Doron Rabinovici schreibt kleine Erzählungen für das Isolationskollektiv – und liest sie seinem Publikum auch vor.

Foto: Heribert Corn www.corn.at

In seine Schwester hatte er sich verliebt. Ausgerechnet. Die Art, wie sie ins Zimmer kam. Dann jenes Lächeln, als schaue sie durch ihn hinweg an einen Punkt weit hinter ihm. Diese Entschiedenheit. Das Strahlen um sie. Ein Lächeln wie gemalt. So leichthin und unverdrossen. Wie sie die Jalousien hochzog.

Der Duft von Frische, wenn sie sich über ihn beugte. Sanft, sacht, lind und leise. Ihr Haar, das ihn zuweilen an der Wange streifte. Ihre bloßen Füße in den Holzpantoffeln, mit denen sie umherging, als trage sie Stöckelschuhe.

Er wagte es nicht, irgendjemandem davon zu erzählen. Nicht einmal seinen Freunden oder Kollegen. Auch nicht seiner Frau, wobei er immerzu fürchtete, sie sehe es ihm ohnehin an. Wieso bemerkte keiner, wie er rot anlief, sobald die Schwester den Raum betrat, um etwa das Essen zu bringen?

Erste Schritte

Aber niemand ahnte, wie es in ihm aussah und am allerwenigsten sie, die eine, die, wenn sie ihn wusch und seinen Verband wechselte, kein Wort darüber verlor, wie das Piepsen des Monitors an Tempo gewann und die Kurven zackig hochschnellten, weil sein Herz schneller schlug, wenn sie nur da war. Sie blickte über all das hinweg, wenn sein Gesicht rot aufflammte, sobald sie ihn einsalbte.

Die anderen Krankenschwestern und die Medizinerinnen bedeuteten ihm nicht viel. Selbst den Namen der Oberärztin, die seine Behandlung durchführte, vergaß er immer wieder. Aber an die eine, an Schwester Mathilda, dachte er unentwegt; und während andere Kranke so schnell wie möglich gesund werden wollten, genoss er die Zeit, die er in ihrer Obhut verbringen durfte.

Nach einigen Wochen konnte er wieder aus dem Bett, und langsam wagte er erste Schritte. Ihn musste niemand auffordern, das Gehen zu üben, denn er wollte hinaus auf den Gang, um dort so oft wie nur möglich Schwester Mathilda zu sehen.

All die Keime!

Seine größte Angst war, bald entlassen zu werden. Zu seinem Entsetzen musste er feststellen, wie zufrieden alle mit seiner Genesung waren. Wie glücklich seine Familie darüber war. Kaum auszuhalten! Aber auch die gesamte Abteilung freute sich offenkundig, ihn, diesen ungeheuerlich anhänglichen Patienten, bald los zu sein.

Er begann zu simulieren. Er klagte über Schmerzen, die er nicht hatte, fabulierte von einem Druck in der Brust, von Kurzatmigkeit, von Panikattacken, doch die Blutwerte, der Kreislauf und die Fieberkurve ließen sich nicht fälschen. Einmal täuschte er gar eine Ohnmacht vor, als Schwester Mathilda ins Zimmer kam, worauf sie nach dem fetten Pfleger rief, der sich sogleich über ihn beugte, um ihn vollmundig zu beatmen.

Doron Rabinovici

Er nahm den Rest seiner Medikamente auf einen Schluck. Er war bereit, für seine Liebe zu sterben, doch er schlief nur den nächsten Tag vierundzwanzig Stunden durch und litt danach ein wenig an Durchfall. Er trank im Klinikcafé aus allen Gläsern, die nicht abgeräumt waren, um sich mit irgendeiner Krankheit anzustecken. Nichts half. Er war in einer unerträglich guten Verfassung.

Am Tag seines Abschieds waren alle versammelt, um ihm das Beste zu wünschen. Nur Schwester Mathilda fehlte. Sie sei krank, wurde ihm mitgeteilt. Hatte er sie etwa – schoss ihm ein – mit all den Keimen infiziert, die er überall aufgesammelt hatte, um bei ihr zu bleiben, ohne selbst an Symptomen zu leiden? War er schuld, wenn es ihr, seiner großen Liebe, nun schlecht ging?

Wochen später sah er sie zufällig im Supermarkt. Aber nun, da sie nicht mehr in Weiß daherkam, außerhalb der Klinik, war all ihr Zauber für ihn verflogen. Er grüßte nur mit einem Kopfnicken, um schnell vorbeizugehen, da lächelte sie spitz und sagte: "Na, endlich auskuriert?" (Doron Rabinovici, 11.4.2020)