Die Menschen in den Slums von Nairobi halten die Hygienevorschriften ein – soweit das möglich ist.

Foto: EPA/DANIEL IRUNGU

Die Ein- und Ausreise aus Nairobi ist drei Wochen lang untersagt. Straßensperren riegeln die Hauptstadt ab.

Foto: APA/AFP/YASUYOSHI CHIBA

Drei mal drei Meter, also nicht einmal zehn Quadratmeter groß sind die Wellblechhütten, in denen die Bewohner des Mukuru-Slums in der kenianischen Hauptstadt Nairobi leben. Auf engstem Raum und Blech an Blech leben so meistens fünf, sechs Menschen. Dass es da schwer bis unmöglich ist, auf Distanz zueinander zu gehen, ist schnell ersichtlich. Immerhin leben mehr als 83.000 Slumbewohner auf einem Quadratkilometer. In Wien sind es gerade einmal 4.500 Menschen. "Wenn das Coronavirus in Mukuru ausbricht, dann wird es sich wie ein Waldbrand verbreiten", befürchtet Anne Muthoni, die die Hilfseinrichtung Mukuru Slums Development Projects (MSDP) leitet.

Muthoni und ihre Mitarbeiter führen mehrere Projekte in der informellen Siedlung, um vor allem Kinder und Jugendliche zu unterstützen – aber auch, um ihren Eltern eine Lebensgrundlage zu bieten. Etwa durch Mikrokredite, um ein kleines Unternehmen aufzubauen. Die meisten Kreditnehmer haben sich damit einen Straßenstand finanziert, an dem sie Obst und Gemüse verkaufen. Damit ist in Zeiten des Virus Schluss: "Wir sind mit allen Betroffenen telefonisch in Kontakt, aber sie verkaufen gar nichts mehr", erzählt Muthoni. "Entweder weil sie schließen mussten oder weil sich die Leute nicht mehr trauen, bei ihnen einzukaufen." Zu groß sei die Angst vor einer Infektion.

Polizeigewalt während Ausgangssperre

Die Folge: Die Bewohner Mukurus hätten kein Geld mehr für Nahrungsmittel, Hunger mache sich breit, sagt die NGO-Leiterin. Deshalb wolle sie auch bei ihren österreichischen Partnern, Horizont 3000 und der Dreikönigsaktion, dem Hilfswerk der österreichischen Jungschar, um spezielle Unterstützung bitten. Denn durch den Hunger befürchtet sie einen Anstieg der Gewalt im Slum. "Wenn die Menschen frustriert sind, dann werden sie aggressiver", erzählt Muthoni aus ihrer Erfahrung. "Wir befürchten, dass es mehr häusliche Gewalt und auch Gewalt in den Straßen geben wird."

So wie es während der Ausgangssperre bereits der Fall war. Zwischen sieben Uhr abends und fünf Uhr morgens darf sich niemand auf der Straße befinden. Berichte über Polizeibrutalität mehren sich, mindestens drei Menschen starben bereits durch Stockschläge, ein 13-Jähriger wurde auf einem Balkon in Nairobi durch eine Polizeikugel tödlich getroffen. Ein "verirrter Schuss", heißt es in der offiziellen Darstellung.

Fehlende Tests im Slum

Zumindest an die Hygienevorschriften halten sich die Slumbewohner laut Muthoni. So weit das möglich ist. "Die Menschen waschen sich die Hände und tragen Desinfektionsmittel bei sich", sagt sie. "Doch gleichzeitig benutzen mehrere Familien eine Toilette", erinnert sie an die Infrastruktur der informellen Siedlung.

Von den am Dienstag offiziell 208 Fällen und neun Todesopfern in Kenia waren die meisten selbst auf Reisen oder hatten Kontakt zu Menschen, die im Ausland waren. Deshalb hofft Muthoni, dass die Slumbewohner so lange wie möglich verschont bleiben. "Jedoch verrichten viele von ihnen Hilfsdienste in den Haushalten ebensolcher Personen." Und dann ist da noch die Sache mit den fehlenden Tests. Denn in Mukuru wurde noch nicht getestet. Und auch sonst fehlen im Land Testkits. Die kenianische Regierung versprach aber bereits mobile Teststationen, die in den Siedlungen ab kommender Woche bereitstehen sollen. Freiwillige Tests sollen dann möglich sein.

Tumult bei Essensausgabe

Um die Ausbreitung des Virus einzudämmen, wurde außerdem eine dreiwöchige Ein- und Ausreisesperre über die besonders betroffenen Regionen wie Nairobi verhängt. Was aber dazu führt, dass tausende Menschen in der Hauptstadt eingeschlossen sind.

Quasi eingeschlossen sind auch die Straßenbuben, die im Mukuru Promotion Centre (MCP) untergebracht sind. Mary Killeen, die Leiterin der Einrichtung der Barmherzigen Schwestern, berichtet von 45 Burschen in Betreuung, die nicht mehr einfach ein- und ausgehen dürfen, weil es keine Möglichkeit zur Virustestung in der Einrichtung gibt. Deshalb seien sieben Straßenbuben bereits ausgezogen.

Das Schulprojekt wurde geschlossen, und doch teilten die MCP-Mitarbeiter weiterhin eine warme Mahlzeit an die Schülerinnen, Schüler und ihre Familien aus. Als das andere Slumbewohner mitbekommen hätten, sei es zu einem Tumult gekommen, berichtet Killeen. Menschen hätten zur Essensausgabe gedrängt. Die Polizei musste einschreiten, weil die Lage sonst eskaliert wäre.

Doch mit der Essensausgabe ist nun Schluss. Nach weiteren schweren Ausschreitungen hat laut Killeen die Regierung die Verteilung durch nichtstaatliche Hilfsorganisationen untersagt. Sie alle sollen die offiziellen Ausgaben der Regierung unterstützen. "Aber das werden wir nicht tun", sagt die Schwester. "Wegen der grassierenden Korruption."

Man habe indessen die Vorräte der Klinik des Projekts aufgestockt. In der Klinik würden mehr Menschen mit Anzeichen von Mangelernährung auftauchen, erzählt Killeen. Auch in der Lehrtischlerei habe man umgedacht: So würden die Lehrlinge nun Särge herstellen, um mögliche Covid-19-Todesopfer in Würde begraben zu können. (Bianca Blei, 14.4.2020)