Ulli Ehrlich ist derzeit ganz besonders gefordert. Ski- und Sportmode in knalligen Farben und bunte Kleider harren der Kunden aus Wien, Deutschland, Tschechien, Slowenien, Russland oder der Ukraine. Der Modefachhandel liegt aufgrund der Corona-Krise in vielen Ländern im Wachkoma. Wie es nach dem Öffnen der Geschäfte weitergehen wird, wagt auch Ehrlich nicht abzuschätzen. Produziert und investiert werde jetzt in eine Zukunft, die keiner kennt. Mit Federball und Tischtennis hält sie neben all den Turbulenzen ihre Kinderschar bei Laune.

STANDARD: Sie sitzen in Tirol fest, einem Bundesland, das der Buhmann für viele Länder ist. Die Welt und besonders die Wirtschaft sind aus den Fugen. Wie geht es Ihnen?

Ehrlich: Ganz ehrlich, es gibt schlimmere Plätze um festzusitzen. Da zählen wir mit Abstand zu den Privilegierten. Ich bin mit Unterrichten beschäftigt und in der Firma extrem gefordert. Es wird mir nicht fad. Ich habe vor kurzem den bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder gehört, wie er hergezogen ist über die Tiroler. Da dachte ich, das ist schon ein bisschen krass, welche Stimmungsmache die jetzt betreiben. Es ist vielleicht zu spät reagiert worden, war vielleicht verantwortungslos, im Nachhinein ist jeder gescheiter. Aber ob die in Ischgl früher oder später reagiert hätten: Dieses Virus wäre gekommen.

STANDARD: Es gibt viele Branchen, die der Shutdown der Wirtschaft schwer getroffen hat. Ihre gehört dazu. Jetzt dürfen die Geschäfte bald wieder aufsperren. Wie wird es weitergehen?

Ulli Ehrlich (52) ist Chefin und Eigentümerin des Kitzbüheler Modelabels Sportalm. Im Familienbetrieb arbeitet die ausgebildete Modedesignerin seit 30 Jahren, lange als Chefdesignerin. Im heurigen Jahr hat sie alle Unternehmensanteile übernommen. Den Kopf in den Sand stecken will sie jetzt trotz aller Turbulenzen nicht.
Andy Urban

Ehrlich: Wir sind täglich mit Anfragen konfrontiert, was mit der Winterware ist. Speziell die Kunden aus Russland müssen alles vorfinanzieren. Da liefern wir nur gegen Vorauskasse. Wenn sie jetzt aber ihre Geschäfte geschlossen haben und keine Sommerware verkaufen können, dann haben sie natürlich kein Geld, um später die Winterware abzunehmen.

STANDARD: Klingt nach reichlich viel Ungewissheit.

Ehrlich: Wir sind zum Glück so finanzstark, dass wir definitiv wissen, wir werden diese Krise überstehen. Wir verkraften es, wenn wir ein paar Monate keinen Umsatz haben und wenn etliche unserer Kunden die Segel streichen. Das passiert. Tagtäglich rafft es einige unserer Kunden geschäftlich dahin und leider auch etliche Mitbewerber. Es ist schon heftig.

STANDARD: Verzweifelt man da als Unternehmerin nicht?

Ehrlich: Es nützt ja nichts, vor Angst gestorben ist auch tot. Bei uns ist jetzt die Diskrepanz, dass wir zwar in manchen Bereichen in Kurzarbeit sind, vor allem was den Handel anbelangt, aber wir produzieren derzeit die kommende Wintersaison. Und unser Designteam macht schon seit Monaten die Sommerkollektion 2021. Wir investieren gerade wahnsinnig viel in eine Zukunft, von der keiner weiß, wie sie ausschauen wird. Derzeit rechnet man mit einem Worst-Case-Szenario, wenn es besser wird, sind wir freudig überrascht.

STANDARD: Alle Welt braucht jetzt Masken, nähen Sie auch welche?

Ehrlich: Wir nähen hier in Kitzbühel schon Masken, aber nicht im großen Umfang, weil uns die eigene Produktion noch wichtiger ist. Wir machen sowohl weiße als auch bunte aus Dirndlstoffen und verkaufen sie zu sehr humanen drei Euro lokal – zum Beispiel an den Bauhof oder die Stadtwerke. Wir sehen es als unsere Pflicht, unsere Kapazitäten bei solchen Anfragen zur Verfügung zu stellen. Ein Business machen wir daraus nicht.

STANDARD: Stichwort Dirndlstoff: Für Sie war schon als Kind klar, dass Sie Modedesignerin werden und in der Firma des Vaters bleiben wollen. Angefangen haben Sie mit Trachtendesign. Ist das für eine junge Designerin nicht die Ödnis schlechthin? Da ist ja jedes Knopferl vorgeschrieben.

Tagtäglich rafft es einige unserer Kunden geschäftlich dahin und leider auch etliche Mitbewerber. Es ist schon heftig, so Ehrlich.
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Ehrlich: Nanana, uns hat es schnell erfolgreich gemacht, und es hat uns schon in den 1990ern bis nach Asien geführt, dass wir eben nicht beige, grau und dunkelgrün waren. Wir waren pink, wir waren orange. Wir haben indische Seide verarbeitet, wir haben 25.000 Meter italienisches Batikleinen gekauft und daraus Kleider gefertigt.

STANDARD: Ihr Vater entstammt einer sudetendeutschen Unternehmerfamilie. Was haben die Tiroler dazu gesagt, dass Zuagroaste mit Pink und Orange bei Dirndln anfangen?

Ehrlich: Eingefleischte Traditionalisten finden das komisch. Aber sehr viel mehr Leute haben sich angesprochen gefühlt. Wir waren auch mutig. 1989 war Naomi Campbell das erste schwarze Model auf dem Vogue-Cover. Wir haben schon davor schwarze Models bei den Katalogen auf dem Cover gehabt. Wir haben böse Briefe dafür bekommen. Kriegen wir übrigens heute noch. Im letzten Wintermagazin war wieder eine Schwarze auf dem Cover, und auch 2020 kriegt man böse Briefe dafür. Unglaublich.

STANDARD: Und was steht in diesen bösen Briefen?

Ehrlich: Ob es nicht genügend österreichische oder europäische, also weißhäutige, Mädels gibt, die auch so schön sind. Besonders bitter wird es für manche, wenn man ein dunkelhäutiges Mädchen in ein Dirndl steckt. Das ist ja fast schon reizvoll, dass man das wiederholt, um zu beweisen, dass man zu seiner Position auch steht.

STANDARD: Das Dirndl ist ein Minenfeld. Da muss viel hineinpassen – Brauchtum, Kulturgut, das Versprechen der heilen Welt, Letztere ist derzeit weit weg. Sie haben es gern echt. Aber ab wann ist das Echte falsch?

Ehrlich: Es geht zum Glück sehr viel. Österreich hat es als einziges Land geschafft, die Tracht in den Alltag zu integrieren. Ein No-Go ist nicht, dass ein Dirndl zu kurz, zu lang oder zu bunt ist, sondern wenn es aus Indien oder China kommt. Dann ist es ein Kostüm.

STANDARD: Das passt zum Glamour von Kitzbühel in normalen Zeiten, im Winter krachen die Sportskanonen den Hahnenkamm hinunter. Da schneit wohl auch viel Prominenz in Ihr Geschäft? Marcel Hirscher oder vielleicht Arnie Schwarzenegger, um einen Anzug zu kaufen, oder ...

Ehrlich: ... ein Dirndl für seine Freundin oder für die Tochter. Sie haben ins Schwarze getroffen.

STANDARD: Derzeit ist Kitzbühel wohl eher eine Geisterstadt?

Ehrlich: Es ist gespenstisch, aber es hat in gewisser Weise auch etwas Meditatives, dass jetzt einfach der Stecker rausgezogen wurde. Aber ich weiß, dass es schlecht ist für die Stadt und die ganze Region.

Ehrlich im selbstdesignten Kleid. 1.400 Stück der hauseigenen Kollektion hat sie an Menschen in Pflegeberufen verschenkt – um jenen, die so viel für die Gesellschaft leisten, eine Freude zu machen.
Foto: Andy Urban

STANDARD: Und fürs Geschäft. Wir haben alle mehr als genug im Kasten. Viele Menschen verlieren den Job. Schnell wird die Shoppinglaune wohl nicht zurückkehren.

Ehrlich: Ja, es gibt viel zu viel. Die Bereinigung wäre gut, wenn sie nicht so viele Menschen auch den Arbeitsplatz kosten würde. Mode ist großteils zu einem Konsumartikel geworden, Shoppen eine Freizeitbeschäftigung. Man sagt nicht mehr, das braucht man für die Kinder. Die gehen selbst shoppen und freuen sich, wenn sie für 20 Euro fünf Kleidungsstücke kriegen, nicht nur eines. Ich hoffe, der regionale Gedanke und die Besinnung auf Werte und darauf, was wichtig ist in solchen Krisenzeiten, haben Bestand. Auch wenn wir unser liebgewonnenes, normales Leben wieder führen. Unterstützt man jetzt lokale Händler, wäre das wirklich viel wert.

STANDARD: Sie haben eine Großfamilie mit fünf Kindern. Die werden sich kaum Vorschriften machen lassen, oder?

Ehrlich: Nein. Wenn man andere Regeln aufstellen würde, dass es nicht so verdammt billig wäre, etwas aus Fernost zu importieren, dann würde sich das relativieren.

STANDARD: Sie sind jetzt Alleinchefin und Eigentümerin. Wo machen Sie Abstriche, und wie halten Sie derzeit die Kinder bei Laune?

Ehrlich: Das ist ganz einfach. Abstriche mache ich bei mir. Zum großen Glück war das Wetter jetzt immer so schön. Wir haben einen Garten, wohnen am Waldesrand, die Kinder sind permanent draußen. Wir haben ein Federballnetz aufgespannt, den Tischtennistisch aktiviert, sie spielen Basketball. In manchen Facetten ist es ja komplizierter, aber bei so etwas hilft es, wenn man eine große Kinderschar hat. Zum Beispiel kann man dann beim Badminton ein Doppel spielen.

STANDARD: Man hat Ihnen schon einmal ziemlich viel Geld für das Unternehmen geboten. Sie haben ausgeschlagen, mit der Begründung: Verkaufen tut man nicht wegen Geldes. Sondern?

Ehrlich: Wenn das Herz nicht mehr dafür schlägt, wenn man nimmer dafür brennt. Geld kann immer nur ein Resultat sein, aber sollte niemals der Ansporn sein. Das habe ich einmal gelesen, und ich finde, das trifft es total.

STANDARD: Sprechen Sie da nicht aus einer privilegierten Position?

Ehrlich: Natürlich kann man sagen, ich spreche aus einer luxuriösen Position. Aber das ist auch etwas, was ich meinen Kindern vermittle. Die sollen sich das suchen, was sie am liebsten machen wollen. Wofür sie glauben zu brennen.

STANDARD: Sie sind auch ein spiritueller Mensch, glauben an Gott, richten nach Feng-Shui ein.

Ehrlich: Wie auch immer man es nennen will, für mich gibt es einfach etwas außerhalb und nach dieser Welt. Aber ich sitze nicht da und mache Ohm und warte, dass mir das Geld in den Schoß fällt. Ich tue was dafür.

STANDARD: Hilft das auch in schwierigen Zeiten wie jetzt?

Ehrlich: Ich bin mit einer Riesenportion an Urvertrauen gesegnet. Das hilft immer. Das hilft in guten Zeiten die Demut zu bewahren und in schlechten, dass man diese Gewissheit hat, dass das große Ganze einen Zusammenhang und einen Sinn hat. Es ist natürlich tragisch, wenn man merkt, wie viele Menschen jetzt durch Netze fallen, aber es macht uns umgekehrt als Gesellschaft wieder sensibler, der Zusammenhalt wird gestärkt. (Regina Bruckner, 11.4.2020)