Rekonstruktion von Maidanetske, einer der größten Siedlungen der Tripolje-Kultur. Auf dem 200 Hektar großen Siedlungsareal wurden etwa 3.000 Häuser errichtet.
Illustration: Susanne Beyer

Von der späten Jungsteinzeit bis in die frühe Bronzezeit existierte in Südosteuropa die sogenannte Cucuteni-Tripolje-Kultur – in einem Gebiet, das sich heute über Teile der Ukraine, Rumäniens und Moldawiens erstreckt. Archäologische Funde zeugen von einer intensiven Agrarwirtschaft auf den fruchtbaren Lößböden der Region, einem hohen Maß an sozialer Organisation und handwerklichen Aktivitäten, die unter anderem hochwertige Keramik und fortschrittliche Metallurgie hervorbrachten.

Gräber mit menschlichen Überresten hat diese Kultur kaum hinterlassen. Dafür aber Spuren von Siedlungen, die für das Europa der Ära 4.100 bis 3.500 vor unserer Zeitrechnung eine beachtliche Größe hatten: Manche umfassten 2.000 bis 3.000 Häuser und müssen bis zu 15.000 Menschen Platz geboten haben. Wegen ihrer Größe wurden sie schon als "Megasiedlungen", "Megasites" oder "Riesendörfer" bezeichnet.

Nähere Untersuchung

Einem internationalen Forscherteam ist es nun gelungen, etwas Licht in dieses kaum bekannte Kapitel der Prähistorie zu bringen. Dazu verhalfen ihnen DNA-Analysen der wenigen menschlichen Überreste, die von dieser Kultur geblieben sind, wie die Christian-Albrechts-Universität zu Kiel berichtet. Und die Ergebnisse werfen einige Hypothesen, die man zu dieser Kultur aufgestellt hatte, über den Haufen.

Wissenschafter des Sonderforschungsbereiches 1266 "TransformationsDimensionen" der Uni Kiel gelang es zusammen mit Kollegen aus Moldawien, die genetische Komposition von vier Menschen aus der damaligen Zeit zu entschlüsseln und daraus Rückschlüsse auf ihre Herkunft und Vorfahren zu ziehen. Dabei handelte es sich um die Skelettreste von vier Frauen aus Fundstätten im heutigen Moldawien.

Genetische Vielfalt

Insgesamt zeigten die untersuchten Individuen eine sehr unterschiedliche genetische Ausstattung. "Das weist auf eine relativ hohe Diversität hin und überrascht, wenn man bedenkt, dass sie alle aus der gleichen späten Tripolje-Periode stammen und nur wenige hundert Kilometer voneinander entfernt begraben wurden", sagt Studienerstautor Alexander Immel. "Der Befund deutet auf eine Populationsdynamik auch innerhalb einer Kultur hin und stellt die Vorstellung von der scheinbar stabilen und einheitlichen Zusammensetzung in Frage", ergänzt sein Kollege Johannes Müller.

Die Analysen deuten darauf hin, dass es zwischen den Bewohnern der Tripolje-Siedlungen und den umliegenden Steppengebieten langfristige Kontakte und eine nur allmähliche Vermischung gab – keine schlagartige. Das widerlegt das Szenario einer plötzlichen Veränderung des Genoms durch eine kriegerische Invasion. So wurde schon postuliert, dass Reiterhorden der osteuropäischen Jamnaja-Kultur die Ackerbauern und Viehzüchter der Region um 3.100 vor unserer Zeitrechnung überrollt hätten.

Keine Anzeichen für Pest

Eine andere Hypothese ging von dem Umstand aus, dass die Bevölkerung in den Megasiedlungen stark konzentriert war und es zudem ein enges Zusammenleben von Menschen und Tieren gegeben haben dürfte. Das wären ideale Voraussetzungen dafür, dass sich Zoonosen, also von Tieren auf Menschen übertragene Krankheiten, ausbreiten. Die Tripolje-Siedlungen hätten demnach Ausgangspunkte für das Entstehen von Epidemien wie etwa der Pest gewesen sein können.

Diese Vermutung wird durch die aktuelle Analyse wenn schon nicht widerlegt, dann zumindest nicht gestützt. Die vier untersuchten Individuen wiesen keine Spuren einer Pestinfektion auf. Es gibt also keine Hinweise darauf, dass der Niedergang dieser rätselhaften Kultur von einer Epidemie verursacht wurde. (red, 10. 4. 2020)