Die Bundesregierung arbeitet auf Hochtouren und wird international gelobt – doch die Schnitzer mehren sich

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Die Bundesregierung, allen voran Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne), haben Österreich bisher gut durch die Krise geführt. Unsicherheiten und Pannen gab es, aber Österreich steht für sich und vor allem im Vergleich mit dem Ausland noch ausgezeichnet da. Das hat mehrere Gründe.

  • Isolation und Ausgangsbeschränkungen Unter dem Eindruck des katastrophalen Krisenmanagements in Tirol hat die Bundesregierung in Wien rasch gehandelt und auf Isolation der betroffenen Gebiete sowie auf Ausgangsbeschränkungen im gesamten Bundesgebiet gesetzt, ohne dabei eine Panik heraufzubeschwören. Die Maßnahmen wurden zügig und konsequent umgesetzt, als andere Staaten noch in Schockstarre verharrte

  • Risikogruppen fernhalten Ein wesentlicher Teil des Erfolgs bestand darin, die Betroffenen aus den Arztpraxen und Krankenhäusern fernzuhalten und Tests zu Hause durchzuführen. Damit konnte eine Verbreitung wie in Italien weitgehend verhindert werden.

  • Einigkeit und Kommunikation Die Regierung hat die Maßnahmen weitestgehend gemeinsam beschlossen und auch gemeinsam kommuniziert. Das hat bei der Bevölkerung für Verständnis gesorgt. Der Regierung ist es durch ihre Kommunikation und die intensiven Kampagnen gelungen, bei der Bevölkerung auch eine emotionale Akzeptanz zu erreichen. Die Maßnahmen werden mitgetragen, nicht nur in der ersten Zeit, sondern offenbar auf längere Dauer.

  • Masken für alle Die Verpflichtung zum Tragen von Masken, erst in Supermärkten, später auch in den Öffis, war zwar von Kommunikationspannen begleitet, die Maßnahme ist aber als ein Baustein von mehreren sinnvoll, um die Verbreitung einzudämmen.

  • Flexibles Handeln Die Regierung war bereit, zu lernen und ihre Meinung zu ändern, siehe die Verwendung von Masken. Das ist in der Politik durchaus unüblich.

  • Revival der Sozialpartner Die Einbindung der Sozialpartner hat zu einer deutlichen Effizienzsteigerung der Maßnahmen geführt, vor allem bei der wirtschaftlichen Hilfe. Positiv ist auch die Aufwertung der Hilfsorganisationen. (völ)

Allerdings gibt es einige Bereiche, in denen das Regierungshandeln verbesserungswürdig ist.

Das Gesetz gibt dem Minister zu viel Spielraum

Mit seiner harschen Kritik an den "Husch-pfusch-Gesetzen" im STANDARD-Gastkommentar sprach der ehemalige Spitzenbeamte Manfred Matzka vielen Verfassungsjuristen aus der Seele – aber nicht allen. Zwar herrscht unter Experten Einigkeit, dass das Covid-Maßnahmengesetz dem Minister mehr Spielraum für den Erlass von Verordnungen gibt als die Verfassung zulässt. Denn Verordnungen müssen stets durch Gesetze gedeckt sein. Aber der Verfassungsrechtler Heinz Mayer sieht den Eingriff in Grundrechte in Notzeiten zum Schutz der Allgemeinheit im Prinzip als legitim an und die Fehler eher im Detail. So ist im Gesetz das Betreten "bestimmter Orte" verboten, was in der Verordnung zu "öffentlichen Orten" wurde. Das sei nicht zulässig, könnte aber leicht durch das Streichen des Wortes "bestimmter" im Gesetz repariert werden. Dass die Maßnahmen in Sammelgesetzen verpackt wurden, sei problematisch, habe aber Tradition.

Andere Juristen beklagen, dass die Strafen für Covid-Verstöße gar nicht im Gesetz stehen. Das eröffnet die Chance, die Strafen später anzufechten. Aber ob der Verfassungsgerichtshof diesmal so streng urteilen werde wie in der Vergangenheit, sei offen. (ef)

Schlechte Verteilung von Schutzkleidung

Lange war die Meinung von WHO und Robert-Koch-Institut (RKI) jene: Gesunde sollten zum Schutz vor dem Coronavirus keine Mundschutz-Masken tragen, weil dadurch eine Übertragung nicht verhindert wird, die Träger sich in falscher Sicherheit wiegen könnten und in der Folge auf Hygienemaßnahmen wie Händewaschen, Niesetikette oder Abstandhalten vergessen könnten. Mittlerweile räumt das RKI ein: Da womöglich viele das Coronavirus in sich tragen, ohne es zu wissen, könnte das vorsorgliche Tragen von Masken im öffentlichen Raum das Übertragungsrisiko vermindern.

Darauf setzt auch die Regierung, Masken sind Pflicht in Supermärkten, in öffentlichen Verkehrsmitteln ab nächster Woche ebenso. Massive Kritik daran kommt vonseiten der Ärzteschaft. Denn sowohl im niedergelassenen Bereich als auch in Spitälern mangelt es an Schutzausrüstung. Auch den STANDARD erreichen immer wieder Berichte von Spitalsmitarbeitern, die über zu wenige Masken verfügen.

Hier sind alle Experten einer Meinung: Erst muss der Gesundheitsbereich mit Masken ausgestattet werden, dann die Bevölkerung, sonst komme es zu einem falschen Einsatz wertvoller Ressourcen. (bere)

Flächendeckende Corona-Testung ist eine Illusion

In einer idealen Welt wäre man auf Infektionskrankheiten vorbereitet gewesen, hätte über ungenutzte Laborkapazitäten, seuchengeschulte Mitarbeiter und Notfallpläne verfügt. All das gab es nicht. Dafür ein Virus, dessen Verhalten unbekannt und überraschend ist. "Testen, testen, testen" wurde zum Mantra und PCR-Tests, die das aktive Virus nachweisen, die Methode, um Kranke zu identifizieren. Die Strategie war richtig, lediglich die Aussage des Bundeskanzlers, solche Tests könnten "flächendeckend" sein, missverständlich. PCR-Testungen sind Kontrollinstrumente, ein Werkzeug zur epidemiologischen Kontrolle. Nach der Aufhebung der Ausgangsbeschränkungen werden sie zum Identifizieren neuer lokaler Ausbrüche genutzt werden. Neu dazu kommen dann auch Antikörpertests, die zeigen, ob jemand das Virus schon hatte, also immun ist. So simpel wie Schwangerschaftstests werden beide nicht funktionieren. Man braucht Labore, Reagenzien und Ausrüstung dafür. Das größte Handicap bei Tests: Sie sind die am heißesten begehrte Ware am Weltmarkt, alle Regierungen wollen ihre Epidemien unter Kontrolle bringen. Jeder in Österreich wird nie getestet werden. (pok)

Anzeigenflut und Strafen für legale Tätigkeiten

Man kann es Anfangsschwierigkeiten nennen oder argumentieren, dass die Polizei nicht wissen könne, was zu strafen ist, wenn unklar ist, was erlaubt ist. Fest steht: Die Polizei strafte mehr, als sie sollte. Selbst der Polizeipräsident nannte seine Leute "übereifrig". Die Willkür war für den blauen Volksanwalt Walter Rosenkranz so augenscheinlich, dass er ankündigte, die Anzeigen- und Strafpraxis der Polizei amtswegig zu prüfen. Vor allem in Wien waren die Anzeigenzahlen enorm. Dort wurden allein am vergangenen Samstag über 1000 Anzeigen ausgesprochen – zu dem Zeitpunkt wurden in ganz Österreich seit Inkrafttreten der neuen Gesetze etwa 17.000 Anzeigen gezählt. Dass es zahlreiche Maßnahmenbeschwerden und Einsprüche geben wird, ist wahrscheinlich. Die aber sind bald nicht mehr bei jeder Polizeihandlung möglich: Ein neues Gesetz sieht vor, dass Polizeibeamte künftig Organstrafmandate ausstellen dürfen, wenn gegen Covid-19-Maßnahmen verstoßen wird. Eine neue Verordnung soll die Details noch fixieren. Mit Organmandaten wird die Strafhöhe zwar niedriger, Rechtsmittel können dagegen aber nicht eingelegt werden – es sei denn, man zahlt nicht ein, dann beginnt ein Verwaltungsstrafverfahren. (elas)

Rund um die Öffnung der Bundesgärten in Wien entwickelte sich ein erbitterter Streit
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Wien gegen Bund im Streit um die Bundesgärten

Nach Ostern ist es so weit: Die Wiener können sich in den Bundesgärten wieder die Beine vertreten. Zu Beginn der Ausgangsbeschränkungen wurden die Tore der in Bundeseigentum befindlichen Gärten geschlossen, was viele Anrainer, vor allem in dichtbesiedelten Gebieten, empörte. Der Schlosspark Schönbrunn, der Volksgarten und der Augarten waren etwa über Wochen nicht zugänglich. Die Wiener Stadtregierung fuhr eine Minikampagne gegen die Bundesregierung, die Parks wieder zu öffnen. Inklusive Seitenhieben gegen die ÖVP, schließlich wird im Herbst in Wien gewählt. Auch ein Konflikt zwischen Grünen und SPÖ entspann sich. Beide Parteien wollten das Wiederaufsperren als ihren Erfolg verbuchen. Die Einführung temporärer Begegnungszonen wurde wieder in Eintracht verkündet. (rwh)

Virenschleuder Ischgl und Tiroler Sturheit

Tausende Touristen haben sich offenbar bei ihrem Skiurlaub in Tirol mit dem Coronavirus angesteckt. Die dortigen Behörden gingen nach ersten Verdachtsfällen nur sehr zögerlich vor, das Gesundheitsministerium verzichtete aufs Eingreifen. Dabei warnten etwa Island und Norwegen schon Anfang März vor der Virenschleuder Ischgl. Da hieß es aus Tirol noch, beim Après-Ski könne man sich nicht anstecken. Erst am 13. März wurden Quarantänebestimmungen in Kraft gesetzt – deren Umsetzung mehr als chaotisch war. So eskortierte die Polizei Touristen aus dem Hochrisikogebiet Ischgl in andere Hotels in Tirol. Dennoch bleibt die Landesregierung stur dabei, alles richtig gemacht zu haben. Landeshauptmann Günther Platter (ÖVP) macht sich sogar schon über die kommende Sommersaison Gedanken. (fsc)

Die Maskenpflicht kam überraschend, die Ordnungshüter reagierten auf Covid-19-Maßnahmen teils überschießend
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Meinungsschwenk bei Maskenpflicht

Betreten die Mitglieder der Regierung bei Pressekonferenzen den Raum, tragen sie nun alle Gesichtsmasken. Es gilt, Vorbildwirkung zu erzeugen, schließlich sind die Bürger angehalten, in Supermärkten, bald auch in öffentlichen Verkehrsmitteln Nase und Mund zu bedecken, um das Ansteckungsrisiko zu minimieren. Zunächst waren die Verantwortlichen bei der Maskenpflicht noch abwartend bis ablehnend, was sicher auch daran lag, dass zu wenige Masken im Land verfügbar waren. In der Zwischenzeit sind Lieferungen aus Asien eingetroffen. Die Handelsketten sehen sich zum Teil überrumpelt. Der Rewe-Konzern verlangt nach anfänglicher Gratisausgabe mittlerweile einen Euro pro Stück. Nur: Eine Verordnung, die das Einheben von Geld für die Masken erlaubt, ließ auf sich warten. (rwh)

Unverständliche und allzu rasche Erlässe

Es ist ein krasses Beispiel, aber nicht das einzige: Der sogenannte Ostererlass, den das Gesundheitsministerium veröffentlicht und vertreten hatte, war widersinnig, juristisch nicht haltbar und sorgte für unnötige Verwirrung. Dass zusätzlich zur Familie, die an einem Ort wohnt, noch fünf weitere Personen stoßen dürften, stand im klaren Widerspruch zum Vorhaben der Regierung, größere Osterfeiern im familiären Kreis zu unterbinden. Der Erlass wurde schließlich ersatzlos zurückgenommen, Gesundheitsminister Rudolf Anschober hat sich dafür entschuldigt. Die Informationslinie seines Ressorts war schon öfter nicht nachvollziehbar: Beschlossene Maßnahmen können nicht erklärt werden, es fehlen Juristen, die Erlässe sauber formulieren, und Kommunikatoren, die sie klar interpretieren. (völ)

Die EU ist unsolidarisch und überfordert

Die EU-Institutionen und die Regierungen der Mitgliedstaaten haben die Gefahr durch die Corona-Epidemie bis Anfang März stark unterschätzt. Das ist sozusagen amtlich. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat das öffentlich eingeräumt. Strittig ist seither die Frage, wen dabei eigentlich die Hauptschuld trifft.

Faktum ist, dass das Problem beim letzten physischen EU-Gipfel der Staats- und Regierungschefs in Brüssel nicht einmal auf der Tagesordnung stand. Es wurde über den EU-Budgetrahmen gestritten, der Gipfel abgebrochen. Erst nach der Eskalation der Infizierten- und Todesfälle in der Lombardei brach Hektik aus. Bei einem Sondergipfel per Videozuschaltung Anfang März gelobten die Staats- und Regierungschefs Solidarität und wechselseitige Hilfe. Tags darauf begannen die Ersten, ihre nationalen Grenzen zu schließen. Deutschland blockierte etwa tagelang einen Lkw mit Schutzmaterial für Österreich.

Unstrittig ist, dass das Chaos damit zu tun hat, dass die EU gemäß den Verträgen praktisch keine Zuständigkeiten im Bereich Gesundheit hat: Die Staaten machen, was sie wollen. Die Koordinierung läuft entsprechend schleppend. (tom)

Die Opposition wurde nur für ihren Geschmack zu selten eingebunden
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Umgang mit der Opposition

Die Regierung schlägt vor, die Opposition nickt ab: Das funktionierte nur im ersten Schock nach Ausbruch der Corona-Krise. Seither klagt die Opposition über zu geringe Einbindung. Fast alle ihrer Anträge wurden ignoriert, ihre Ideen, wenn überhaupt, dann ohne Quellenangabe übernommen. Kritisch sehen SPÖ, FPÖ und Neos auch Sammel- statt Einzelgesetzen. (fsc)

Unklare Angaben und Vorgaben

Was darf man, was nicht? Da gab es viel zu oft unterschiedliche Darstellungen der jeweiligen Minister. Gründe hinauszugehen gab es je nach Ressort drei, vier oder fünf. Wer wie spazieren gehen kann und wie er dort hinkommt, bleibt in einem Graubereich. Diese unklare Kommunikation hat bei der Bevölkerung für Verunsicherung gesorgt. (völ)

Zwist um die App

Wer die Smartphone-App "Stopp Corona" installiert, für den werden die Ausgangsbeschränkungen gelockert, so lautete der ÖVP-Plan. Das Problem: Es gibt rund zwei Millionen Menschen ohne Smartphones und die Grünen, die Datenschutz und Grundrechte (halbwegs) hochhalten. Aktuelle Lösung: Die ÖVP hat das Thema den Grünen umgehängt. (sum)

Stolpersteine bei Wirtschaftshilfen

Schnell und unbürokratisch wolle man heimischen Firmen durch die Krise helfen, lautete das Versprechen der Regierung von Anfang an. Eingetreten ist die rasche Hilfe nur bedingt. Zwar wurde ein Härtefallfonds für Kleinstunternehmer gestartet, viele Betriebe fielen aber durch das Auffangnetz. Mittlerweile wurden die Kriterien gelockert, die Mittel auf zwei Milliarden Euro verdoppelt. Und auch bei der Kurzarbeit läuft nicht alles rund. Das Geld vom Arbeitsmarktservice (AMS) komme zu spät, klagen Unternehmer. Das AMS leiste gute Arbeit, sagte WKO-Generalsekretär Karlheinz Kopf im Ö1-Journal, mit der Fülle an Anträgen sei es aber "hoffnungslos überlastet". Viele größere Unternehmen kämpfen derzeit zudem mit Banken, die bei der Kreditabwicklung teils doch restriktiver sind als erhofft. (lauf)