resultat dieser Versuche ist mir nicht bekannt. (Thomas Keplinger, 20.4.2020)

I., Weihburggasse 4. Ruf R-26-4-47
Foto: Thomas Keplinger

Herzlichen Dank an Dr. Marcello La Speranza für Hinweise auf zwei der Adressen, an denen diese Aushänge noch zu finden sind. In seinem Buch "Erforscht. NS- und Kriegsspuren in Wien, Expeditionen, Hinterlassenschaften und Zeitzeugen" (Wien 2016), S. 21–24 findet man ebenfalls Abbildungen.

Links

Vorsicht Rattenköder!
Foto: Thomas Keplinger

Abschrift des Artikels "Mit 15.000 kg Gift gegen die Rattenplage. 600 Studenten im freiwilligen Einsatz – Theorie und Praxis wurden mobilisiert", in: Völkischer Beobachter, Samstag, 22. März 1941

"Wie wir bereits einige Male eingehend berichteten, findet in der Zeit vom 23. bis 26. März im Reichsgau Wien ein systematischer Großkampf gegen die Ratten statt, bei dem die Arbeitsgemeinschaft der Fachschaft der behördlich konzessionierten Schädlingsbekämpfer in der DAF des Reichsgaues Wien, verstärkt durch 600 Studenten, die sich zu dieser Aktion freiwillig und selbstlos zur Verfügung stellten, den Haupteinsatz leistet. Um das riesige Gebiet von Wien mit Ködern auslegen zu können, wurde bereits mit der Auslegung des Rattengiftes begonnen. Wir hatten nun Gelegenheit, die Gefolgschaft der Schädlingsbekämpfer und die Studenten bei ihrer verantwortungsvollen Arbeit zu sehen.

Im Hauptquartier der ‚Rattenzentrale‘

In der Weihburggasse 4 hat die Arbeitsgemeinschaft ihren Hauptsitz aufgeschlagen. Dort sitzen Studenten und Studentinnen an den Schreibtischen und notieren die einlaufenden Anmeldungen auf Karteikarten. Die Eigenheit jedes Hauses und des anschließenden Grundstückes wird genau vermerkt, um den Männern die Arbeit beim Auslegen der Giftköder zu erleichtern. Ganz Wien wird mit einem Netz von Giftködern überzogen. Ob in den engverbauten Gebieten oder draußen in den neueingemeindeten Ortschaften, überall werden die verderblichen Lockspeisen für die Ratten so mundgerecht und – man ist versucht zu sagen – appetitlich liegen, dass keine Ratte widerstehen kann, davon zu naschen.

Bekanntlich verwendet die Arbeitsgemeinschaft der Schädlingsbekämpfer das Rattengift ‚Jossit‘, ein Präparat, das im Inland erzeugt wird und keine Devisen kostet. Mit diesem Mittel wurde dem Geschmacksempfinden der Ratten Rechnung getragen, es riecht – abgestimmt auf Rattennasen – sehr pikant und lockt die Tiere aus größerer Entfernung an. Auf nüchternem Magen wirkt das Gift in kurzer Zeit, hat das Tier bereits gefressen, stellt sich die unbedingt tödliche Wirkung etwas später ein.

Wir kamen in Bauernhäuser in den neueingemeindeten Gebieten des Kreises IV, wo bereits kurz nach dem Auslegen sechs bis acht tote Ratten in unmittelbarer Nähe der Köder gefunden wurden. Erfahrungsgemäß sind aber nur ungefähr 10 Prozent der vergifteten Tiere sichtbar, die meisten verkriechen sich in ihre Schlupfwinkel, wo sie verenden. Wenn nun beispielsweise ein Haus sechs tote Ratten meldet, kann man ohne Übertreibung von mindestens fünfzig vergifteten Ratten sprechen. Das ergibt 25 Rattenpaare, die durchschnittlich acht Junge werfen. Diese Jungen sind bereits nach drei Monaten fortpflanzungsfähig und würden innerhalb eines Jahres eine Nachkommenschaft von rund 100.000 aufweisen.

Was die Ratten für Schaden anrichten, davon konnten wir uns überzeugen. Wir sahen unterminierte Scheunen, kranke Schweine, zerrissene Kücken und halbgefressene junge Kaninchen, verunreinigte Lebensmittelvorräte und schwer angenagte Holzbauten. Abgesehen von dem wirtschaftlichen Schaden sind die Ratten auch Überträger ansteckender Krankheiten.

Es zeugt von großem Verständnis der Wiener Haus- und Grundbesitzer, dass rund 90 Prozent die Rattenvertilgung der Arbeitsgemeinschaft der Schädlingsbekämpfer übertragen haben, denn nur der konzessionierte Fachmann besitzt die entsprechende Praxis und kann ein starkes und wirksames Gift verwenden. Er bürgt mit seinem Betrieb und seiner Konzession für die Sicherheit der Durchführung und weist auch den Erfolg nach.

‚Vorsicht! Rattengift ausgelegt!‘

Die Organisation klappt tadellos. An allen Häusern, in denen Giftköder ausgelegt wurden, ist ein Zettel angebracht mit der Warnung: ‚Vorsicht! Rattengift ausgelegt! Kinder, Haustiere fernhalten!‘ Und die erprobten Gefolgschaftsmitglieder der Schädlingsbekämpfer, verstärkt durch die 600 Studenten, die eingehend geschult wurden, sind von früh bis spät tätig. In den Kellern, Stallungen, Scheunen, an Kanalausflüssen und in den Lagerräumen wird das Gift fachmännisch und sicher ausgelegt, dass es die Ratte leicht und das Haustier nur schwer erreichen kann. Insgesamt sind es 15.000 Kilogramm ‚Jossit‘, die verwendet werden, eine Menge, die ausreicht, einen Großteil der in Wien lebenden Ratten ins Jenseits zu befördern.

Wir sprachen mit Gutsverwaltern, Bauern und Hausbesitzern, die sich alle überaus anerkennend über die Durchführung der Rattenbekämpfung äußerten. Einige Außenseiter gibt es natürlich auch, die mit Stolz erklären, keine Ratten zu haben und deshalb diese Aktion in eigener Regie ziemlich oberflächlich durchführen. Diesen Herren ist es unbekannt, dass es sich um Wanderratten handelt, die heute da und morgen in einem anderen Gehöft auftauchen. Wer da nicht vorschriftsmäßig mitmacht, sabotiert die gründliche Durchführung und trägt Schuld daran, wenn an verschiedenen Stellen die Ratten wieder auftauchen.

Unsere Fahrt durch die verschiedenen Gebiete Wiens gab uns das beruhigende Gefühl, dass von verantwortungsbewussten Fachleuten wirklich alles unternommen wird, um die rund zwei Millionen Ratten, die Wien haben dürfte, zu dezimieren. Wir können deshalb wohl ohne Übertreibung sagen, dass dieser Aktion ein wirklicher Erfolg beschieden sein wird, im Gegenteil zu dem letzten Wiener Rattenkampftag im Jahre 1927, wo mit einem ziemlich untauglichen Mittel fast keine Wirkung erzielt wurde."