Eine mögliche Erklärung: Eventuell wurden Herzinfarkt-Patienten zuletzt als Corona-Todesopfer gezählt, obwohl sie eigentlich nicht daran gestorben sind.

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Im gesamten März 2020 hat sich die Zahl der in österreichischen Krankenhäusern mit Herzinfarkt aufgenommenen Patienten um rund 40 Prozent verringert. Diese Zahlen wurden in 17 Herzkatheter-Zentren unter Berücksichtigung von 700 Erkrankten ermittelt, heißt es von der Österreichischen Kardiologischen Gesellschaft (ÖKG).

"Durch Infekte oder Entzündungen wird der Herzmuskel vermehrt belastet, weiters kommt es im Blut zur vermehrten Freisetzung von entzündungsfördernden Substanzen, sogenannten Zytokinen. Wie große Studien bereits gezeigt haben, treten diese beiden Faktoren auch bei einer Covid-19-Infektion auf und können einen Herzinfarkt auslösen oder zumindest begünstigen", sagt Bernhard Metzler von der Med-Uni Innsbruck und Generalsekretär der ÖKG.

Daher sei der zuletzt in Österreich beobachtete Rückgang der Herzinfarktzahlen aus pathophysiologischer Sicht nicht erklärbar, so Metzler: "Vielmehr wäre sogar ein Anstieg zu erwarten." Auch Philip Eisenburger, Leiter der zentralen Notaufnahme am Krankenhaus Nord, berichtet von einem halb so großen Patientenaufkommen: "Mir ist es schleierhaft, warum plötzlich die Anzahl der Herzinfarkte so gering geworden ist", sagt er.

Gefährliche Folgen

Der beobachtete Rückgang ist möglicherweise auf die verschärften Maßnahmen im öffentlichen Leben zurückzuführen, so Metzler. Mit gefährlichen Folgen: "Die Maßnahmen waren und sind für die Eindämmung der Pandemie sehr wichtig und richtig. Aber es ist natürlich denkbar, dass Patienten ihre Herzinfarkt-Beschwerden nun nicht ernst genug nehmen oder diese nicht dem Herz, sondern einer möglichen Lungenentzündung zuordnen und keine ärztliche Hilfe aufsuchen. Die Angst, sich im Krankenhaus mit Covid-19 zu infizieren, sowie Rücksichtnahme auf das öffentliche Gesundheitswesen könnten hier ausschlaggebend sein", so Metzler weiter. Es sei wichtig, dass Betroffene verdächtige Symptome ernst nehmen, so der Mediziner. Bei Infarktverdacht muss sofort ein Notarzt gerufen werden.

Eine weitere Erklärung könnten die durch die allgemeinen Beschränkungen reduzierten körperlichen und sportlichen Aktivitäten sein, die damit als mögliche Auslösemechanismen für Infarkte ausfallen. Als dritte mögliche Ursache sieht Metzler, dass "man allenfalls schwer an Covid-19 erkrankte Patienten, deren Todesursache möglicherweise ein Herzinfarkt war, in den vergangenen Wochen nicht als Herzinfarkt-Patienten registriert hat".

"Als Kardiologe ist es mir wichtig, an die Patienten und an die behandelnden Ärzte zu appellieren, trotz der Covid-19-Pandemie die nach wie vor häufigen und bisweilen lebensbedrohlichen Herzbeschwerden nicht zu übersehen, genau abzuklären und zu behandeln", so Metzler. Die Daten zu den Herzinfarktzahlen sollen demnächst im "European Heart Journal", einer Fachzeitschrift für Kardiologen, publiziert werden.

Ähnliche Situation in Deutschland

Auch in Deutschland haben Notfallmediziner bereits beobachtet, dass derzeit weniger Menschen in die Notaufnahmen kommen, selbst Patienten mit Herzinfarkt- oder Schlaganfallsymptomen, berichtet der "Spiegel". Auch dort führen Ärzte diesen Umstand darauf zurück, dass die Betroffenen Angst vor einer Ansteckung mit dem Coronavirus haben.

Mehrere Public-Health-Experten haben bereits davor gewarnt, dass durch die Corona-Maßnahmen jene Patienten aus dem Fokus geraten, die an anderen Erkrankungen leiden. So sagt etwa Martin Sprenger von der Med-Uni Graz: "Mit Sicherheit kommt es schon jetzt zu zahlreichen gefährlichen Verläufen und sogar – unter Normalbedingungen vermeidbar gewesenen – Todesfällen." (red, 9.4.2020)