Fehlende Datenzugänge und Strukturen erschweren es, vorhandene Datenbestände für eine rasche, effiziente und wissenschaftlich fundierte Bekämpfung der Pandemie zu nutzen, kritisieren die Wissenschafter Harald Oberhofer, Gerhard Schwarz und Michael Strassnig im Gastkommentar.

Die älteren Semester in den Covid-19-Krisenstäben denken sicher oft an Joki Kirschner: "Daten machen glücklich, wenn man rechtzeitig drauf schaut, dass man s' hat, wenn man s' braucht", hätte der selige Fernsehmoderator wohl gesagt. Legt man diesen Maßstab an, dann war Österreich in den letzten Wochen nicht sehr glücklich. Konnte man über die abweichenden Fallzahlen der Infektionen zwischen Innen- und Gesundheitsministerium vielleicht noch schmunzeln, gefror einem das Lächeln spätestens, als publik wurde, dass niemand in diesem Land weiß, wie viele Intensivbetten und Beatmungsgeräte verfügbar sind.

Auch eine "Österreichische Covid-19-Studie", die grundlegende Informationen zur Ausbreitung des Virus in der Gesamtbevölkerung liefern wird, wurde erst spät veranlasst. Natürlich hängt die Umsetzung einer solchen Erhebung stark von den praktischen Möglichkeiten ab, insbesondere der Verfügbarkeit von Testkits. Die mit dieser Studie beauftragten Institute erbringen zweifellos großartige Arbeit in einer sehr schwierigen Situation.

Wesentliche Ressource fehlt

Dennoch bleibt ein schaler Nachgeschmack, denn Österreich leistet sich eine statistische Bundesanstalt mit mehr als 700 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, hat aber trotzdem nicht die rechtlichen, technischen und personellen Vorkehrungen getroffen, um in einer Krisensituation rasch verlässliche Daten für Politik, Verwaltung und Wissenschaft erheben und zur Verfügung stellen zu können. So kommt es, dass insbesondere den Expertinnen und Experten aus der Wissenschaft eine wesentliche Ressource für eine auf Evidenzen basierende Beratung der Politik und Verwaltung in Österreich fehlt: Daten!

In einem offenen Brief haben renommierte Wissenschafterinnen und Wissenschafter vorige Woche aufgezeigt, dass in den letzten Monaten international mehr als 2.000 wissenschaftliche Artikel zu Covid-19 publiziert wurden. Aufgrund des fehlenden Datenzugangs für die Forschung ist darunter kein einziger aus Österreich. Dabei geht es nicht um eine wissenschaftliche Nabelschau. Der Pandemieverlauf ist stark länderspezifisch. Die Lehren aus anderen Ländern "können nur bedingt auf Österreich übertragen werden und sind für die Planung einer erfolgreichen Strategie hierzulande unzureichend. Wir sind deshalb noch immer größtenteils im Blindflug unterwegs", so der offene Brief.

Corona-Statistik der Johns Hopkins University in Baltimore.
Foto: Imago / Marius Bulling

Das ewige Warten auf die Daten

Die Bitten aus der Wissenschaftscommunity um Datenzugänge verhallten lange Zeit ungehört oder gingen im politischen Klein-Klein der Partikularinteressen unter. Vor dem Hintergrund, wie sehr restriktive Rahmenbedingungen dem Wissenschaftsstandort und der Gesellschaft schaden, hat das Wissenschaftsministerium bereits vor einigen Jahren die große Bedeutung des Datenzugangs erkannt. 2018 wurde eine Novellierung des Forschungsorganisationsgesetzes genutzt, um den Zugang zu bundesgesetzlich vorgesehenen Registern für Forschungszwecke grundsätzlich zu ermöglichen, sofern strenge Datenschutzvorkehrungen eingehalten werden. Theoretisch. Praktisch müssten jedoch die einzelnen Ministerien jeweils ihre Datenbestände freigeben. Bisher gab es daran wenig Interesse. Zu hoffen bleibt, dass die Covid-19-Krise in den diversen Ressorts einen Umdenkprozess auslöst.

Ansätze dafür kann man bereits beobachten. Ende März forderte der österreichische Patientenanwalt die Freigabe von Daten aus der elektronischen Gesundheitsakte Elga für die Covid-19-Forschung. Kurz darauf erklärten die österreichischen Krankenkassen, pseudonymisierte Daten für die Erforschung von Covid-19 zur Verfügung zu stellen. Dabei handelt es sich um eine improvisierte Lösung, die aufzeigt, wie schlecht Österreich auf eine Krise vorbereitet war, in der verlässliche Daten die wichtigste Basis für politische Maßnahmen gewesen wären: Viele Daten sind vorhanden, aber es gibt keinen schnellen und einfachen Zugang, um sie zu nutzen.

In Österreich ist insbesondere der Zugang zu Statistikdaten für wissenschaftliche Forschung nach wie vor so restriktiv wie in kaum einem westeuropäischen Land. Dies äußerst sich im Bundesstatistikgesetz, das die wissenschaftliche Verwendung von Personen- und Unternehmensdaten untersagt, wenn Forschende unter Millionen von anonymisierten Datensätzen theoretisch auch nur eine einzige Person oder ein einziges Unternehmen anhand besonderer Merkmale wiedererkennen könnten. Hier hat der Gesetzgeber das Statistikgeheimnis über alles gestellt, zum Schaden der Gesellschaft und ohne rechtliche Notwendigkeit. Andere Länder haben Lösungen gefunden, in denen der Datenschutz und das öffentliche Interesse an der Forschung ausgewogener gestaltet sind.

Systematischer Datenzugang statt "Husch-Pfusch"

Wenn nun handverlesene Datenbestände der Forschung geöffnet werden, ist das noch keine systematische Strategie, insbesondere keine, die auch in künftigen Krisensituationen sofortiges Agieren ermöglichen würde. Eine zersplitterte Rechtslage, die für zahlreiche Datenbestände von der Transparenzdatenbank bis zu den Arbeitsmarktdaten Sonderbestimmungen für die wissenschaftliche Nutzung vorsieht, sowie überzogene Vorbehalte in Politik, Verwaltung und unter Datenschützerinnen und Datenschützern erschweren die wissenschaftliche Datennutzung zum Wohle aller, wie die Covid-19-Pandemie drastisch aufzeigt.

Das Kernelement einer jeden Datenstrategie ist ein Datenzentrum, in dem die relevanten Datenbestände der öffentlichen Hand für ausschließlich wissenschaftliche Zwecke gespeichert und zusammengeführt werden können. Die Daten, so sehen es internationale Best-Practice-Beispiele vor, verlassen niemals dieses Datenzentrum, und die Wissenschaft kann ausschließlich auf Daten ohne Identitätsmerkmale zugreifen.

Lehren aus der Krise ziehen

Tatsächlich sieht das aktuelle Regierungsprogramm den Aufbau eines solchen Datenzentrums vor. Als Betreiber böte sich die Bundesanstalt Statistik Austria geradezu idealtypisch an. Sie muss diese Aufgabe aber auch übernehmen wollen und finanziell und personell so ausgestattet werden, dass sie dieses Datenzentrum auch umsetzen und betreiben kann. Der gesetzliche Rahmen ist nur die halbe Miete. Die praktische Umsetzung wird entscheiden, ob die Forschung in Österreich in einer zukünftigen Krise schneller auf die notwendigen Daten zugreifen wird können. Wesentlich ist es, nach der Krise die Mängel nicht sehr schnell wieder zu vergessen und zur alten "Tagesordnung" überzugehen, sondern konsequent die Lehren aus Corona zu ziehen und strukturell nachhaltige Konsequenzen zu setzen. Wir werden diesen Prozess begleiten! (Harald Oberhofer, Gerhard Schwarz, Michael Strassnig, 9.4.2020)