Eltern-Kind-Kolumnen sind scheiße. Seit hunderttausenden Millionen von Jahren bekommen Menschen Kinder. Das hat bisher gut geklappt, wir sind noch da. Man muss also nicht darüber schreiben. Am schlimmsten ist es, wenn Journalistinnen oder Journalisten Eltern werden: "Und flugs gibt es wieder eine Eltern-Kind-Kolumne, die eh erst 748.", schreibt auch Rainer Nikowitz vom Profil. Und auch die interessiert dann niemanden.

Journalisten, geht stattdessen besser raus, erzählt uns Neues, zeigt uns Zusammenhänge, überrascht uns, kurz: recherchiert. Aber bitte nichts mehr über stinkende Windeln, schlaflose Nächte, Kindergärten und Krankheiten, Zähne oder Unvereinbarkeiten von Beruf und Familie. Das kennt man, das war schon immer so.

Ich hingegen recherchiere, um Zusammenhänge aufzuzeigen. Da ich aber derzeit nicht rausgehen darf, weil ich nicht systemrelevant bin, habe ich die Informantin bei mir zu Hause gefunden.

Bahnbrechende Ergebnisse

In einer zufällig gewählten Woche (im Weiteren: "Corona-Krise") habe ich der Informantin (im Weiteren: "das Baby") zehn Beschäftigungen (im Weiteren: "Spielzeug") angeboten, ihre Reaktion beobachtet und bewertet. Pandemien, Wirtschaftskrisen, Arbeitslosigkeit, Innenpolitik, Papa-Kolumnen, Kommentare und Satire – all das gab es schon immer.

Meine Ergebnisse hingegen sind neu, ja, sogar bahnbrechend: Kochendes Wasser ist als Kinderspielzeug schlechter geeignet als Fingerpuppen, Bücher sind gut. Geahnt haben Sie es vielleicht, in Zeiten wie diesen sollten wir uns aber auf die harten Zahlen verlassen. Lesen Sie deshalb im Kasten unten, welches Spielzeug die Informantin möglichst lange beschäftigt – und wie pädagogisch wertvoll die Sache ausfiel.

So lief der Spielzeug-Test

Die Test-Methode

Bewertet wurde das Spielzeug nach den Kosten einer Einheit, der maximalen Spieldauer pro Session, der Aufmerksamkeit, die die Aufsichtsperson investieren muss, wie pädagogisch wertvoll und wie gefährlich es ist. Ein hoher Mitspielfaktor bindet Ressourcen und wird negativ bewertet. Der Lerneffekt wird positiv bewertet und ist, weil es um unsere Zukunft geht, zweifach gewichtet. Wie derzeit alle Politiker versichern, ist Gesundheit das Wichtigste: Gefahr wird deshalb negativ bewertet und fließt mit dem Faktor fünf in das Gesamtergebnis ein.

Der Spielzeug-Test im Detail

Foto: Peter Sim/derSTANDARD
Foto: Peter Sim/derSTANDARD

SPARSCHWEIN

Ich nehme die Münzen raus, das Baby räumt sie ein. Fast eine Viertelstunde lang können wir das ohne Protest machen. Wegschauen darf ich nicht: Münzen haben genau die richtige Form, um Luftröhren zu verschließen. Babys ersticken oft.

Fazit: Günstig aber gefährlich. Freizeitgewinn der Eltern nahe null.

FINGERPUPPEN

Mit dem Baby erfinde ich neue Welten. Bei uns werden sie von Fröschen, Mäusen und Hasen bewohnt. Erklären Sie die Corona-Krise, oder machen Sie einfach "biepbiep" und "wuschwusch": Auf Fingern zappelnde Puppen sind so oder so super.

Fazit: Sofern Ihre Geschichten keine Traumata ins Babyhirn pflanzen: ungefährlich.

Foto: Peter Sim

SCHUHE

Seit drei Monaten versucht das Baby sich die Schuhe selbst anzuziehen, die jeweils erste Viertelstunde voller Zuversicht. Danach kippt die Stimmung, die Fortschritte sind marginal. Hilfe wird mit scharfem Laut und bösem Blick abgewehrt.

Fazit: Mit über einer halben Stunde Beschäftigung pro Session: Bestwert. Birgt viel Frustpotenzial, ist aber pädagogisch wertvoll, wenn Sie in ein paar Monaten sagen können: "Die Schuhe kann sich das Baby seit Corona selbst anziehen."

Foto: Peter Sim

SMARTPHONE

Die höchste Spieldauer pro Session und null erforderliche Aufmerksamkeit der Eltern. Spezielle Baby-Apps sperren den Bildschirm und verhindern peinliche Anrufe bei Großeltern oder Polizei. Wenn Sie aufs Klo müssen oder einen wichtigen Anruf erwarten: Es gibt nichts Besseres.

Fazit: Falls Babys dadurch nicht blind, blöd und epileptisch werden: ein Traum. Falls.

ADVENTSKALENDER

Es ist wie Weihnachten – nur besser. Eines und genau das richtige Schächtelchen aufzumachen war im Advent ohnehin schwierig. Jetzt darf das Baby ohne Aufsicht alle 24 wild herausziehen und ausleeren. Je nach Geschicklichkeit des Babys kann das Einräumen jedoch länger dauern als das Ausräumen.

Fazit: Teuer, aber durch die Nutzung außerhalb der Saison effizient. Gefahr gering, wenn nicht mit Giftigem oder Verschluckbarem befüllt.

Foto: Peter Sim

KOCHENDES WASSER

The best things in life are free. Aber nicht alles, was gratis ist, ist auch gut. Trotz der einzigen Maximalbewertung beim Lerneffekt: Geben Sie Ihrem Baby kein kochendes Wasser.

Fazit: Geben Sie Ihrem Baby kein kochendes Wasser.

Die verärgerte Informantin wollte kochendes Wasser testen.
Foto: Peter Sim

BÜCHER

Trotz Filzklappen, Geräuschen, Musik und Lämpchen ist die Nutzungsdauer pro Kinderbuch extrem gering, die Kosten hoch.

Fazit: Um auf eine annehmbare Nutzungsdauer zu kommen, müssen ganze Stapel in Serie konsumiert werden. Nachher wissen Sie aber, wie ein Otter klingt.

Foto: Peter Sim

Hier noch weitere Tweets aus der Quarantäne:

16. März

Quarantänetagebuch 1/X -- Ein Notfalls-Duplo-Set, 18 Hipp-Glaserl (normaler Lagerbestand), sieben Klopapierrollen, zwei Packungen Windeln, null Zimmer nur für mich, drei Origamibücher und ein Baby, dem Origami (noch) vollkommen wurscht ist.

18. März

Krisenkinder werden so schnell erwachsen. Das einjährige Baby muss mit 2+ Spielzeug spielen. Mit allem andern ist es durch.

19. März

"Als ich um zehn Uhr auf die Uhr schaute, war es erst halb neun." (Alfred Kerr, Theaterkritiker)
Peter Sim ist Journalist bei "Dossier". Statt Parteifinanzen, Geldwäsche, Inserate und Waffenhersteller investigiert er derzeit seine einjährige Tochter in der Väterkarenz. Er lebt bei ihr wie einst Hunter S. Thompson bei den Hells Angels. Seine Berichte lesen Sie ab jetzt jeden zweiten Sonntag online im STANDARD, sein Karenztagebuch auf Twitter.
Foto: Peter Sim