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Bernie Sanders ist aus dem Rennen ausgestiegen.

Foto: REUTERS/Mike Segar/File Photo

Bernie Sanders hat recht: Er hat die Koordinaten des politischen Diskurses nach links verschoben, zumindest jene des Diskurses in den Reihen der US-Demokraten. Was er schon 2016 forderte, damals im Duell mit Hillary Clinton noch der klare Außenseiter, ist heute in weiten Teilen der Partei unumstritten oder zumindest Mehrheitsmeinung. Etwa dass ein Mindestlohn garantiert sein muss, von dem man tatsächlich leben kann. Oder dass Uni-Absolventen nicht mit einem Rucksack voller Schulden, die Folge exorbitanter Studiengebühren, ins Berufsleben einsteigen sollten.

Sein zentrales Projekt, ein steuerfinanziertes Gesundheitssystem, das auf private Krankenversicherungen verzichtet und ausnahmslos alle versorgt, hat gerade in der Corona-Krise an Zuspruch gewonnen. Dass nichtversicherte Amerikaner zögern, einen Arzt aufzusuchen, weil sie nicht wissen, wie sie die Rechnung bezahlen sollen, hat auch zur Ausbreitung des Virus beigetragen. In einem Satz: Der Veteran aus Vermont ist schon lange nicht mehr der knorrige, bisweilen belächelte Einzelgänger, als den ihn manche noch vor zehn, fünfzehn Jahren gesehen haben.

Dennoch, wonach sich die Mehrheit der Partei noch stärker sehnt als nach strukturellen Reformen, ist ein Sieg über Donald Trump – über den Präsidenten, den sie unbedingt nach nur vier Jahren im Weißen Haus abgelöst sehen will, noch dringlicher, als es bei manchem seiner konservativen Vorgänger der Fall gewesen ist. Diesen Sieg traut sie Sanders einfach nicht zu, dazu steht der Senator zu weit links von der Mitte. Dann lieber Biden, ein Kandidat, der zwar keinen begeistert, aber immerhin die Rückkehr zu einem berechenbaren Regierungsstil verspricht. Zur alten Ordnung, wenn man so will. Vor der Epidemie hätte man auch gesagt: zu einer ruhigeren Phase nach all den Turbulenzen mit Trump.

2016 revisited

Um den Amtsinhaber zu schlagen, hat Sanders für sich geworben, müsse man Leute mobilisieren, die sich von der Politik im Stich gelassen fühlen. Wie bei Trump richtete sich das an die gebeutelte Arbeiterschaft im Rostgürtel der alten Industrie, vor allem aber meinte er damit die Jungen, eine Generation, die von den Verheißungen des amerikanischen Traums zumeist herzlich wenig spürte. Die Aufbruchsstimmung, die er gerade bei den unter 35-Jährigen entfachte, konnte man auf seinen Kundgebungen spüren, bis ihn das Virus zu Videoauftritten im Wohnzimmer zwang und seiner Kampagne das Euphorische nahm. Zugejubelt haben sie ihm, in den Wahllokalen indes sind sie weit weniger zahlreich erschienen, als es ihr Idol erhofft hatte.

Bis August, wenn sie sich in Milwaukee zu ihrem Nominierungsparteitag versammeln, haben die Demokraten nun Zeit, sich dem Brückenbau in den eigenen Reihen zu widmen. Leicht wird das nicht, denn die inhaltlichen Gräben sind tief. Die Kongressabgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez, eine der engagiertesten Wahlkämpferinnen der Sanders-Fraktion, hat es auf den Punkt gebracht: "In keinem anderen Land wären Joe Biden und ich in derselben Partei."

Nur: Misslingt der Brückenschlag, droht eine Wiederholung dessen, was sich 2016 abspielte. Damals blieben etliche Sanders-Anhänger zu Hause, statt Clinton zu wählen, wovon am Ende Trump profitierte. Also muss Biden die Linke einbinden, ohne sich zu weit nach links drängen zu lassen. Das klingt nach der Quadratur des Kreises. (Frank Herrmann, 9.4.2020)