Was zusammenhält, kann jetzt oft nicht getan werden. Wie wird sich das Gesicht der Zivilgesellschaft verändern?

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Das Virus stellt Wertigkeiten auf den Kopf. Der fünfzehnte Anzug und das zwanzigste Paar Schuhe bringt wenig im Homeoffice. Der Städtetrip nach Rom und die Osterreise nach Marrakesch – brauchen wir das wirklich? Das Virus stellt die Weltordnung auf den Kopf: Hilfslieferungen kommen aus China und Russland – symbolisch und mit geopolitischem Kalkül –, aber kein Mensch auf diesem Planeten erwartet irgendeinen Beitrag aus den USA. Im Zusammenwirken mit Donald Trump beendet das Virus das US-amerikanische Jahrhundert. Das Virus lehrt uns digitalen Realismus: Zwar kann man sich nicht vorstellen, wie man die Schließung ohne die digitale Infrastruktur überlebt hätte, aber ein echter Lösungsbeitrag aus dieser Ecke, von KI, Maschinenlernen und Big Data, der über die Rot-Kreuz-App hinausgeht, wäre mir noch nicht bekannt.

Das Virus lässt tief in die österreichische Seele blicken, wenn Klopapier gehamstert wird und wenn die Dorfkaiser die Zweitwohnsitzler aussperren. Das Virus lehrt aber auch Empathie: Trotz Social Distancing kommt es zu echter Nähe und Respekt gegenüber Menschen, die da draußen Gesellschaft und Wirtschaft am Laufen halten. "There really is such a thing as society", meint sogar Boris Johnson und widersagt damit dem neoliberalen Dogma Margaret Thatchers.

Wie wird diese Gesellschaft aber nach der Krise aussehen? Nahezu unbemerkt drohen im Schatten vieler anderer wirtschaftlicher Katastrophen ein Vereinssterben, eine harte Zeit für Non-Profit-Organisationen (NPOs) und ein Kahlschlag in der Zivilgesellschaft. Diese hat auch wirtschaftliche Relevanz, beschäftigen doch ca. 11.000 NPOs eine Viertelmillion Menschen, die gemeinsam mit 300.000 Vollzeitäquivalenten in der Freiwilligenarbeit und im Ehrenamt eine Bruttowertschöpfung von über zwölf Milliarden Euro erwirtschaften (fast so viel wie der gesamte Finanzsektor).

Jobs in Gefahr

Zwanzig Prozent dieser Arbeitsplätze wackeln. Je nach Dauer der Schließung wird im Non-Profit-Sektor ein wirtschaftlicher Schaden zwischen 500 Millionen und einer Milliarde Euro entstehen. Nicht nur die Salzburger Festspiele zittern, Kulturfestivals im ganzen Land mit zuletzt über einer Million Besuchern und 40 Millionen Euro Einnahmen werden abgesagt werden. Sportvereine, allen voran im Fußball, verlieren Eintrittserlöse, Sponsoring und Existenzgrundlage. Allein die privaten gemeinnützigen Museen werden heuer mehr als eine Million Eintritte und damit einen erheblichen Teil ihrer Finanzgrundlage einbüßen. Auch die großen NPOs im Sozialbereich, im Rettungswesen und Katastrophenschutz erleiden Verluste durch das Zurückfahren von Leistungen, z. B. von Krankentransporten und Blutspenden, und durch den konjunkturbedingt zu befürchtenden Spendenrückgang.

Der große Schaden wird in der Fläche passieren, bei den vielen kleinen Vereinen, die oft nur mit Ehrenamtlichen arbeiten. Nach unseren Hochrechnungen gibt es neben den 11.000 NPOs mit bezahlten Mitarbeitern weitere knapp 75.000 Vereine, die nur auf Ehrenamt und Freiwilligenarbeit beruhen. Dazu zählen jeweils knapp 15.000 Sport- und Kulturvereine, die jetzt zugesperrt haben. Es ist für mich unverständlich, wenn Menschen ohne Not das Geld für bereits bezahlte Karten für Theater, Oper, Konzert oder Sport zurückfordern. Ein wenig Anstand und Hirn sollten uns das als unseren Beitrag für NPOs und unseren Anteil am Risiko abschreiben lassen.

Kreative Selbsthilfe

Viele Sozialunternehmen arbeiten im Gastro- und Lebensmittelbereich und beschäftigen vulnerable Zielgruppen, also etwa Senioren oder Suchtpatienten. Sie werden daher noch viel länger als ihr Mitbewerb geschlossen halten müssen und damit ihre mühsam erkämpften Marktnischen verlieren. Einige von ihnen wie die Vollpension (www.vollpension.wien) greifen zur kreativen Selbsthilfe ("Krautfunding"), andere sind mit Onlineshops gut aufgestellt. Existenzbedroht sind sie allemal. Andere Sozialunternehmen sind im Beratungs- oder Eventgeschäft tätig, also auch in besonders betroffenen Wirtschaftsbereichen. Nun kann man das zynisch wie der OeNB-Gouverneur Robert Holzmann als eine Art darwinistische Strukturbereinigung abtun. Wenn wir diesen Unternehmen nicht helfen, werden unsere Wirtschaft und unsere Gesellschaft nach der Krise deutlich ärmer und kälter sein.

Erfreulich ist, dass die Bundesregierung diese Notlage erkannt hat. Gerade in Krisenzeiten – zuletzt bei den Fluchtbewegungen 2015 – ist besonders evident, wie wichtig der Non-Profit-Sektor als gesellschaftliche Resilienzreserve ist.

Ohne die vielen NPOs im Pflege- und Sozialbereich, die die Covid-19-bedingten Ausfälle durch zusätzliche Schichten in ihren mobilen Diensten kompensieren, wäre das System schon vor zwei Wochen zusammengebrochen. NPOs kümmern sich auch um die sozialen Randgruppen und die Armen, die leicht zum Gesundheitsrisiko für die Gesellschaft werden können, wie man derzeit in den USA beobachten kann. Wo die Zivilgesellschaft und der normative Grundkonsens einer Gesellschaft nicht mehr funktionieren, hamstern die Bürger nicht Klopapier, sondern Waffen.