Jetzt, in dieser Ruhe vor dem Sturm, gilt es, in der Einstimmung der Bevölkerung auf den seuchenpatriotischen Schulterschluss mit der Regierung nicht nachzulassen. Es geht schließlich um nicht mehr und nicht weniger als um die Entrückung des Bundeskanzlers in Höhen, von denen aus sich der nächste Wahlkampf auf Sicht bis zu einer absoluten Mehrheit führen lässt. Und wann der stattfindet, entscheidet der Entrückte, nicht im Interesse der Republik, sondern wie zweimal erprobt nach persönlichen Bedürfnissen. In einer Situation, in der sich die Spannung zwischen Message-Control und Verfassungstreue zuspitzt und ein Sieg der Ersteren über die Letztere noch nicht völlig sicher ist, gilt es, sich alles vom Leib zu halten, was der vor allem vom Boulevard und dem ORF fabrizierten Aura schaden könnte.

Bundeskanzler Sebastian Kurz.
Foto: EPA/HELMUT FOHRINGER

Vor allem Spitzfindigkeit jeglicher Art. Wo man oft nur allzu gern fünfe ebenso gerade sein wie Bundesgärten als Seuchenherde ausweisen lässt, soll auf die Spitze getriebene Findigkeit als dem Nationalcharakter fremd, ja verderblich demaskiert werden, und das erst recht, wenn sich Verfassungsrechtler in dieser Untugend versuchen. Deren Abkanzelung durch den Bundesabkanzler mit den Worten "Da ist ganz gleich, was Juristen dazu sagen" hat das Zeug, in die österreichische Rechtsgeschichte einzugehen. Und das schon allein wegen der Begründung, "es wird immer Personen geben, die juristisch spitzfindig sind".

Leichte Zerknirschung

Wie rasch sich ein Regierungsstil ändern kann, wird deutlich, wenn man sich erinnert, dass Österreich vor kurzem eine Präsidentin des Verfassungsgerichtshofes als Bundeskanzlerin hatte, die sich jetzt von ihrem Nachfolger vielleicht nicht optimal verstanden fühlt. Aber das wird vielleicht besser, wenn er einmal fertigstudiert hat. Als positiv ist Sebastian Kurz anzuschreiben, dass er seinen Polizeiminister noch nicht angewiesen hat, seine Schergen auf spitzfindige Juristen anzusetzen. Da noch kein türkises Regierungsmitglied eigenmächtig etwas gesagt oder getan hat, was Kurz und seine Kontrollore nicht vorverdaut haben, dürfen sie hoffen. Bis auf weiteres.

Hätte Kurz unter leichter Zerknirschung eingeräumt, ja, die Corona-Gesetze waren ein Pallawatsch, so etwas kommt nicht wieder vor, hätte man das der Neuartigkeit der Situation und der Unerfahrenheit, damit umzugehen, gutschreiben können. Aber das wäre mit der Attitüde des unfehlbaren Erlösers und der propagierten Alternativlosigkeit zu sich selbst, nicht vereinbar. Er hat sich oder wurde auf diese Rolle festgelegt, und dann bleibt nur noch, auch sachlichste Kritik als Spitzfindigkeit, wenn nicht Schlimmeres, abzutun – das einmal konstruierte Image gilt es um jeden Preis zu wahren.

Und vor allem: Was ist, wenn Spitzfindigkeit einreißt und womöglich von der Verfassung auf die Menschenrechte übergreift? Soll ja schon passiert sein. Oder wenn Spitzfindige finden, seine Medienförderung riecht eher nach einem korrupten Gegengeschäft mit dem Boulevard als nach Subvention von Qualität? Die Spitzfindigkeit hat sogar seinen Vizekanzler ergriffen, der plötzlich Vermögenssteuern fordert. Aber der ist ungefährlich. (Günter Traxler, 10.4.2020)